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# taz.de -- Filmemacher über Rechtsextremismus: „Sie sind Teil der Geschicht…
> Im thüringischen Themar feierten 2017 über 6.000 Neonazis ein
> Musikfestival. Adrian Oeser hat die Kleinstadt in einem Film porträtiert.
Bild: Mit Nazis singen? Szene aus „Themar – Die Kleinstadt und der Rechtsro…
taz: Herr Oeser, wie hat das [1][Neonazifestival] von 2017 die Stadt Themar
verändert?
Adrian Oeser: Vieles hat sich in Themar bewegt, vor allem wurde der Ort
gespalten. Man muss sich die Stadt vor den Rechtsrockkonzerten als ganz
normale Kleinstadt vorstellen, in der es mit Sicherheit persönliche und
auch politische Konflikte gab, die aber nie alle betroffen haben. Die
wenigsten haben mit den Konzerten gerechnet und auf einmal mussten viele
sich positionieren. Themar ist gespalten zwischen Leuten, denen es schlicht
egal ist, denjenigen, die solche Konzerte gut finden und einer Minderheit,
die sehr couragiert und auch witzig protestiert. Themar ist ein
vielschichtiger Ort.
Diejenigen, die schweigen, schweigen sie aus Angst oder aus Zustimmung?
Da bin ich mir nicht sicher. Man hört oft das Argument, dass durch die
Gegenproteste und die Medienöffentlichkeit die Konzerte erst größer werden
könnten. Es gibt also das Gefühl: Wenn wir die ignorieren, dann
verschwinden die ganz von selbst wieder. Aus der Geschichte haben wir aber
gelernt, dass wenn man Nazis machen lässt, es tödlich für alle wird, die in
dem konstruierten Weltbild von Nazis nicht lebenswert sind. Sie zu
ignorieren, zeugt von sehr privilegierter Toleranz, die sich nur diejenigen
leisten können, die nicht von neonazistischer Gewalt betroffen sind.
Toleranz funktioniert nur, wenn die Gegenseite auch dazu bereit ist, das
Recht eines jeden Menschen auf Unversehrtheit und Würde zu respektieren.
Und das tun Neonazis eben nicht.
Braune Gegenden, abgehängte Jugendliche, verwaiste Innenstädte. Wenn der
Rechtsextremismus in Ostdeutschland betrachtet wird, bleiben Klischees oft
nicht aus. Wie viele davon hat ein Filmemacher aus Frankfurt am Main im
Gepäck, wenn er nach Themar fährt?
Bevor ich das erste Mal nach Themar gefahren bin, dachte ich, dass ich in
einen Naziort komme und hatte natürlich ein mulmiges Gefühl. Ich kannte die
Bilder vom Festival 2017, bei dem ungestört der Hitlergruß gezeigt werden
konnte. Bilder von „Dunkeldeutschland“, einem Ort, der geprägt ist von
Neonazis. In Themar habe ich dann aber ein ganz anderes Bild bekommen: von
einem sehr mutigen, kreativen und humorvollen Protest, der meinen Blick
auch darüber hinaus verändert hat. Wenn ich heute von Orten lese, in denen
es große Neonaziszenen gibt, dann denke ich auch an die Leute, die sich zur
Wehr setzen – auch wenn es natürlich oft zu wenige sind. Und die wenigen
werden leider zu selten beachtet.
Neben Nazigegnern treffen sie auch Tommy Frenck, eine zentrale Person in
Thüringens Neonaziszene. Wieso?
Ich hatte nie die Illusion, dass ich große Einblicke oder Informationen
bekomme, wenn ich mit Neonazis drehe. Trotzdem war mir klar, dass ich mit
ihnen drehen muss, weil sie Teil der Geschichte sind, die ich erzählen
will. Nämlich: Wie kam es zu den Konzerten? Wie haben sie Themar verändert?
Ich bin im Film beobachtend und suchend vorgegangen, habe also keinen
Recherchefilm gemacht, habe mir im Vorfeld also nicht die lokale
Neonaziszene angeschaut. Stattdessen bin ich nach Themar gefahren, um den
Ort kennenzulernen und abzubilden. Gleichzeitig war mir klar, dass wenn ich
einen Neonazi im Film interviewe, dann muss ich den auch kontextualisieren
mit einer guten Expertin, der Landtagsabgeordneten Katharina König-Preuss.
Frenck empfing Sie in seinem Gasthof, organisierte extra für den Dreh einen
„Liederabend“. Trotz Skepsis zeigen Sie das Konzert. Bilden Sie
unfreiwillig seine Inszenierung ab?
Bevor ich den Film gemacht habe, habe ich mich mit der Darstellung von
Neonazis und extremen Rechten beschäftigt. Oft werden Homestorys gedreht.
Es wird etwa gezeigt, wie Götz Kubitschek seine Ziegen melkt oder wie jung
und gutaussehend die Identitäre Bewegung ist. Ich wollte das nicht
reproduzieren, keine Homestory drehen oder erzählen, wie sich die Neonazis
fühlen. Ich wollte sie in ihrer Funktion als Konzertorganisatoren und
Liedermacher zeigen.
Sie zeigen Frenck als politischen Akteur, in seiner gewählten Umgebung?
Ich wollte den Inszenierungscharakter kontextualisieren, ihn thematisieren.
Bei dem Liederabend habe ich mit mir gerungen. Das ist schon absurd, wenn
ein Konzert organisiert wird, nur damit die Kamera was zum Aufnehmen hat.
Gleichzeitig hatte ich dadurch die Möglichkeit zu sehen, wie es dort
aussieht, wer zum Konzert kommt, was für Ideologie dort öffentlich
vertreten wird. Ich habe mich deswegen dazu entschieden, es zu zeigen.
Aber: Was man dort zu sehen bekommt, wollen sie auch zeigen. Frenck hat
danach auf Facebook gepostet, dass es eine gute Möglichkeit gewesen sei,
sich von der positiven Seite zu zeigen. Diese Spannungsfelder beim Dreh
lege ich im Film offen.
Besuche auf Götz Kubischeks Hofgut, ein [2][Spaziergang im Wald mit Björn
Höcke]. Journalist*innen gehen immer wieder auf die Inszenierung extremer
Rechter ein, versuchen sie darin kritisch zu stellen. Kann so etwas
funktionieren?
Es kann funktionieren, extrem Rechte kritisch zu stellen. Leider kann der
Inszenierungscharakter oft nicht aufgebrochen werden. Man sollte zeigen,
wenn sie Unwahrheiten und Lügen erzählen. Ihre menschenverachtende
Ideologie entlarven. Ich glaube aber leider nicht, dass man dadurch Leute
abschreckt. Die öffentliche Strategie der Neuen Rechten etwa ist es ja,
Ängste zu schüren, Opferinszenierungen zu bedienen, die irrational sind.
Ich bin skeptisch, ob man dieser Irrationalität mit rationalen Argumenten
beikommt. Das kann man besser, indem man gute Recherchearbeit macht oder
auf die Recherche von antifaschistischen Strukturen zurückgreift. Die haben
oft einen viel besseren Einblick in Organisationen und Ideologien.
29 May 2019
## LINKS
[1] /Neonazi-Szene-in-Bewegung/!5597280
[2] https://www.spiegel.de/plus/bjoern-hoecke-jetzt-stehen-sie-hier-mit-dem-teu…
## AUTOREN
Kevin Culina
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