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# taz.de -- Kolumne Lost in Trans*lation: Mein Triumph der Sichtbarkeit
> Für mich als türkische trans Journalistin war Eurovision in den letzten
> Jahren in der Hintergrund getreten. Jetzt habe ich ihn wiederentdeckt.
Bild: Dana International (l.) und Netta Barzilai beim Eurovision-Wettbewerb 2019
Der Eurovision Song Contest ist das wichtigste Musikevent meiner
Generation. Tagelang bereiteten wir uns früher darauf vor und warteten bis
spät in die Nacht vor dem Fernseher auf die Ergebnisse. Am Tag darauf
sprachen alle auf der Straße über den ESC. In unserer Wohnung gab es einen
riesigen Schwarzweiß-Fernseher. Nachdem alle ins Bett gegangen waren,
schaute ich heimlich den Song Contest an. Wenn meine Mutter nachts
aufwachte und mich vor dem Bildschirm sitzen sah, murrte sie für
gewöhnlich. Und trotzdem bereitete sie schon tagsüber im Holzofen das
Kürbisdessert zu, das ich so liebte, damit ich es beim Fernsehen essen
konnte.
Meine ganze Kindheit konnte die Türkei beim ESC nie einen Preis holen, aber
der Song Contest wurde trotzdem stets mit einer großen Begeisterung
verfolgt. Die Türkei nahm das letzte Mal 2012 am ESC in Baku teil. Der
türkische Staatssender TRT erklärte, das liege daran, dass sich die Regeln
des ESC geändert hätten.
Aber eigentlich ging es um etwas anderes. Die AKP und die Gülen-Bewegung
rissen das Land in einen Strudel. Diesen Strudel nennt man politischen
Islam. Danach erinnerte sich niemand mehr an den Eurovision Song Contest.
Als Exil-Journalistin, die vor diesem System geflohen ist, habe ich nun
Jahre später wieder die Begeisterung von früher erlebt. Den Song Contest
live im Fernsehen zu sehen, ist ein großes Glück. Genau wie in meiner
Kindheit.
Am Abend des ESC strahlte das Erste ein Eurovision-Spezial aus. Eine
Moderatorin namens Barbara Schöneberger trat auf die Bühne. Sie scheint
bekannt zu sein. Für mich war sie eine Enttäuschung. Nachlässiges Makeup,
eine katastrophale Frisur und ein absurdes Kleid. Schuhe, die allein als
schön durchgehen könnten, aber unter diesem Kleid regelrecht traurig waren.
Wer in einer solch besonderen Nacht die Bühne betritt, sollte sich
unbedingt davor professionelle Hilfe suchen.
## Sichtbarkeit
Dann ging endlich die Liveübertragung in Tel Aviv los. Beim berühmten Lied
“Im Nin’ Alu“ von Ofra Haza geriet ich in Aufregung. Als dann Dana
International auf die Bühne kam, brachen bei mir die Dämme und ich fing an
zu schluchzen. Eine trans Sängerin eröffnete den Song Contest und die ganze
Welt sah live zu. Ein großer Schritt für die Rechte und die Sichtbarkeit
von trans Personen.
Alles war so professionell und fehlerlos, dass mit dieser Nacht der Geist
des ESC zurückkehrte. Die Bühnenshows, die schicken Moderator*innen, das
Sound- und Lichtsystem – alles war herausragend. Mit Malta fing der
Wettbewerb an und ich nahm meinen Stift und das Papier zur Hand, das ich
vorbereitet hatte und begann, meine Punkte zu vergeben. Genau wie in meiner
Kindheit.
Meine Favoriten waren Nordmazedonien, Großbritannien und die Niederlande.
Am Ende gewann Holland. Auch wenn meine Mutter, die mir tagsüber Dessert
zubereitet, nicht da war, war es ein großes Vergnügen, Jahre später wieder
den Eurovision Song Contest im Fernsehen zu sehen.
26 May 2019
## AUTOREN
Michelle Demishevich
## TAGS
Lost in Trans*lation
Transgender
Eurovision
Türkei
Islamismus
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Homophobie
Petition
Schwerpunkt Eurovision Song Contest
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