# taz.de -- 1. Mai in Berlin-Kreuzberg: Köfte, Mexikaner und eine Räumung | |
> Zehntausende kommen wieder zum Myfest nach Kreuzberg. Im Görlitzer Park | |
> fehlt vielen die Musik. Streit gibt es um zerstörte | |
> Obdachlosenbehausungen. | |
Bild: Sich per Haushaltsleiter über die Massen erheben – auf dem MyFest geht… | |
„Hallo, Glasflaschen sind hier leider nicht erwünscht“, sagt der bullige | |
Bartträger mit der neongelben Weste und dem Funkgerät. „Oah neeee“, rufen | |
die sechs jungen Frauen, die sich gerade mit Erdbeerwein und billigem Sekt | |
am Rande des Oranienplatzes niedergelassen haben. „Wollen Sie die mit uns | |
ausexen?“, fragt eine den Ordner, aber der kennt keinen Spaß. Die Flaschen | |
müssen entsorgt werden, der Inhalt wird vorher noch schnell getrunken oder | |
in Colaflaschen aus Plastik umgefüllt. | |
Beim MyFest in Kreuzberg wird jetzt stärker auf Sicherheit geachtet. Eine | |
Legion von Ordnern ist unterwegs, die meist muskelbepackten jungen Männer | |
schirmt schon am frühen Nachmittag die Bühnen ab wie bei einem | |
Rolling-Stones-Konzert. Die Polizei hat nach eigenen Angaben rund 5.500 | |
BeamtInnen bei den Berliner Mai-Feierlichkeiten Einsatz, wie viele das Fest | |
schützen, bleibt unklar. Auch wenn die Zufahrtsstraßen mit wassergefüllten | |
Großbarrieren geschützt sind, besteht laut Pressestelle keine besondere | |
Gefährdung der Veranstaltung. | |
Schon bald ziehen wieder Zehntausende durch die Straßen, es ist bunt und | |
laut wie jedes Jahr, von den in diesem Jahr deutlich reduzierten | |
Verkaufsständen steigen dichte Grillschwaden auf und hüllen die Sonne in | |
silbernen Dunst. Zwischen den Bühnen, auf denen Jazz und Gangsta-Rap | |
akustisch konkurrieren, wird viel gegessen und vor allem getrunken, auf | |
improvisierten Tabletts verkaufen junge Menschen in der Menge | |
„Mexikaner“-Shots aus Tomatensaft, Tabasco und Wodka für 2 Euro. Schon ab | |
50 Cent können Fotografierende den Aufstieg auf eine der vielen | |
Haushaltsleitern haben, die Geschäftstüchtige auf die Kreuzungen stellen. | |
Auf dem Mariannenplatz, wo das traditionelle Fest der Linkspartei für | |
politische Inhalte sorgt, steht Oliver Nöll und ist sauer: „Wir sind aus | |
allen Wolken gefallen, als wir gehört haben, was der grüne Stadtrat da | |
gemacht hat.“ Nöll gehört der BVV-Linksfraktion an und ärgert sich über | |
Baustadtrat Florian Schmidt von den Grünen. Der hatte am Dienstag einen | |
gültigen BVV-Beschluss umgesetzt und zwei „Tiny Homes“ räumen lassen, in | |
denen Obdachlose unter Duldung auf der öffentlichem Grünfläche lebten. Die | |
Holzhütten wurden dabei zerstört. | |
## „Kreuzberg ist unpolitisch geworden“ | |
Auf Twitter haben sich die beiden Politiker schon einen verbalen Kleinkrieg | |
geliefert. Immerhin sieht es jetzt so aus, als sei ausgerechnet die Linke | |
schuld an der Verdrängung, denn laut Schmidt soll die Polizei auch | |
Sicherheitsbedenken wegen des Festes gehabt haben. Jetzt sammelt die Partei | |
Geld für neue Tiny Homes. Andreas Düllick von der Berliner Kältehilfe, die | |
zusammen mit Karuna e. V. die Häuschen gebaut hatte, steht bei Nöll. „Da | |
sieht man mal, wie unpolitisch Kreuzberg geworden ist“, sagt er resigniert: | |
„Das hier ist Rio Reisers Mariannenplatz. Vor Jahren hätte nach so einer | |
Räumung Kreuzberg gebrannt.“ | |
Danach sieht es am Nachmittag auch am Görlitzer Park nicht aus. Vor allem | |
Feierfreudige zieht es hier hin. Wie die jungen Frauen am Oranienplatz hat | |
auch eine Gruppe von Freunden aus Cottbus am Eingang des Görlitzer Parks | |
ein Problem: Wohin mit dem Bier in Glasflaschen? Sie überlegen, den Alkohol | |
über die Mauer zu werfen, aber das ist bei Glas keine wirklich gute Idee. | |
Schließlich verstecken sie das Bier im Gebüsch. Rein wollen sie unbedingt: | |
„Wir sind zum ersten Mal hier, wir haben viel gehört vom 1. Mai“, sagt | |
einer der jungen Männer. Was genau sie gehört haben? „Viele Menschen, | |
Techno, Bier.“ | |
Da sind sie im Görlitzer Park in diesem Jahr am falschen Ort: Die | |
öffentliche Party, wie es sie 2018 gab, wollte das Bezirksamt nicht | |
wiederholen. In einer Umfrage unter AnwohnerInnen hatten viele das Fest | |
kritisch bewertet. Bühnen gibt es diesmal deshalb keine im Park. Um | |
spontane Feiern zu verhindern, kontrollieren Sicherheitsleute an den | |
Eingängen Rucksäcke nicht nur auf Flaschen, sondern auch auf Musikanlagen. | |
Der Park ist am Nachmittag gut besucht, aber es bleibt ruhig. Gruppen von | |
jungen Leuten sitzen auf den Wiesen, picknicken, kiffen oder spielen | |
Karten. Auf den Stufen des Pamukkale-Brunnens haben es sich viele bequem | |
gemacht und trinken Bier aus Plastikbechern. | |
Unten im Rund steht ein Lastenfahrrad mit Verstärker darauf. Dort kann man | |
zwei Minuten lang in ein Mikro sprechen, was man gerade auf dem Herzen hat. | |
Ein Mann nutzt die Chance und imitiert mit dem Mund ein Schlagzeug. Sofort | |
beginnen einige zu tanzen. Als jemand einen Fußball in die Menge schießt | |
und der bald darauf zurückfliegt, wird laut gejohlt. Man merkt, die Leute | |
hier wollen sich amüsieren. Wenn schon ohne Musik, dann wenigstens mit | |
Ball. | |
„Das ist schon ein bisschen enttäuschend hier“, sagt ein 22-Jähriger aus | |
Charlottenburg, der mit seinen Freunden in den Park gekommen ist, auf der | |
Suche nach Techno, wie er sagt. Er schwärmt vom letzten Jahr, als so viele | |
Menschen vor der Bühne tanzten. „Alle hatten Spaß.“ Dass das Fest abgesagt | |
wurde, wusste er nicht. | |
Florian Fleischmann vom Parkrat ist nicht begeistert von den Regelungen in | |
diesem Jahr. Er bezeichnet sie als „faulen Kompromiss“. Das Bezirksamt | |
hatte eine Pressemitteilung vor dem 1. Mai überschrieben mit dem Titel: | |
„Ein ganz normaler Tag im Park“. Das sei es durch die Kontrollen eben genau | |
nicht, so Fleischmann. Die Leute könnten nicht wie sonst durchfahren, auch | |
die Familien, die sonst zum Grillen kommen, fehlten. Die Eingangskontrollen | |
lehnt er ab – wie auch viele AnwohnerInnen in der Umfrage. „Die Party | |
findet dann eben in den Nebenstraßen statt“, sagt Fleischmann. | |
1 May 2019 | |
## AUTOREN | |
Antje Lang-Lendorff | |
Claudius Prößer | |
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