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# taz.de -- Kolumne Lost in Trans*lation: Anrufe, die Panik auslösen
> Um sich ein neues Leben aufbauen zu können, musste unsere Autorin ihre
> Familie in der Türkei verlassen. Die Sorge um sie ist geblieben.
Bild: Unsere Autorin hat ihren Bruder lange nicht gesehen. Als er sie kontaktie…
Neulich bekam ich in den frühen Morgenstunden eine Nachricht von einer
unbekannten Nummer. „Ruf mich dringend an“, stand darin. Als ich das
Profilfoto auf WhatsApp sah, erkannte ich meinen Bruder, den ich seit 28
Jahren nicht mehr gesehen habe. Das konnte nur eins bedeuten: Meiner Mutter
musste etwas geschehen sein. Eine Viertelstunde saß ich regungslos da. Ich
war noch nicht bereit dafür, meine Mutter zu verlieren. Es ist lange her,
seit ich meine Familie zuletzt gesehen habe.
Die Geschichte jeder trans* Frau ist gleich. Um die trans* Identität leben
zu können, verlässt sie ihre Familie und ihr Wohnviertel und baut ein neues
Leben auf. Auch ich habe meine Mutter zurückgelassen, um mein Leben als
trans* Frau neu zu beginnen. Denn der Druck in der Nachbarschaft ist hoch.
Ich wollte nicht, dass meine Mutter meinetwegen dumme Sprüche zu hören
bekommt und sich Sorgen um mich macht.
Wir sehen uns zwar nicht mehr, aber allein zu wissen, dass meine Mutter am
Leben ist, gibt mir Kraft. Eine halbe Stunde, nachdem ich die Nachricht
bekommen habe, nehme ich all meinen Mut zusammen und rufe meinen Bruder an.
Gleich als er „Hallo“ sagt, fange ich an zu weinen. „Keine Angst, unserer
Mutter und unserem Vater ist nichts passiert“, sagt er. Mein Bruder kommt
gleich zur Sache, aber er ist so aufgeregt, dass ich nichts von dem
verstehe, was er sagt.
„Mein Herz, beruhige dich und erzähl alles ganz ruhig von Anfang an“, sage
ich. „Ein Polizist aus Istanbul hat angerufen und nach dir gefragt“,
erwidert er. Meine Mutter habe aus Angst um mich angefangen zu weinen.
Jedes Mal, wenn die Polizei anruft, gerät sie in Panik, weil sie denkt, ich
sei umgebracht worden, so wie viele andere trans* Frauen, über die sie
Schlagzeilen liest. Gegen mich seien Ermittlungen eingeleitet worden und
ich müsse vor dem Staatsanwalt aussagen, habe der Polizist gesagt.
## Weggegangen, um die Familie zu schützen
Weiß die Istanbuler Polizei nicht, dass ich in Berlin lebe und arbeite? Ich
bin keine 18-jährige Teenagerin mehr, warum sollte meine Familie für mich
verantwortlich sein? Ich bin eine erwachsene Frau in ihren Vierzigern. Eine
Person darf nur für eine Tat zur Verantwortung gezogen werden, die sie
selbst begangen hat. Für die Straftat einer anderen Person haftet sie nur,
wenn sie an der Tat beteiligt war, so steht es im Gesetz.
Warum kann also die Polizei – die mich jahrelang immer wieder rechtswidrig
festgenommen hat, auf der Polizeiwache gefoltert, missbraucht und
vergewaltigt hat, die mitten in der Nacht meine Wohnung stürmte und sie
eine Woche lang ausspähte – mich nicht erreichen und ruft meine Familie an?
Ich habe sie vor 28 Jahren verlassen, um sie genau vor so etwas zu
schützen. Sie sollen keine Angst um mich haben müssen und nicht meinetwegen
in Schwierigkeiten geraten. Sollte ich eine Straftat begangen haben, nehme
ich die Strafe an – doch das hat allein mit mir zu tun.
4 May 2019
## AUTOREN
Michelle Demishevich
## TAGS
Lost in Trans*lation
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Befreiungstheologie
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Lost in Trans*lation
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