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# taz.de -- Wahlsieg Konservativer in Australien: Suizid-Welle im Flüchtlingsl…
> Die konservative Koalitionsregierung in Australien wurde überraschend
> wiedergewählt. In einem Lager nahmen sich mehrere Geflüchtete nun das
> Leben.
Bild: Flüchtlinge in einem australischen Internierungslager auf der Insel Manu…
Canberra taz | „Die Situation auf der Insel Manus ist außer Kontrolle“,
warnte der iranische Autor und Journalist Behrouz Boochani am Mittwoch
[1][über den Kurznachrichtendienst Twitter]. Sechs Flüchtlinge hätten
bereits versucht, sich im von Australien betriebenen Internierungslager in
Papua-Neuguinea das Leben zu nehmen. „Manus wird zum Friedhof“, so
Boochani, der seit mehreren Jahren in der Anlage lebt.
Insgesamt fast 1.000 Flüchtlinge werden auf der Insel Manus sowie im
kleinen Pazifikstaat Nauru auf Geheiß der australischen Regierung
festgehalten – einige seit über fünf Jahren. Die [2][unerwartete Wiederwahl
der konservativen Regierungskoalition] unter Premierminister Scott Morrison
am Samstag habe vielen Internierten die Hoffnung geraubt, innerhalb kurzer
Zeit entlassen zu werden.
Die Flüchtlinge hatten offenbar auf einen Sieg der oppositionellen
Labor-Partei gehofft, und auf eine Lockerung der von einem ehemaligen
Lagerarzt als „Folter“ kritisierten [3][Politik der Zwangsinternierung].
„Unser Leben hing davon ab“, so Boochani. Die Flüchtlinge hätten damit
gerechnet, eine Labor-Regierung würde ein von Neuseeland gemachtes Angebot
akzeptieren, 150 der Festgehaltenen aufzunehmen. Die konservative Regierung
unter Premierminister Scott Morrison weigert sich, die Flüchtlinge nach
Neuseeland reisen zu lassen.
Wie der Polizeikommandant von Manus, David Yapu, gegenüber dem
Fernsehsender CNN sagte, hätten zwei auf der Insel Festgehaltene versucht,
sich das Leben zu nehmen. Zwei weitere Suizidversuche seien aus der
Hauptstadt Port Moresby gemeldet worden.
## Sprecher der Festgehaltenen
Laut Boochani, der sich in den letzten Jahren als Sprecher der
Festgehaltenen einen Namen gemacht und [4][ein preisgekröntes Buch über die
Situation auf Manus geschrieben] hatte, führt die Diskrepanz bei den
Opferzahlen darauf zurück, dass „die Polizei nicht über alle Fälle hier
Bescheid weiß“. Ian Rintoul, Sprecher der australischen
Flüchtlingsorganisation Refugee Action Coalition, bestätigte die Meldungen.
„Es gibt eine Welle von Selbstmordversuchen seit dem Wahlausgang vom
Samstag.“ Die australische Regierung äußerte sich bis Mittwochabend nicht
offiziell zu den Meldungen.
Beobachter gehen davon aus, dass ein jüngst gegen den Willen der
australischen Regierung eingeführtes Gesetz wieder rückgängig gemacht
werden soll. Danach soll es im Ermessen von Ärzten liegen, ob kranke oder
verletzte Flüchtlinge aus den Lagern zur Behandlung nach Australien
evakuiert werden sollen. Bisher lag der Entscheid bei den Behörden. In
einigen Fällen starben Schwerkranke oder -verletzte, weil ihnen der Flug
nach Australien verweigert worden war oder die Bewilligung nicht
rechtzeitig eingetroffen war.
Mehr als 4.000 Männer, Frauen und Kinder sind seit 2012 in den Lagern
festgehalten worden, nachdem die damalige australische Labor-Regierung
beschlossen hatte, kein sogenannter Bootsflüchtling dürfe jemals einen Fuß
auf australischen Boden setzen. Es handelte sich dabei meist um aus
Afghanistan, Irak und Iran stammende Menschen, die versucht hatten, von
Indonesien oder Sri Lanka aus auf Fischerbooten nach Australien zu
gelangen, um dort Schutz zu suchen.
Die Lebensbedingungen in den Lagern wurden unter Scott Morrison deutlich
verschärft, als dieser Einwanderungsminister in der konservativen Regierung
wurde. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) sprach
nach einer Inspektion der Pazifikinsel Nauru von einem „Regime
systematischer Vernachlässigung und Grausamkeit“. Nicht mal in
Kriegsgebieten in Syrien und Irak habe AI derart inhumane Zustände
angetroffen, unter welchen Flüchtlinge leben müssen, die den Schutz
Australiens gesucht hatten.
## Ein Bild der Brutalität
Von Wärtern und Angestellten im Asylinternierungslager Nauru verfasste
„Vorfall-Berichte“ zeichnen ein Bild der Brutalität, Hoffnungslosigkeit und
Verzweiflung: Fälle von Selbstmordversuchen, Selbstverstümmelungen,
körperlichen Angriffen auf die festgehaltenen Asylsuchenden seien an der
Tagesordnung, so auch ehemalige Mitarbeiter. Besonders häufig sind Berichte
über angedrohte und erfolgte sexuelle Belästigungen von Frauen und Kindern.
So sollen Wärter Kinder geschlagen oder sexuell attackiert haben.
Die Mehrheit der australischen Bevölkerung steht hinter der „Politik der
Grausamkeit“, wie Kritiker sie nennen. Die Regierung stellt sich auf den
Standpunkt, die Praxis der Abschreckung von Nachahmern sei erfolgreich. Sie
habe die Boote gestoppt, es würden keine Menschen mehr auf dem Weg nach
Australien ertrinken. Wie viele der oftmals kaum seetüchtigen Schiffe in
den Gewässern im Norden des Kontinents von der australischen Marine zur
Umkehr gezwungen werden und wie viele Menschen auf dem Rückweg ertrinken,
ist jedoch unklar. Die Regierung hat alle entsprechenden Informationen zur
Geheimsache erklärt.
22 May 2019
## LINKS
[1] https://twitter.com/behrouzboochani?lang=de
[2] /Australiens-Wahlsieger-Scott-Morrison/!5596378
[3] /Besetztes-Lager-in-Papua-Neuguinea/!5465904
[4] /Fluechtling-gewinnt-Literaturpreis/!5567437
## AUTOREN
Urs Wälterlin
## TAGS
Australien
Flüchtlinge
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