Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Parlamentswahlen in Australien: Politisches Klima im Wandel
> Wenn in Australien am Samstag ein neues Parlament gewählt wird, könnten
> die Erstwähler das Zünglein an der Wage sein.
Bild: Schreiende Krake: Umweltaktivisten protestieren gegen den Bau eines gigan…
Canberra taz | Carla Sharp ist wütend. „Ich kann es nicht mehr aushalten,
einfach zuzusehen“, sagt die 18-jährige Studentin, den Tränen nahe.
„Deshalb bin ich jetzt hier dabei.“ Sharp ist eine von rund 5.000
DemonstrantInnen, die in der australischen Hauptstadt Canberra vor dem
Parlamentsgebäude dagegen protestieren, dass im nördlichen Bundesstaat
Queensland eine der größten Kohleminen der Welt gebaut werden soll. Denn
sobald der indische Rohstoffgigant Adani die letzten Bewilligungen der
Behörden erhalten hat, können die Bagger auffahren.
Ein Naturgebiet von einzigartiger Bedeutung werde dann zerstört, Tierarten
an den Rand des Aussterbens gebracht, sagen Wissenschaftler, die Rechte der
Urbewohner des Landes würden mit den Füßen getreten, so ihr Vertreter.
Endziel ist eine Tagebaumine auf 447 Quadratkilometern Land.
Der geförderte Brennstoff soll nach Indien exportiert und dort zur
Stromgewinnung verbrannt werden. Bei Vollproduktion wäre die Kohle aus der
Anlage für den Ausstoß von jährlich 115 Millionen Tonnen CO2 in die
Atmosphäre verantwortlich. Die Adani-Mine ist die erste von mehreren im
sogenannten Galilee-Becken geplanten Anlagen, der reichsten Kohleregion der
Welt. „Und all das, obwohl der Klimawandel eine tödliche Bedrohung für uns
alle ist“, sagt Sharp.
Angst und Ohnmacht treiben immer mehr junge Australierinnen und Australier
wie Sharp auf die Straße und an die Wahlurne. Experten, wie Anthony Green
vom Fernsehsender ABC, glauben, dass junge Erstwähler am kommenden Samstag
in einigen Wahlkreisen das Zünglein an der Waage spielen könnten. Während
unter Bürgern generell Politikverdrossenheit herrscht, meldet die
Wahlbehörde AEC eine Rekordzahl von jungen Menschen, die sich zum ersten
Mal für den Urnengang registriert haben. In Australien herrscht zwar
Wahlpflicht.
## Zwei Visionen für die Zukunft
Beobachter führen das Interesse aber auf den Erfolg einer Volksbefragung
zur Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe zurück, für die sich 2017
überdurchschnittlich viele junge Australier ausgesprochen hatten. Das
überwältigende Ja zwang das Parlament dazu, ein entsprechendes Gesetz zu
verabschieden – einflussreichen konservativen Kräften in der Regierung zum
Trotz.
Derzeit kontrolliert im Repräsentantenhaus eine Koalition aus Liberalen und
der Nationalen Parteien mit 73 Sitzen die Mehrheit der 150 Sitze, die
Labor-Opposition hält 69 Sitze. Daneben sind noch 8 Sitze von Kleinparteien
und Unabhängigen besetzt. Im Senat, der Oberkammer, hat die Regierung keine
Mehrheit. Dort hält die Koalition 31 Sitze, Labor 26 Sitze. 19 Sitze
werden von Vertretern kleiner Parteien kontrolliert.
„Ein Klima für den Wandel“ titelte die Guardian Australia im Vorfeld der
Wahlen vom Samstag. Nachdem sich die Politik der konservativen Liberalen
und der sozialdemokratischen Labor-Partei in den letzten Jahren immer näher
gekommen waren, haben die Stimmbürgerinnen Australiens in diesem Jahr eine
Wahl zwischen zwei unterschiedlichen Visionen für die Zukunft: dem Status
quo der regierenden Konservativen unter Premierminister Scott Morrison und
dem progressiveren Programm der sozialdemokratischen Labor-Partei unter
Oppositionsführer Bill Shorten. Das gilt besonders für den Kampf gegen den
Klimawandel.
Diese Krise, so das Ergebnis einer Umfrage der Denkfabrik Lowy Institute,
sei im Vorfeld des Urnengangs zuoberst auf die Liste der Sorgen der
Australier gerückt. Das ist eine bemerkenswerte Entwicklung in einem Land,
in dem Terrorismus jahrelang diese Rolle innehatte. Die oftmals von den
Medien geschürte Angst wurde von der Regierung genutzt, um einige der
bürgerrechtswidrigsten Gesetze der westlichen Welt einzuführen und
(mehrheitlich muslimische) Flüchtlinge jahrelang in menschenrechtswidrige
Lager zu sperren.
## Kohleausbau und minimale Klimazielpläne
Es ist auch eine Entwicklung, die offenbar an der konservativen
Regierungskoalition vorbeigegangen ist. „Australien ist das beste Land der
Welt!“, ruft Scott Morrison seinen Anhängern zu. Es gäbe deshalb keinen
Grund, etwas zu ändern. In ihrem Wahlprogramm postuliert die Regierung
praktisch Stillstand, was Australiens Kampf gegen den Klimawandel angeht.
Um den Verpflichtungen des Pariser Klimaabkommens nachzukommen, will sie
die Emissionen bis 2030 um 26 Prozent verringern (gemessen am Niveau von
2005). Experten sagen, dass diese minimalen Pläne nicht ausreichten, um das
Klimaziel auch nur annähernd erreichen zu können. Denn gleichzeitig will
Morrison am Ausbau der Kohleindustrie festhalten; sowohl für den Export –
wie im Fall der Adani-Mine – als auch für den Eigenbedarf.
Heute produziert Australien 61 Prozent seines Stroms mit dem Verbrennen von
Kohle. Das soll weiter so bleiben, trotz einer Zunahme des Anteils
erneuerbarer Energien. Die Haltung der Regierung ist, dass „wir beim
Klimaschutz nicht die Führung übernehmen sollten und damit unseren
Wohlstand gefährden. Denn wir sind nur für einen Bruchteil der Emissionen
verantwortlich“, so Energieminister Angus Taylor gegenüber der taz.
Australien produziert 1,6 Prozent der globalen Klimagase.
Labor-Chef Bill Shorten dagegen hat Klimapolitik zu einem Kernstück seines
„Vorschlags für den Wechsel“ gemacht. Er will die Emissionen um 45 Prozent
reduzieren, was laut der Forschungsgruppe Climate Analytics allerdings auch
nur gerade so ausreiche, damit Australien „seine Rolle bei der Limitierung
des globalen Temperaturanstiegs auf 1,5 Grad Celsius spielen“ könne. Zudem
sollen erneuerbare Energien mittels massiver Subventionen gefördert werden,
auf von heute 12 Prozent am Strommix auf 50 Prozent im Jahr 2030.
## Unsichere Zukunft für Kinder
Laut dem Wirtschaftsprofessor Ross Garnaut könnte Australien problemlos
seinen gesamten Bedarf mit Wind-, Solarenergie und anderen regenerativen
Stromquellen decken. Auf große Kritik der Regierung stößt Shortens Plan,
die Abgasemissionen von Fahrzeugen zu reduzieren. Und auch die Ökonomin
Danielle Wood von der Denkfabrik Grattan Institute kritisiert, dass auch
die von Labor präsentieren Maßnahmen nicht genug seien, um die drohende
Klimakatastrophe abzuwenden. „Es fehlen beispielsweise Pläne für einen
Emissionshandel“, so die Expertin. Als eine der reichsten Industrienationen
habe Australien die Pflicht, eine führende Rolle bei der weltweiten
Entwicklung sauberer, neuer Energieformen einzunehmen.
Derweil überlegt sich Carla Sharp, ob sie angesichts der unsicheren Zukunft
überhaupt Kinder haben solle. „Ich bin nicht die Einzige. Viele in meinem
Freundeskreis diskutieren, ob wir das Recht haben, ein Kind solchen
Gefahren auszusetzen.“ Die Studentin weist darauf hin, dass Australien
bereits so stark unter den Folgen der globalen Erwärmung leide wie kein
anderes Industrieland. „Unser Barrier Reef bleicht aus, wir sind mit immer
stärkeren Wirbelstürmen konfrontiert. Dürre wird zum Dauerzustand. Und
unsere Flüsse sind ausgetrocknet. Trotzdem weigert sich Bill Shorten, die
Pläne für die Adani-Mine zu verbrennen, falls er am Samstag Premierminister
wird.“
17 May 2019
## AUTOREN
Urs Wälterlin
## TAGS
Australien
Kohleindustrie
Parlamentswahlen
Erstwähler
Indien
Australien
Schwerpunkt Klimawandel
Australien
Museum für Völkerkunde
Rugby
Australien
## ARTIKEL ZUM THEMA
Parlamentswahl in Indien: Modi sieht sich als Sieger
Es sind noch nicht alle Stimmen ausgezählt, Anhänger der regierenden BJP
bejubeln aber schon die vorläufigen Zahlen. Kritik kommt von der
Opposition.
Wahlsieg Konservativer in Australien: Suizid-Welle im Flüchtlingslager
Die konservative Koalitionsregierung in Australien wurde überraschend
wiedergewählt. In einem Lager nahmen sich mehrere Geflüchtete nun das
Leben.
Kommentar Wahlausgang in Australien: Grillparty der Klimasünder
Australien ist stark vom Klimawandel betroffen. Die wiedergewählten
Konservativen werden nichts an den CO2-Emmissionen des Landes ändern.
Parlamentswahl in Australien: Mitte-Rechts-Bündnis regiert weiter
Vor der Parlamentswahl in Australien lag die Labor-Opposition in allen
Umfragen vorn. Letztlich gewinnt aber das amtierende Mitte-Rechts-Bündnis.
Rückgaben aus Kolonialzeiten: „Wir bringen sie zurück nach Hause“
In der australischen Botschaft in Berlin wurden menschliche Gebeine an
Vertreter*innen der Yawuru Community übergeben.
Homophobie im Rugby: Denn er wusste, was er tat
Auf dem Feld ist Israel Folau ein Held, außerhalb äußert er sich abfällig
über Homosexuelle. Nun wurde der australische Rugby-Star suspendiert.
Nach Moscheen-Anschlag in Neuseeland: Australien ahndet Terrorvideos
Internetplattformen sollen jetzt für Terrorinhalte zur Verantwortung
gezogen werden können. Es drohen hohe Geldstrafen oder Haft.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.