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# taz.de -- Autorin Inge Deutschkron: Die couragierte Aufklärerin
> Inge Deutschkron ist eine leidenschaftliche Journalistin. Nun sind ihre
> Artikel über den Auschwitz-Prozess in sorgsam editierter Buchform
> erschienen.
Bild: Die deutsch-israelische Journalistin und Autorin Inge Deutschkron währen…
Sie trug den gelben Stern und auch den Zwangsnamen Sara. Sie überlebte die
Judenverfolgung in Berlin, mehr als zwei Jahre versteckt in der
Illegalität, ständig von Denunziation und Deportation bedroht: Die Rede ist
von der 96-jährigen Journalistin und Autorin Inge Deutschkron.
Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus, ab 1946 in England lebend, nach
Reisen auf dem indischen Subkontinent und Asien entschloss sie sich Mitte
der fünfziger Jahre, nach Westdeutschland zurückzukehren und als
Journalistin über und aus der Bonner Republik zu berichten. Jenem
verstockten deutschen Obrigkeitsstaat, in dem die Forderung nach einem
„Schlussstrich“ bereits als Fanfare einer breiten Öffentlichkeit erscholl,
die sich ihrer verbrecherischen NS-Vergangenheit nicht zu stellen bereit
war und wo Nazis erneut in führenden Positionen saßen.
Kann es erstaunen, dass Inge Deutschkron, die ausgegrenzte und verfolgte
Jüdin, Hans Globke, den Mitverfasser und Kommentator der „Nürnberger
Rassengesetze“, späteres CDU-Mitglied und damaligen Staatssekretär von
Bundeskanzler Konrad Adenauer, öffentlich einen „Schweinehund“ nannte?
Deutschkrons Rückkehr nach Bonn war, wie sie es selbst ausdrückte, eine
„Reise zu meinem Beruf“. Zuerst als freie Journalistin arbeitend, schrieb
sie bald auch als Korrespondentin der israelischen Zeitung Ma’ariv.
## Präzise Reportagen
Für diese Tageszeitung berichtete sie von Oktober 1963 bis zum August 1965
vom Frankfurter Auschwitz-Prozess. Kontinuierlich nahm sie als
Prozessbeobachterin an dem „Strafverfahren gegen Mulka u. a.“ teil, benannt
nach dem Hamburger Export-Kaufmann Robert Mulka, Adjutant des
Lagerkommandanten von Auschwitz, Rudolf Höß.Gebannt folgte sie den
Verhandlungen, stenografierte ihre Beobachtungen, tippte ihre Texte in
englischer Sprache in die Schreibmaschine, um sie nach Tel Aviv zu
telegrafieren, wo sie ins Hebräische übersetzt wurden. Diese belastenden,
unter enormem Zeitdruck verfassten Berichte erscheinen nun erstmals, aus
dem Englischen übertragen und herausgegeben von der Historikerin Beate
Kosmala, in Buchform.
Präzise und fast emotionslos versuchte Inge Deutschkron durch ihre
Gerichtsreportagen einer israelischen Leserschaft die Geschehnisse in
Auschwitz zu schildern. Erfüllt von der Hoffnung, dass der Frankfurter
Prozess der juristischen Aufarbeitung der Verbrechen in Auschwitz und der
Bestrafung der Täter dienen werde, beschrieb sie detailliert das Verhalten
der Verteidiger, allen voran deren Hauptprotagonisten Hans Laternser, den
sie wegen seines Verhaltens gegenüber den Zeugen wiederholt und unverhohlen
als „Nazi-Anwalt“ oder „Nazi-Juristen“ bezeichnete.
Auch wenn ihre Aufzeichnungen kein Wortprotokoll darstellen, versuchte Inge
Deutschkron, den Verlauf der Verhandlungstage durch dialogische Sequenzen
wie szenische Skizzierung wiederzugeben. Mit den wissenschaftlichen
Gutachten der Historiker vom Institut für Zeitgeschichte in München war sie
ebenso unzufrieden wie der Korrespondent des Norddeutschen Rundfunks, Axel
Eggebrecht; beide bemängelten, dass nur unzureichend die Bedeutung der IG
Farben, die Rolle anderer deutscher Firmen und Profiteure bei der
Ausbeutung der Auschwitz-Häftlinge aufgedeckt wurde.
Deutschkrons ganze Sympathie gilt den Hunderten Zeugen, die aus
verschiedenen europäischen Ländern wie auch aus Israel ins Land ihrer
Mörder und Peiniger gereist waren, um trotz aller Traumata und psychischen
Belastungen vor Gericht auszusagen. Auch mit dem zeitlichen Abstand von
mehr als 50 Jahren erschüttern diese Zeugenaussagen, versagt die
Vorstellungskraft angesichts der immer und immer wieder geschilderten
unmenschlichen Grausamkeiten im Lageralltag.
## Wichtige Zeitdokumente
Eine besondere Würdigung in ihren Berichten erfuhr der Vertreter der
Nebenkläger, der aus Kassel stammende Henry Ormond, dessen Initiative es zu
verdanken war, dass das Gericht im Dezember 1964 in Auschwitz eine
Ortsbesichtigung vornahm, an der dann auch Inge Deutschkron teilnahm. Das
Urteil des Frankfurter Gerichts vom August 1965 kommentierte sie mit
Enttäuschung und kritisierte „die Unzulänglichkeit des deutschen
Strafrechts, um Verbrechen, wie sie in Auschwitz verübt worden waren,
adäquat zu bestrafen.“
Noch im selben Jahr veröffentlichte Inge Deutschkron ihr Buch „… denn ihrer
war die Hölle“ über Kinder in Gettos und Lagern. Im Vorwort schrieb sie:
„Keiner von uns Journalisten, der über einen längeren Zeitraum hinweg im
Gerichtssaal von Frankfurt zugegen war, dürfte am Ende des Prozesses der
gleiche Mensch geblieben … sein.“
Ihre jetzt von Beate Kosmala sorgsam edierten Prozessberichte stellen
wichtige Zeitdokumente dar, geschrieben von einer couragierten Frau und
leidenschaftlichen Aufklärerin.
17 May 2019
## AUTOREN
Wilfried Weinke
## TAGS
Holocaust
Auschwitz-Prozess
Zeitzeugen
Überlebende
Auschwitz
NS-Gedenken
Holocaust
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