| # taz.de -- Algerischstämmiger Jude wird geehrt: Der Wasserfreund | |
| > Spät wird Alfred Nakache in die Ruhmeshalle des Schwimmsports | |
| > aufgenommen. Er überlebte Auschwitz und schwamm auch nach 1945 weiter. | |
| Bild: Ein Foto aus dem Jahr 1946 – erst im Jahr zuvor wurde Alfred Nakache au… | |
| Die jährliche Feier in der Ruhmeshalle des Schwimmens ist das soziale | |
| Highlight des Schwimmsports, lebende Legenden von Mark Spitz bis Michael | |
| Phelps reisen Mitte Mai nach Florida, um das Wochenende am Beckenrand des | |
| dortigen Schwimm-Leistungszentrums zu verbringen, Cocktails zu trinken und | |
| alte Geschichten auszutauschen. Bei einer Gala werden dann schließlich, wie | |
| bei den Oscars, die Verdienstreichsten der Branche geehrt. | |
| Zu den Geehrten in diesem Jahr gehören die deutsche Kraulsprinterin Britta | |
| Steffen, ihr US-Kollege Jason Lezak und die australische Lagenspezialistin | |
| Stephanie Rice, allesamt Goldmedaillengewinner bei den Spielen von 2008. | |
| Keiner der drei ist eine Überraschung, jeder, der sich ein wenig mit | |
| Schwimmen auskennt, gönnt ihnen die Ehre. Ein Name auf der Liste der | |
| Ruhmreichen ruft jedoch selbst bei ausgewiesenen Schwimmkennern | |
| Stirnrunzeln hervor: Alfred Nakache. | |
| Dass heute kaum mehr jemand Nakache kennt, liegt nicht zuletzt auch daran, | |
| dass seine ruhmreichen Zeiten mehr als 70 Jahre zurückliegen. Trotzdem ist | |
| es kaum verzeihlich, dass der algerischstämmige Jude, der sowohl bei den | |
| Olympischen Spielen 1936 als auch bei den ersten Nachkriegsspielen 1948 | |
| Medaillen gewann, derart in Vergessenheit geraten war. | |
| Der Lebenslauf von Alfred Nakache sucht unter den Sportler-Biografien des | |
| 20. Jahrhunderts ihresgleichen. Soweit bekannt, ist Nakache der einzige | |
| Auschwitz-Überlebende, der sowohl vor als auch nach 1945 an Olympischen | |
| Spielen teilgenommen hat. Seine Geschichte ist ein einzigartiges Lehrstück | |
| über die Liebe zum Leben und die heilende Kraft des Sports. | |
| ## Nakache stieg zu französischem Pop-Star auf | |
| Nakache wurde 1915 in Constantine in Zentralalgerien geboren, seine Eltern | |
| waren Angehörige eines wachsenden jüdischen Bürgertums in Nordafrika, | |
| dessen Loyalität zur französischen Republik, wie die französische Zeitung | |
| Libération schreibt, deutlich stärker war als diejenige zum Judentum. | |
| Nakache fiel als Heranwachsender im Sport-Club von Constantine nicht nur | |
| durch seine ungewöhnlich athletische Erscheinung auf, sondern auch durch | |
| seinen Kameradschaftsgeist sowie sein jugendliches Rebellentum. | |
| So wurde er bei den nordafrikanischen Meisterschaften disqualifiziert, weil | |
| er beim Brustschwimmen die Arme über Wasser nach vorne führte. Später | |
| bescherte diese Technik ihm einen Weltrekord und revolutionierte das | |
| Beckenschwimmen. | |
| Der Champion aus Constantine wurde bald nach Paris eingeladen, und als der | |
| gut aussehende junge Mann dort seine Kunst zeigte, war das Publikum aus dem | |
| Häuschen. Der Club de France rekrutierte ihn vom Fleck weg, und Nakache | |
| stieg zu einem veritablen französischen Pop-Star auf. Ab 1933 gewann er | |
| eine französische Meisterschaft nach der anderen, errang Medaillen bei | |
| Europameisterschaften und bei den Makkabi-Spielen in Tel Aviv. Seine Fotos | |
| zierten die Titelseiten der Pariser Magazine, und wenn er ins Becken | |
| sprang, dann füllten sich die Ränge. | |
| So war Nakache auch einer der Stars der französischen Olympiamannschaft, | |
| die 1936 nach Berlin fuhr. Das damals noch sozialistische Frankreich hatte | |
| sich mit dem Gedanken an einen Boykott der Hitler-Spiele getragen, und als | |
| die französische 4x200-Meter-Staffel, mit dem Juden Nakache an der Spitze, | |
| das deutsche Quartett besiegte, jubelte das ganze Land. | |
| ## Der Druck des Nazi-Regimes holte ihn ein | |
| Nakaches immense Beliebtheit in Frankreich schützte ihn zunächst auch noch | |
| über die deutsche Besatzung hinaus. [1][Als algerischer Jude] verlor er | |
| 1941 zwar seine französische Staatsangehörigkeit. Er musste nach Toulouse | |
| in die freie Zone ziehen, konnte dort jedoch weiterhin ungestört trainieren | |
| und seinen Beruf als Sportlehrer ausüben. | |
| Doch der Druck des Nazi-Regimes und der Vichy-Regierung holte auch Nakache | |
| schließlich ein. 1943 wurde ihm untersagt, an den französischen | |
| Meisterschaften teilzunehmen, auch ein Solidaritätsboykott von 26 | |
| Mitschwimmern half nicht. Die gleichgeschaltete französische Presse | |
| denunzierte ihn zunehmend und sprach davon, „dass der Jude französische | |
| Gewässer verschmutzt“. Am 20. Dezember 1943 wurde Nakache dann mitsamt | |
| seiner Tochter Annie und seiner Frau Paule verhaftet und im Januar 1944 | |
| nach Auschwitz deportiert. | |
| Wie Nakache erst nach dem Krieg erfuhr, wurden Paule und Annie noch am Tag | |
| ihrer Ankunft ermordet. Nakache hingegen überlebte Auschwitz – zum Teil | |
| dank der Hoffnung, seine Familie wiederzusehen, wie die Zeitung Libération | |
| schreibt, zum Teil dank seiner außergewöhnlichen physischen Konstitution. | |
| Im Lager muss Nakache für die Nazis, die ihn noch als Champion von 1936 | |
| kennen, durch Kloakenwasser schwimmen und wie einen Hund Stöckchen holen. | |
| Es soll eine Art Revanche für die Schmach von Berlin sein. Nach der Räumung | |
| von Auschwitz ist Nakache einer der wenigen Gefangenen, die den | |
| Todesmarsch nach Buchenwald überleben. | |
| Als Nakache im Jahr 1945 aus Buchenwald befreit wird, wiegt der einstige | |
| Modellathlet gerade noch 40 Kilogramm. Dennoch nimmt er unmittelbar nach | |
| seiner Rückkehr nach Toulouse wieder das Schwimmtraining auf und tritt eine | |
| neue Stelle als Sportlehrer an. | |
| Man kann nur spekulieren, was ihn in dieser Zeit angetrieben hat. Darüber | |
| gesprochen hat er, wie sein Bruder im französischen Dokumentarfilm „Le | |
| Nageur d’Auschwitz“ aus dem Jahr 2001 berichtet, nur selten. So, wie er | |
| überhaupt nur ungern über Auschwitz und die Nazi-Zeit sprach. Nakache | |
| wollte nach vorne schauen, er wollte leben. Und vielleicht war der Schmerz | |
| auch einfach nur zu groß, als dass er ihn hätte zulassen können. | |
| Man kann jedoch mit Sicherheit davon ausgehen, dass das Schwimmen Nakache | |
| dabei half, den Verlust seiner Familie und das Trauma von Auschwitz zu | |
| bewältigen. Das Wasser erlaubte es Nakache in jeder Hinsicht, wieder Mensch | |
| zu werden. Nur ein Jahr nach der Befreiung aus Buchenwald schwamm Alfred | |
| Nakache mit der französischen Nationalstaffel einen Weltrekord. Bei den | |
| Olympischen Spielen von 1948 trat er für Frankreich sowohl im Schwimmen als | |
| auch im Wasserball an. Das Team kam auf den sechsten Platz, Nakache wurde | |
| Zwölfter über 200 Meter Brust. | |
| Mitte der 50er Jahre zog sich Nakache dann endgültig vom | |
| Wettkampfschwimmen zurück. Das Wasser blieb jedoch bis zu seinem Lebensende | |
| seine Leidenschaft und seine Zuflucht. In Marseille, wo er sich schließlich | |
| mit seiner neuen Frau niederließ, schwamm er jeden Morgen eine Stunde lang | |
| im Meer. Bis zu jenem tragischen Tag im Jahr 1983, an dem er während des | |
| Schwimmens einen Herzinfarkt erlitt und ertrank. | |
| Am Ende des Dokumentarfilms über Nakache ist ein Privatstreifen aus den | |
| 70er Jahren zu sehen, in dem Nakache mit Kindern am Strand der | |
| französischen Tropeninsel La Réunion spielt. Die französische Regierung | |
| hatte ihn ein Jahr lang dorthin delegiert, um zu unterrichten. Der Clip | |
| strahlt das perfekte Glück aus – Nakache ist am und im Wasser auf einem | |
| paradiesischen Eiland und bringt Kindern den Sport bei, den er liebt. Es | |
| ist das extreme Gegenteil von Auschwitz und ein Moment, den man dem | |
| großen Sportler beim Zusehen so sehr gönnt, wie niemandem sonst auf der | |
| Welt. | |
| 21 May 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Sebastian Moll | |
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