| # taz.de -- Kolumne Ball und die Welt: Abstieg, auch politisch und moralisch | |
| > Nach dem Abstieg fordern die Fans der Grasshoppers Zürich das Team auf, | |
| > Trikots und Hosen auszuziehen. Ein Lehrstück über Politik im Fußball. | |
| Bild: Fans der Grasshoppers Zürich demütigen ihre Profis | |
| Das ist ein Abstieg, fußballerisch, politisch und moralisch. Die Mannschaft | |
| von Grasshopper Zürich, abgekürzt GC, muss zum ersten Mal seit 70 Jahren | |
| die erste Schweizer Liga verlassen. Und wie ekelhaft das geschieht. Am | |
| Sonntag bauten sich beim Stand von 4:0 für Lausanne GC-Fans am | |
| Spielfeldrand auf. Ein schwarz gekleidete, überwiegend vermummte | |
| Drohkulisse. Das Spiel wurde abgebrochen. | |
| Die Fans forderten die Mannschaft auf, Trikots und Hosen auszuziehen und | |
| abzugeben. Nur in Unterhosen bekleidet sollten entwürdigte und gedemütigte | |
| Profis aus dem Stadion trippeln. Damit Herrenmenschen ihre Befriedigung | |
| erhalten. GC-Präsident Stephan Rietiker und Torwart Heinz Linder | |
| verhandelten, heraus kam, dass die Spieler wenigstens die Hosen anbehalten | |
| durften. Seine Zustimmung habe bloß der Deeskalation gedient, sagte | |
| Rietiker. „Ich weiß selber auch, dass das nicht der richtige Weg in die | |
| Zukunft sein kann. Dem Frieden zuliebe haben wir diese Geste dann halt | |
| gemacht.“ | |
| Zunächst hängt der Auftritt der Grasshopper-Anhänger mit Rechtsradikalismus | |
| zusammen. Als sogenannten Rädelsführer machte die Neue Zürcher Zeitung | |
| einen Stefan N. aus, „für den die Zuschreibung ‚Neonazi‘ keine gewagte | |
| ist“. Das Blatt weiß auch von Verbindungen von Grasshopper-Fans zu | |
| rechtsradikalen Gruppen im Umfeld des [1][Chemnitzer FC] zu berichten. Dass | |
| Grasshopper für viele Schweizer Juden „der Buh-Klub“ war und ist, wie ein | |
| Funktionär von Makkabi Schweiz, der jüdischen Sportbewegung, es einmal | |
| formulierte, hat Gründe, die nicht nur mit diesem Teil der Fans zu tun | |
| haben: Mindestens bis in die fünfzigerJahre nahm der Klub keine Juden auf. | |
| Eine für 1963 geplante Israel-Tournee der ersten Mannschaft musste abgesagt | |
| werden, weil Israel den Verein nicht bei sich haben wollte. | |
| Mittlerweile gibt es jüdische Mitglieder, sogar ein jüdischer Chilene wurde | |
| einmal verpflichtet, der Klub inserierte in jüdischen Zeitungen, und der | |
| Verein trat auch als Sponsor des Jewish Classic Festival auf. Ein | |
| Vorstandsmitglied wurde 2003 in der Woz zitiert: „Wir hoffen, unsere | |
| jüdischen Mitbürger nehmen es uns ab, dass der heutige GC seit Jahrzehnten | |
| nie mehr an so etwas dachte.“ Aber er kam auch nicht auf die Idee, zu | |
| fragen, woher „so etwas“ kam. Mit dem von 1934 bis 1976 amtierenden | |
| Präsidenten Walter Schoeller, der keine Juden im Klub sehen wollte, hat | |
| sich im Klub bislang niemand ernsthaft auseinandergesetzt. | |
| ## Scheitern als Chance? | |
| Aber, könnte man fragen, schreckt nicht gerade der aktuell demonstrativ vor | |
| sich hergetragene Philosemitismus offene Neonazis ab? Mag sein, die | |
| GC-Anhänger, die gerade von sich reden machen, stellen sich ja auch gegen | |
| den Vorstand. Nur: Was macht die Klubführung? Präsident Rietiker spricht | |
| davon, dass die Krise von Grasshopper eine Chance sei. „Wenn wir uns | |
| behaupten wollen, müssen wir diese Zeit nutzen, um uns zu reformieren und | |
| weiterzuentwickeln.“ Rietiker sagt, die Ertragskraft des Klubs sei zu | |
| niedrig. Er sagt, als Unternehmer habe er viele Fragen an die frühere | |
| Klubführung, er müsse nun „alte Zöpfe abschneiden“. | |
| Es ist ein Lehrstück über die Politik im Fußball. Rechtsradikale Anhänger | |
| werfen der Mannschaft vor, sich nicht genug angestrengt zu haben, weil sie | |
| nicht schweizerisch, zürcherisch oder was auch immer genug sei. Diese Nazis | |
| trauen sich jedoch nicht an den Vorstand, der für eine Durchkapitalisierung | |
| des Klubs steht, aber immerhin mit ihnen, den Nazis, verhandelt. Weil sich | |
| das, was man mit einigem Augenzudrücken als Protest gegen die | |
| Vereinspolitik werten könnte (eine definitiv falsche Bewertung, denn was | |
| sich da als Protest geriert, sind unglaublich menschenfeindliche | |
| Demütigungen der Spieler), erscheint die gerade vom Vorstand betriebene | |
| neoliberale Durchdringung des Fußballs alternativlos. | |
| Es ist halt ein Abstieg, politisch, moralisch und also auch fußballerisch. | |
| 16 May 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Martin Krauss | |
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