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# taz.de -- Buchnacht in Kreuzberg: Und dann eine bewegtere Passage
> Am Samstag findet in der Oranienstraße die Lange Buchnacht statt. Die
> neuen Organisatoren hätten die Veranstaltung gern politischer.
Bild: Selbst lesen darf man auch bei der Buchnacht
Die Kneipe ist derart proppenvoll, dass die Tür nicht mehr zugeht. Der
Autor vorn, den man nur hören, nicht aber sehen kann, hat es schwer, gegen
den Lärm anzulesen, nimmt’s aber mit Humor. Er unterbricht, blättert ein
wenig weiter, sucht eine passendere Orchestrierung für die Kulisse, liest
mit erhobenerer Stimme eine bewegtere Passage seines Buches vor, eine, in
der sich zwei streiten und ein Motor aufheult, und alle hören wieder zu. Es
sind Szenen wie diese, die einem sofort einfallen, wenn man auch nur einmal
die Lange Buchnacht in der Kreuzberger Oranienstraße miterlebt hat.
Die Lange Buchnacht, die zum ersten Mal 1998 stattfand, ist Berlins älteste
und größte unabhängige Literaturveranstaltung dieser Art.
Sie ist auch eine der originellsten Straßenpartys, denn selbst, wenn sie an
die 20.000 Besucher in die Buchhandlungen, Bibliotheken, Kirchen,
Kindergärten, Bars und Restaurants entlang der Straße lockte, hatte man als
Besucher selten das Gefühl, in eine literarische Großveranstaltung geraten
zu sein, oder dass Menschen hektisch von Laden zu Laden rennen, um gezielt
das Beste absahnen zu wollen. Eher wirkte das Publikum, als wohne es
einfach hier und wolle entspannt bummeln, unterwegs essen, hier und da
verweilen und zuhören, wenn es sich lohnt.
## Kreuzberg jetzt hip
Darum war die Trauer groß, als der Verein Lange Buchnacht, der sich vor
allem aus Buchhändlern aus dem Kiez zusammensetzt, im Mai 2018 bekannt gab,
aufgeben zu wollen. Der ursprüngliche Grund für den Lesemarathon habe sich
überholt, hieß es. Kreuzberg sei jetzt „hip“.
Für die neuen Organisatoren dagegen, die sich daraufhin zur Übernahme
meldeten, war die Gentrifzierung im Kiez eher ein Grund, an der Langen
Buchnacht festzuhalten als sie abzuschaffen. Die Theaterpädagogin Anna Koch
und der Bühnenbildner, Regisseur und Galerist Moritz Pankok wissen, wie es
bestellt ist in ihrem Viertel. Seit Anfang 2018 leiten sie im Kollektiv mit
vier weiteren Theatermachern das tak [1][Theater Aufbau Kreuzberg] im
Aufbauhaus, Pankok kuratiert außerdem die Ausstellungen in der Galerie Kai
Dikhas, in der zeitgenössische KünstlerInnen der Sinti und Roma aus ganz
Europa zu sehen sind. Beide gehören außerdem zu den Gründungsmitgliedern
des Bündnisses Die Vielen, das bundesweit Zeichen setzt für Solidarität
unter Kulturschaffenden, die es zunehmend mit Interventionen von Rechts zu
tun bekommen. „Wir fanden, dass wir dem Stadtteil etwas schuldig sind“,
sagen sie und beschreiben die Lange Buchnacht nach wie vor als sehr passend
zu ihrer Straße. „Die Veranstaltung ist ja nicht kuratiert“, sagt Pankok.
„Es gibt nur eine Deadline, jeder kann sich anmelden“, fügt Koch an. „Wir
achten eigentlich nur darauf, dass es keine rechten Inhalte gibt.“
Tatsächlich lässt das, was sich da im Programm der 21. Langen Buchnacht
angesammelt hat, Hoffnung aufkommen für die Zukunft der Oranienstraße:
Wieder sind es über 60 Veranstaltungen an über 25 Orten, die die Leute bei
freiem Eintritt am Samstag auf die Straße und in die Locations locken
sollen. Es gibt Kleines und Großes, es gibt Lesungen aus Esoterik-Büchern,
aber auch Namen wie Jan Wagner und Ines Geipel. [2][Florian Günther], der
Verleger der zu unrecht wenig bekannten Zeitschrift Drecksack, liest
Gedichte vor. Der [3][Guggolz Verlag] stellt sich vor, ein Ein-Mann-Verlag,
der sich auf Wiederentdeckungen und Neuübersetzungen aus Ost- und
Nordeuropa spezialisiert hat.
Alles beim Alten also bei der Langen Buchnacht? „Na ja“, sagen Anna Koch
und Moritz Pankok. „Ein wenig Einfluss nehmen auf das Programm kann man ja
schon“, erklären sie, „man kann zum Beispiel seine eigenen Netzwerke
nutzen.“ Denn auch, wenn sie den Charme der Buchnacht sehr schätzen: Koch
und Pankok hätten die Veranstaltung gern politischer. Kreuzberg sei ein
Bezirk mit viel Geschichte, „da könnte es auf der Buchnacht neben
literarischer Unterhaltung ruhig etwas politischer zugehen.“
Und so kommt es, dass es etwa in ihrem Theater, im tak, eine Veranstaltung
einer mobilen Berliner Beratung gegen Rechtsextremismus geben wird.
18 May 2019
## LINKS
[1] http://tak-berlin.de/
[2] /!5525411&s=florian+g%C3%BCnther/
[3] http://www.guggolz-verlag.de/
## AUTOREN
Susanne Messmer
## TAGS
Buch
Stadtleben
Bücher
Berlin-Kreuzberg
Kriminalliteratur
Mietrecht
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ihres Bestehens nichts an Charme verloren. Am Samstag tummelten sich über
15.000 Besucher bei über 100 Lesungen gepaart mit Fußballlärm - und
lauschten meist überaus gebannt.
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