| # taz.de -- Urteil zum Abtreibungsparagrafen §219a: Geldstrafe für Gynäkolog… | |
| > Zwei Frauenärztinnen sind verurteilt worden, weil sie im Netz über | |
| > Schwangeschaftsabbrüche informierten. Sie sollen jeweils 2000 Euro | |
| > zahlen. | |
| Bild: Lieber komplett streichen: Protest gegen Paragraf 219a (Archivbild) | |
| Berlin taz | Als die Richterin das Urteil verliest, stützt Frauenärztin | |
| Bettina Gaber ihr Gesicht auf die geballten Fäuste und starrt auf die | |
| Tischplatte. Aus Sicht des Amtsgerichts Berlin-Tiergarten haben Gaber und | |
| ihre Kollegin Verena Weyer unzulässig für den Abbruch von Schwangerschaften | |
| geworben. Sie werden am Freitag jeweils zu einer Geldstrafe von 2.000 Euro | |
| verurteilt – 20 Tagessätze zu je 100 Euro. | |
| Es ist das erste Urteil wegen Verstoßes gegen den umstrittenen Paragraf | |
| 219a Strafgesetzbuch, seit der Bundestag [1][im Februar eine Reform des | |
| Gesetzes beschlossen hat]. Angezeigt hatten radikale Abtreibungsgegner die | |
| Ärztinnen noch nach der alten Rechtslage, und zwar wegen eines Satzes auf | |
| der Webseite der Gemeinschaftspraxis: „Auch ein medikamentöser, | |
| narkosefreier Schwangerschaftsabbruch in geschützter Atmosphäre gehört zu | |
| unseren Leistungen.“ Damals war es verboten, dass Ärzt*innen öffentlich | |
| darüber informieren, dass sie einen Schwangerschaftsabbruch durchführen. | |
| Seit der Reform dürfen sie öffentlich erklären, dass sie Abbrüche | |
| durchführen – nicht aber, welche Methoden sie anwenden. Das Gericht | |
| entschied am Freitag nach der neuen Rechtslage, weil diese die mildere der | |
| beiden Varianten ist. So sieht es das Strafgesetzbuch vor. Die Debatte um | |
| das Gesetz war aufgeflammt, nachdem die Gießener Ärztin Kristina Hänel 2017 | |
| [2][zu einer Geldstrafe von 6.000 Euro verurteilt worden war]. | |
| Die Anwälte der Angeklagten hatten zuvor einen Freispruch gefordert. Von | |
| einem Vermögensvorteil, wie der Paragraf ihn vorsieht, sei keineswegs zu | |
| sprechen; die Ärztinnen nähmen das vorgeschrieben ärztliche Honorar. Zudem | |
| sei das Verbot mit seinen Einschränkungen der im Grundgesetz festgelegten | |
| Meinungs- und Berufsfreiheit nicht verhältnismäßig. Gabers Anwalt Johannes | |
| Eisenberg hatte dem Gericht nahegelegt, den Fall dem | |
| Bundesverfassungsgericht vorzulegen, wenn es keinen Freispruch entscheiden | |
| wolle. Dieses könne dann die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes überprüfen. | |
| Die von der SPD und Union nach langem Ringen verabschiedete Reform nannte | |
| er „irre“. | |
| Die Richterin erklärte, bei der alten Fassung habe man durchaus Bedenken | |
| haben können. Den jetzigen Wortlaut aber halte sie für „weder verfassungs- | |
| noch europarechtswidrig“. Auch nach dem neuen Paragrafen sei der Eintrag | |
| auf der Webseite der Ärztinnen strafbar, so die Richterin. Sie hätten nicht | |
| nur über das Ob, sondern auch über das Wie des Eingriffs informiert. Das | |
| Gericht blieb jedoch deutlich unterhalb des von der Staatsanwältin | |
| geforderten Strafmaßes von 50 Tagessätzen zu je 150 Euro, also 7.500 Euro | |
| pro Person. | |
| Sie seien „sehr enttäuscht“, sagen die Ärztinnen nach dem Prozess in die | |
| Mikrofone der Journalist*innen. Der Vorwurf, wegen eines vermögenswerten | |
| Vorteils zu handeln, sei „absolut diskreditierend“, sagt Gaber. Weyer, die | |
| selbst keine Abtreibungen vornimmt, bekräftigt: „Wir haben uns entschieden, | |
| das zusammen durchzustehen.“ Der Humanistische Verband Deutschlands | |
| kündigte an, die Strafe übernehmen zu wollen. Dazu kommt es zunächst wohl | |
| nicht: Die Ärztinnen wollen Rechtsmittel einlegen und notfalls bis zum | |
| Verfassungsgericht gehen. „Sonst hat das ja alles nichts gebracht“, sagt | |
| Gaber. | |
| 14 Jun 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Dinah Riese | |
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