| # taz.de -- Information über Abtreibungen: Erneut Ärztinnen vor Gericht | |
| > Erstmals seit der Reform des § 219a stehen Mitte Juni zwei Ärztinnen in | |
| > Berlin vor Gericht. Es sind Proteste angekündigt. | |
| Bild: Protest gegen den Paragraf 219a | |
| Berlin taz | Im Juni werden sich erneut zwei Frauenärztinnen vor Gericht | |
| verantworten müssen, weil sie auf ihrer Webseite sachlich darüber | |
| informieren, dass sie Abtreibungen durchführen. Ihnen wird Verstoß gegen | |
| [1][Paragraf 219a Strafgesetzbuch] vorgeworfen. Dieser verbietet „Werbung | |
| für den Abbruch der Schwangerschaft“. Am 14. Juni müssten sie und ihre | |
| Kollegin zur Verhandlung erscheinen, bestätigte die [2][Berliner | |
| Gynäkologin Bettina Gaber] am Mittwoch der taz. | |
| „Auch ein medikamentöser, narkosefreier Schwangerschaftsabbruch in | |
| geschützter Atmosphäre gehört zu unseren Leistungen.“ Wegen dieses Satzes | |
| wurden Gaber und ihre Kollegin vor mehr als einem Jahr angezeigt. | |
| Inzwischen haben sie den Satz geändert: „Auch ein medikamentöser, | |
| narkosefreier Schwangerschaftsabbruch gehört zu den Leistungen von Frau Dr. | |
| Gaber“, steht nun auf der Seite. Die Staatsanwaltschaft habe ihr angeboten, | |
| das Verfahren einzustellen, wenn sie den Eintrag ganz von der Seite nimmt, | |
| sagte Gaber. Sie habe sich aber geweigert. | |
| Beide Sätze dürfte auch nach der im Februar beschlossenen Reform des | |
| Paragrafen 219a strafbar sein. Denn Ärzt*innen dürfen nun auf ihrer | |
| Webseite zwar schreiben, dass sie diese durchführen. Für jede weitere | |
| Information – wie etwa die Methoden – müssen sie aber auf andere Stellen | |
| verweisen. Dazu gehört eine Liste der Bundesärztekammer, die es aber noch | |
| nicht gibt. Man arbeite noch an der Umsetzung, erklärte die | |
| Bundesärztekammer. | |
| ## Hänel in Revision | |
| Grüne, Linke und FDP kritisieren die Neufassung des Gesetzes, der | |
| Juristinnenbund hält sie nach wie vor für verfassungswidrig. Bei einer | |
| Veranstaltung des Deutschen Frauenrats am Mittwoch sagte die ehemalige | |
| Gesundheitsministerin Rita Süssmuth (CDU), den Frauen werde unterstellt, | |
| „dass wir nicht in der Lage sind, zwischen Information und Werbung zu | |
| unterscheiden“. | |
| Die Debatte um den Paragrafen war 2017 wegen der Anklage und Verurteilung | |
| der Gießener [3][Ärztin Kristina Hänel] entbrannt. Ihre Revision liegt | |
| derzeit beim Oberlandesgericht in Frankfurt, wo kürzlich ihre | |
| Revisionsbegründung einging. Nun entscheidet das Gericht nach Aktenlage, | |
| also ohne öffentliche Verhandlung. | |
| „Ich werbe nicht, ich informiere über eine Methode, die ich anwende“, sagte | |
| Gaber der taz. Das gehöre zu ihrem Recht auf freie Berufsausübung sowie zum | |
| Recht auf Informationsfreiheit der Frauen. Echte Rechtssicherheit gebe es | |
| „eben nur ohne den 219a“, erklärte Cornelia Möhring von der Linksfraktion. | |
| Gut wäre eine klare Entscheidung des Gerichts „im Sinne der Ärztinnen“, | |
| sagte Ulle Schauws (Grüne). „Ich befürchte, das wird nicht der Fall sein.“ | |
| Der „wachsweiche Kompromiss“ habe „keinerlei Klarheit“ geschaffen, | |
| kritisiert auch die stellvertretende FDP-Vorsitzende Katja Suding. Alle | |
| drei Fraktionen fordern weiterhin die Streichung des Paragrafen. | |
| Aktivist*innen kündigten für den Prozesstag Proteste an. | |
| ## Ein Fall fürs Verfassungsgericht? | |
| Wird ein Gesetz geändert, bevor in einem Fall entschieden ist, „so ist das | |
| mildeste Gesetz anzuwenden“, heißt es im Strafgesetzbuch. Das Berliner | |
| Gericht hat nun zwei Möglichkeiten: Es kann im Fall Gaber und ihrer | |
| Kollegin das neue Gesetz anwenden. Oder es legt den Fall wegen | |
| verfassungsrechtlicher Bedenken dem Bundesverfassungsgericht vor. | |
| Solche Bedenken hatte die Berliner Staatsanwaltschaft in einem Vermerk in | |
| Gabers Akte angebracht – allerdings noch mit Bezug auf die alte Rechtslage. | |
| Ob sie nach der Reform aus dem Weg geräumt sind, entscheidet im Juni das | |
| Gericht. | |
| Das gleiche gilt für Kristina Hänels Fall: Sollte sie nach neuer Rechtslage | |
| verurteilt werden, wäre dies rechtskräftig. Hänel müsste dann die | |
| Informationen von [4][ihrer Webseite] nehmen, weil sie sonst immer wieder | |
| angezeigt werden könnte. Hänel kündigte für diesen Fall an, | |
| Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht einzureichen. „Die | |
| Vorbereitungen dafür laufen“, sagte ein Vertrauter Hänels. | |
| Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Textes wurde nur | |
| der aktuelle Eintrag auf Bettina Gabers Webseite zitiert. Wir haben das | |
| geändert. | |
| 22 May 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Dinah Riese | |
| Patricia Hecht | |
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