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# taz.de -- Krieg in der Ukraine: In Europas Grauzone
> Im ostukrainischen Hnutove leben die Menschen unter ständigem
> Schusswechsel. Der neue Präsident Selenski will den Konflikt beenden.
Bild: Hinter Hnutove liegt das Gebiet, das prorussische Kämpfer besetzt halten
Hnutove taz | Hnutove scheint das Ende der Welt zu sein. In dem
ostukrainischen 700-Seelen-Dorf im Gebiet Donezk gibt es einen Laden, eine
Kirche und einen Friedhof. Auf Wiesen grasen Ziegen an langen Leinen. Vor
kleinen, niedrigen Häusern erstrecken sich liebevoll gepflegte Gärten. Nur
selten fährt einmal ein Bulldog über die holprige Straße.
Nur wenige Kilometer von hier verläuft die Front. Sie trennt diese Region
von dem Gebiet, das prorussische Kämpfer besetzt halten. Seit dem Ausbruch
der Kampfhandlungen 2014 sind nach Informationen der UNO 13.000 Menschen
ums Leben gekommen. Zwei Millionen wurden zu Binnenflüchtlingen.
[1][Immer wieder kommt es zu Schusswechseln], die die Bevölkerung daran
erinnern, dass der Krieg noch nicht zu Ende ist. „Die Schüsse, das Donnern
und Krachen der schweren Waffen, das hören wir, aber nur nachts“, meint
eine Anwohnerin, die an der spärlich geteerten Dorfstraße steht.
Vitali, Mitte 20, mit halbnacktem Oberkörper und großflächig tätowiert,
steht vor dem Dorfladen. Es ist noch nicht einmal 18 Uhr, doch die
Verkäuferin schließt den Laden schon ab. Um Vitali hat sich ein kleiner
Kreis von Personen gebildet. Keiner hat es eilig. Hier träfen sie sich bei
gutem Wetter mehrere Stunden am Tag, sagt Vitalis Vater.
Vitali hält in der einen Hand eine Bierflasche, an der anderen eine Frau.
„Weißt du“, sagt er, „früher waren das meine Klassenkameraden, ein paar
Kilometer weiter von hier, in Richtung der Stadt Donezk. Heute sind das nur
meine Feinde, Terroristen und Drogenabhängige.“
## Nach Kriegsausbruch zum Militär
Er redet sich warm. „[2][Hier in der Ukraine ist vieles schlecht.] Die
Oligarchen beuten uns aus. Die verdienen kräftig an diesem Krieg. Ich war
im Krieg. Jetzt bin ich ohne Ausbildung, ohne Job und ohne Zukunft. Nicht
einmal“ – er sieht die Frau neben sich an – „meine Alimente kann ich
bezahlen.“
Vitali hat sich sofort nach Ausbruch des Krieges beim Militär gemeldet.
„Ich bin gegen diesen Krieg. Aber ich will nicht, dass die uns unser Dorf
wegnehmen. „Wenn du durch die Stadt Mariupol gehst, siehst du den ganzen
Rauch, riechst den Gestank, den die Stahlwerke der Oligarchen machen. Die
scheren sich nicht um die Bevölkerung.“
Er habe bei der [3][Präsidentenwahl Wolodimir Selenski gewählt]. Der sei
ehrlich und nicht so korrupt wie sein Vorgänger Petro Poroschenko. Doch bei
allem Hass auf die ukrainische Regierung in Kiew habe er die Waffe in die
Hand genommen. „Schon mal von russischen Kriegsgefangenen in der Ukraine
gehört? Die habe ich bewacht“, sagt er stolz. Er habe vier Jahre gekämpft,
damit die da drüben – er deutet in die Richtung des Checkpoints – vier
Kilometer weiter kämen.
„Ich will nicht, dass an diesem Haus hier eine russische Fahne hängt“, sagt
er. Seit 2014 telefoniere er nicht mehr mit „denen da drüben“, obwohl er
noch von seinen Klassenkameraden die Handynummer habe.
Neben ihm steht sein Vater. Sein Gesicht ist rot – ob vom Alkohol oder der
Sonne. „Dort drüben, fünf Kilometer von hier, ist mein Hof“, sagt er
wehmütig. Seitdem er in Hnutove lebe, habe er keine eigene Landwirtschaft
mehr. Er sei froh, dass er kostenlos bei seinen Verwandten untergekommen
sei.
„Am Sonntag nach Ostern, das ist bei uns so eine Sitte, da geht man ans
Grab der Eltern. Doch meine Eltern sind drüben begraben, ich konnte dieses
Jahr wieder nicht dahin fahren. Das tut weh.“ Auf dem nahe gelegenen
Friedhof sind Männer dabei, neue Gräber zu schaufeln. „Onkologie“ sagt
Vitalis Vater. „Unsere Geißel.“
## Kein Hass auf „die da drüben“
Auch wenn Hnutove in der „grauen Zone“ liegt, einem Bereich, der eigentlich
Niemandsland sein sollte, ist Hnutove fest in ukrainischer Hand.
Ukrainische Militärs seien immer wieder mal in der Ortschaft, Militärs der
anderen Seite sollten sich besser nicht in die Ortschaft wagen, meint
Vitali. Er mag, wie auch die anderen Einwohner des Dorfes, den Begriff
„graue Zone“ nicht. Das sei diskriminierend. „Wir sind weder grau noch si…
wir eine Zone“, meint er.
Nachdem sich Vitali von der Gruppe entfernt hat, werden auch die anderen
redseliger. Vitali sei seit seiner Rückkehr aus dem Krieg jähzornig
geworden, meint seine Frau. Da widerspreche man besser nicht, wenn er über
Politik rede. Manchmal gerate er nachts in Panik, schreie, wolle weglaufen.
„Vitali braucht psychologische Hilfe“, sagt sie, „eine Ausbildung und
vielleicht auch einen Job in der Stadt“.
„Ich sage es nicht Vitali“, beginnt der Vater. „Aber ich überlege mir, w…
ich es am besten anstelle, mal rüberzugehen.“ Er habe gehört, dass jemand
seinen Hof bewirtschafte. Er habe keinen Hass auf die da drüben.
„Das sind alles meine Kumpel. Es gibt viele Gründe, warum man nicht
wegzieht, der Hof, Frau und Kinder, die Eltern, der Friedhof. Ehrlich
gesagt“, fügt er noch hinzu, „körperlich bin ich hier, auf der ukrainisch…
Seite. Aber meine Seele ist dort.“
20 May 2019
## LINKS
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## AUTOREN
Bernhard Clasen
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