| # taz.de -- Regierungskrise in Österreich: Wien betritt politisches Neuland | |
| > Nach dem Ausstieg der FPÖ aus der Regierung sollen Experten die vakanten | |
| > Posten besetzen. Die SPÖ verlangt die Abberufung der gesamten Regierung. | |
| Bild: Rausgeworfen: Herbert Kickl | |
| Wien taz | Herbert Kickl verabschiedete sich mit einer Bosheit. Wenige | |
| Stunden bevor Bundespräsident Alexander Van der Bellen ihn auf Vorschlag | |
| von Österreichs Kanzler Sebastian Kurz als Innenminister aus seinem Amt | |
| entließ, verabschiedete er eine Verordnung, die für Asylwerber einen | |
| Stundenlohn von 1,50 Euro festschreibt. In der ÖVP hatte es gewichtige | |
| Stimmen gegen diese Schikane gegeben, eine Übergangsregierung hätte das | |
| Dekret kaum in Kraft gesetzt. | |
| Noch bevor Kickl offiziell abberufen wurde, hatten die anderen | |
| [1][FPÖ-Kabinettsmitglieder ihre Büros geräumt] – mit Ausnahme von | |
| Außenministerin Karin Kneissl, die kein Parteimitglied ist. Die vakanten | |
| Posten werden jetzt mit unabhängigen Experten, wahrscheinlich Beamten, | |
| besetzt, wenn es nach Sebastian Kurz geht. | |
| SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner sieht das anders. Nach einer Unterredung mit | |
| Bundespräsident Alexander Van der Bellen verlangte sie den Rücktritt der | |
| kompletten Regierung. Sie hält „nur eine Übergangsregierung mit Experten | |
| für alle Regierungsämter, auch den Bundeskanzler, für eine gute tragfähige | |
| Lösung“, um „wieder Ruhe und Stabilität einkehren zu lassen“. Deswegen … | |
| sie nächsten Montag, wenn der Nationalrat zu einer Sondersitzung | |
| zusammentritt, einen Misstrauensantrag der Liste „Jetzt“ gegen die gesamte | |
| Regierung unterstützen. | |
| Es könnte sich jetzt rächen, dass Kurz die Sozialdemokraten immer mit | |
| Verachtung gestraft hat. Appelle der ÖVP an die „staatspolitische | |
| Verantwortung“ wies der Präsident des Österreichischen Gewerkschaftsbundes | |
| (ÖGB), Wolfgang Katzian, daher zurück. Er sprach von „allen möglichen | |
| Anrufen“, die er in der Nacht bekommen habe. Aber das komme reichlich spät. | |
| „17 Monate hat man uns behandelt wie ein Flankerl, das man wegputzen muss.“ | |
| ## „Eleganz und Schönheit“ der Verfassung | |
| Wenn auch die FPÖ den Misstrauensantrag unterstützt, muss auch Kurz seinen | |
| Posten räumen. Statt weiter um die Welt zu jetten und beim Handshake mit | |
| den Reichen und Mächtigen zu posieren, müsste er dann als einfacher | |
| Fraktionschef und Architekt eines gescheiterten Experiments in den | |
| Wahlkampf gehen. | |
| Österreich würde sich mit einer Expertenregierung auf politisches Neuland | |
| begeben. Werner Zögernitz vom Institut für Parlamentarismus und | |
| Demokratiefragen meinte im Ö1-„Morgenjournal“ am Dienstag, die Parteien | |
| müssten sich entscheiden, ob sie „parteipolitisch oder staatspolitisch“ | |
| handeln. Angesichts der auch international heiklen Situation glaube er, sie | |
| würden ihre staatspolitische Verantwortung wahrnehmen. | |
| Bei der FPÖ ist der Meinungsbildungsprozess noch nicht abgeschlossen. | |
| Während sich Kickl, der der ÖVP „Machtbesoffenheit“ vorwirft, in einem | |
| Interview schon gegen Kurz ausgesprochen hat, gibt sich Norbert Hofer, der | |
| interimistische Nachfolger von Parteichef Strache, abwartend. Er will die | |
| Meinung der Basis in den Bundesländern einholen. Möglicherweise will man | |
| auch das Abschneiden bei den EU-Wahlen abwarten. | |
| Bundespräsident Van der Bellen würde ein solches Experiment nicht schätzen. | |
| „Jetzt zeigt sich die Eleganz und Schönheit unserer Bundesverfassung“, die | |
| auf alle Fragen eine Antwort gebe. Er erwartet jetzt eine Liste von | |
| „fachlich qualifizierten und untadeligen Persönlichkeiten“. | |
| Sollte wirklich ein Übergangskanzler ernannt werden müssen, wäre das | |
| genauso politisches Neuland wie ein erfolgreicher Misstrauensantrag. | |
| Personen, die die nötige politische Erfahrung mitbringen und von allen | |
| Parteien akzeptiert werden, sind rar gesät. | |
| Werner Kogler brachte den ehemaligen EU-Agrarkommissar Franz Fischler ins | |
| Spiel. Der steht allerdings für die alte ÖVP, die von Sebastian Kurz | |
| ausgebootet wurde. Auch der Name Gerhart Holzinger, jüngst pensionierter | |
| Präsident des Verfassungsgerichtshofes, wurde genannt. Ex-Bundespräsident | |
| Heinz Fischer hat am Montag Ambitionen auf diesen heiklen Posten | |
| dementiert. | |
| Kurz wird mit konkreten Vorschlägen für die Besetzung der bisher von der | |
| FPÖ geführten Ministerien zum Bundespräsidenten gehen. Der hat laut | |
| Verfassung zwar freie Hand, jede geeignete Person zu ernennen, dürfte aber | |
| einem Vorschlag zustimmen, der zur politischen Beruhigung beitragen kann. | |
| ## Spekulationen über Rauswurf | |
| Sebastian Kurz hat die Abberufung von Kickl damit begründet, dass dieser | |
| Generalsekretär der FPÖ war, als das Ibiza-Video entstand. Als Intimus von | |
| Heinz-Christian Strache muss er daher von dessen Plänen gewusst haben, | |
| Schwarzgelder über gemeinnützige Vereine in die Parteikasse zu schleusen. | |
| Es sei daher untragbar, dass er als Innenminister quasi gegen sich selbst | |
| ermittle. | |
| Kickl hält dieses Argument für vorgeschoben. Schließlich sei der | |
| Rechtsstaat auch bisher schon in der Lage gewesen, unabhängig gegen | |
| Funktionäre zu ermitteln. Es könne ja auch ein anderer FPÖ-Mann das | |
| Ministerium übernehmen. Dem habe die ÖVP nicht zugestimmt. | |
| Was die wahre Motivation für den Rauswurf des forschen Ministers ist, | |
| darüber kann nur spekuliert werden. Sicher ist, dass es Druck von | |
| ausländischen Geheimdiensten gab, die mit Österreich nicht kooperieren | |
| wollen. Sie fürchten, dass vertrauliche Informationen an Russland | |
| weitergegeben werden. | |
| Die Russland-Affinität der FPÖ wurde ja durch Straches Anbiederungen im | |
| Skandalvideo erneut bestätigt. Vielleicht steckt auch wirklich Machtkalkül | |
| dahinter, wie Kickl selber vermutet. Denn er hat brachial daran gearbeitet, | |
| die über Jahre aufgebauten Machtbastionen der ÖVP im Innenministerium zu | |
| schleifen. | |
| 21 May 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] /FPOe-Minister-treten-zurueck/!5597258 | |
| ## AUTOREN | |
| Ralf Leonhard | |
| ## TAGS | |
| Österreich | |
| Strache-Video | |
| Heinz-Christian Strache | |
| Herbert Kickl | |
| FPÖ | |
| Sebastian Kurz | |
| Österreich | |
| Strache-Video | |
| FPÖ | |
| Strache-Video | |
| Europawahl | |
| Alexander Van der Bellen | |
| Österreich | |
| Strache-Video | |
| Strache-Video | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Österreichs frühere Außenministerin: Kneissl heuert bei Russia Today an | |
| Kürzlich noch österreichische Chefdiplomatin, jetzt Kolumnistin bei Putins | |
| Propagandakanal: Karin Kneissl sorgt weiter für Schlagzeilen. | |
| Kommentar Rücktritte in Österreich: Achtung, das ist keine Staatskrise | |
| In Österreich mögen ranghohe Politiker bereit sein, die Republik zu | |
| verscherbeln. Doch keine Panik: Die österreichische Verfassung | |
| funktioniert. | |
| Der FPÖ-Skandal und die Folgen: Schnappt die „Ibiza-Falle“ zu? | |
| Deutsche und französische Rechtspopulisten könnten bei der EU-Wahl zulegen. | |
| Ein Sturz von Österreichs Kanzler Kurz schwächt Europas Konservative. | |
| Dystopischer Roman über Österreich: Nach der totalitären Wende | |
| Wer sich gerade über Österreich aufregt, möge diesen Krimi lesen: Franzobel | |
| blickt in „Rechtswalzer“ ins totalitäre Wien des Jahres 2024. | |
| Strache-Affäre: Whoah, we're going to Ibiza! | |
| Sich einmal wie Strache auf Ibiza fühlen: eine Zeitung will das möglich | |
| machen. Sie verlost einen Aufenthalt auf dem Anwesen. | |
| Regierungskrise in Österreich: Die SPÖ taktiert | |
| Ein Mißtrauensvotum könnte Österreichs Kanzler Sebastian Kurz sein Amt | |
| kosten. Wie die Sozialdemokraten abstimmen werden, ist noch unklar. | |
| Regierungskrise in Österreich: Kurz steht vor Misstrauensvotum | |
| Nur einen Tag nach der Europawahl soll das Parlament in Wien über einen | |
| Misstrauensantrag gegen Kanzler Sebastian Kurz abstimmen. Es geht um Rache. | |
| Kommentar Strache und die Folgen: Nur ein mittelmäßiger Gangster | |
| Das Strache-Video durchkreuzt das bürgerliche Bild der Rechten. So schaffen | |
| sie selbst die Öffentlichkeit, die sie nie wollten. | |
| Regierungskrise in Österreich: Kick den Kickl | |
| Nach Strache muss nun wohl auch Innenminister Kickl wegen der | |
| FPÖ-Korruptionsaffäre gehen. Kanzler Kurz forderte seine Entlassung. |