| # taz.de -- Alltag in Venezuela: Mit 600 Bolívar in Caracas | |
| > Millionen Venezolaner leiden Hunger – auch unsere Autorin. Wie es ist, in | |
| > der venezolanischen Hauptstadt vom Mindestlohn zu leben? Ein Test. | |
| Bild: Auf der Suche nach Essbarem: In Venezuela spricht man spöttisch von „M… | |
| Caracas taz | [1][Maduro oder Guaidó? Wer hat recht?] Wer hat Schuld an all | |
| dem hier? Der Imperialismus, der Sozialismus? Ist es die Schuld der USA, | |
| die Venezuelas Konten eingefroren haben, die des Sozialsystems, die einer | |
| Regierung, die Geld zum Fenster rausschmeißt und dann pleite geht? Was war | |
| Chávez? Was war diese Revolution wirklich? Nach drei Tagen weiß ich nur | |
| eins: Ich habe Hunger. | |
| Ich habe einfach nur Hunger. | |
| Venezuela hat eine Bevölkerung von 32 Millionen. Nach Angaben der Vereinten | |
| Nationen leiden 4,4 Millionen davon unter Wassermangel, 3,7 Millionen haben | |
| zu wenig zu essen, 2,8 Millionen fehlen notwendige Medikamente. | |
| Und 3,4 Millionen sind bereits gegangen. | |
| Im Durchschnitt nimmt man in Venezuela 12 Kilo im Jahr ab. Was als | |
| „Maduro-Diät“ verhöhnt wird, zeigt sich in den trüben Augen meiner | |
| Mitbewohner in der Misión Vivienda an der Avenida Libertador, einer der | |
| Hauptstraßen von Caracas. Hier lebe ich, ich will wissen, wie das ist in | |
| einem der sozialen Wohnungsbaukomplexe, die noch von Chávez für die | |
| Bedürftigen geplant worden waren. Das waren damals 2,9 Millionen Menschen. | |
| Es ist ein zwölfstöckiges Gebäude, mit acht Wohnungen in jeder Etage. Und | |
| es ist so etwas wie eine Gemeinschaft. | |
| Ich wohne bei Mariela Herrera, 48, einer Krankenschwester, und ihrem Sohn. | |
| Alle zusammen besitzen wir ein Kilo Reis, ein halbes Kilo Mehl, drei | |
| Karotten und eine Scheibe Käse. Aber als ich meinen Keksvorrat hervorhole, | |
| schlägt die arbeitslose Nachbarin vor, in den sechsten Stock zu gehen und | |
| ihn mit Eliana Beitze zu teilen, einer 49-jährigen Pförtnerin, die an | |
| Sklerose leidet und erschöpft auf einer dünnen Matratze auf dem Boden | |
| liegt. Sie muss sich entscheiden zwischen Medikamenten oder Abendessen. Und | |
| zwischen Medikamenten für sie oder für ihre Tochter. Die ist 17 und | |
| Diabetikerin mit einer fleckigen, lilafarbenen Haut. Sie bieten mir | |
| Regenwasser an. | |
| Aber ich würde alles trinken. Inzwischen habe ich Durst, einfach Durst. Ich | |
| habe seit elf Stunden nichts getrunken. | |
| ## Origami aus Geldscheinen | |
| Ich wohne hier, und ich habe mich entschieden, wie alle anderen von 600 | |
| Bolívar am Tag zu leben, dem Mindestlohn. Ich weiß nicht wirklich, wie viel | |
| das ist. Ein Dollar sind ungefähr 3.000 Bolívar, aber es gibt eine | |
| Inflation im siebenstelligen Prozentbereich, und der Bolívar ist eigentlich | |
| nur noch bedrucktes Papier. Wörtlich. Die Scheine werden für Origami | |
| benutzt. Kein Mensch weiß mehr, was irgendetwas kostet. | |
| Denn es hängt davon ab, ob man mit Bolívar oder Dollar zahlt. Und in einem | |
| normalen Laden oder einem staatlichen. Oder auf dem Schwarzmarkt. Und ob du | |
| Cash zahlst oder per Handy oder mit einer Kreditkarte. Allerdings gibt es | |
| gar kein Bargeld mehr, weil nicht genügend Geld da ist, um Geld zu drucken. | |
| So leihe ich mir eine Kreditkarte. Sei vorsichtig damit, werde ich gewarnt | |
| – aber nicht wegen des Geldes auf der Karte, sondern wegen der Karte | |
| selbst: Es gibt kein Plastik mehr. Das ist mehr wert als all deine | |
| Ersparnisse. | |
| Es ist Jahre her, dass hier noch jeder wusste, was alles kostet. Venezuela | |
| produziert nur Öl. Und mit dem Öl importiert es alles, was es braucht: | |
| sieben von zehn Produkten. Deshalb hängt es vom Dollar ab. Im Jahr 2003 | |
| führte Chávez einen festen Wechselkurs ein. Oder genauer: mehrere feste | |
| Wechselkurse. Drei. Einen für öffentliche Unternehmen. Einen für private | |
| Unternehmen und Bürger, für Umtausch von bis zu 3.000 Dollar. Und einen für | |
| alles andere. | |
| 2015 stieg der Finanzanalyst Raúl Gallegos für die Recherche zu seinem Buch | |
| „Crude Nation“ im Renaissance Hotel ab. Das Zimmer kostete ihn pro Nacht | |
| 9.469 Bolívar. Also 1.503 Dollar, oder 789 Dollar, oder 190 Dollar – oder | |
| sogar 53, nach dem Schwarzmarktkurs. Je nach dem Wechselkurs, der für | |
| jemanden legal oder durch Bestechungsgelder zugänglich war, war Venezuela | |
| das Land, wo du nur 1,50 Dollar für einen BigMac zahlst oder aber 17.333 | |
| für ein Iphone6. | |
| Wie hat das Venezuela von Chávez also wirklich ausgesehen? | |
| In Wahrheit hängt Venezuela nicht nur vom Öl ab, sondern auch von jenen | |
| USA, die es so wenig leiden kann, und die doch die Hauptkäufer sind. Die | |
| Einzigen, die Raffinerien für Venezuelas schweres Rohöl haben. Als 2015 die | |
| Ölpreise um 70 Prozent fielen, erklärte US-Präsident Barack Obama Venezuela | |
| zum Sicherheitsrisiko. Unter Trump griffen dann Sanktionen: Trump | |
| untersagte alle finanziellen Transaktionen mit Venezuela, und er verhindert | |
| Venezuelas Zugriff auf den Gewinn von Citgo, der Venezuela gehörenden | |
| US-Kraftstoffkette. | |
| Natürlich stoßen diese Maßnahmen auf Kritik der UN: Das Völkerrecht | |
| verbietet jeden Versuch, eine ausländische Regierung mit Gewalt zu stürzen, | |
| sei es militärisch oder mit anderen Mitteln. Statt die Regierung allerdings | |
| zu schwächen, ging sie gestärkt daraus hervor. Das ist keine Krise, sagt | |
| Maduro: Das ist ein Wirtschaftskrieg. | |
| ## Bewaffnete verteidigen die Revolution | |
| Bei Demonstrationen gegen Maduro hört man nur drei Worte: [2][Luz, agua, | |
| comida – Strom, Wasser, Essen]. Bei denen für Maduro nur eins: Sabotaje – | |
| Sabotage. Nur ein Wort verwenden beide Seiten: Usurpation. | |
| Wir sind auf der Avenida Fuerzas Armados. Zwei Männer stürmen in einem | |
| roten T-Shirt einen Protest gegen Maduro. Sie gehören zu den Colectivos, | |
| bewaffneten Anhängern der Regierung. Ihr Logo ist überall in Caracas, auf | |
| allen Wänden: Ein Mann mit Gewehr, und darunter die Schrift: „In | |
| Verteidigung der Revolution“. Sie sind lokale Gruppen. | |
| Nachbarschaftsgruppen, theoretisch für soziale Arbeit gegründet. Aber | |
| niemand weiß, wer sie wirklich sind, und vor allem: Wer über sie bestimmt. | |
| Auch deshalb ist die Opposition so schwer. [3][Mit dem Stromausfall, die | |
| alles noch komplizierter macht.] Heute ist Demonstrationstag, Guaidó hat | |
| zur Mobilisierung aufgerufen, und mit ein paar Aktivisten laufe ich durch | |
| Caracas: Aber wir finden nichts. Seit gestern funktionieren unsere Handys | |
| nicht, und das Internet auch nicht. Wir haben keine Ahnung, wo die Demo | |
| sein soll. | |
| Schließlich finden wir sie vor der U-Bahn-Station Chacao. Sie besteht aus | |
| gerade mal 16 Personen. Sie haben zwei Pfannen dabei, einen Farbeimer, eine | |
| blecherne Marmeladendose ein paar Rasseln, dazu selbst gemachte Trommeln, | |
| mit Löffel als Trommelstöcken. Sie sind 16, als sie anfangen und 16, als | |
| sie wieder gehen. Niemand schließt sich an. Wenn allerdings die Ampeln auf | |
| Rot schalten, dann hupen die Fahrer im Rhythmus der Trommeln. | |
| Unterstützung. Busse fahren vorbei, volle Busse, und die draußen | |
| dranhängen, verfluchen Maduro und zeigen den Daumen hoch. | |
| ## „Nicht gewöhnt zu arbeiten“ | |
| „Es geht hier nicht nur um Politik. Es ist vor allem eine Kulturfrage“, | |
| sagt Katy Camargo, 42, die bekannteste Aktivistin von Petare, dem ärmsten | |
| Slum von Caracas. „Wie in allen Ölländern sind wir es gewohnt, alles vom | |
| Staat zu bekommen. Als das Gesundheitssystem kaputtging, wechselten wir zu | |
| Privatkliniken. Als das Bildungswesen den Bach runterging, wechselten wir | |
| zu Privatschulen. Wir haben uns angepasst. Immer, Denn letztlich hatten wir | |
| Öl. Wir sind es nicht gewohnt, für Veränderungen zu arbeiten, uns | |
| einzubringen“, sagt sie. Bestenfalls hupen. | |
| „Man erwartet hier von der Opposition, für Veränderung zu sorgen“, sagt | |
| sie. „Und die Opposition erwartet von Guaidó, das Leben aller zu verändern. | |
| Aber so wie das Problem nicht nur aus Maduro besteht, besteht die Lösung | |
| auch nicht aus Guaidó.“ | |
| Während Chávez’ Jahren an der Macht von 1999 bis 2013 sprangen die Ölpreise | |
| von 16 auf 10 Dollar pro Barrel. Venezuela nahm mehr als 100 Milliarden | |
| Dollar pro Jahr ein. Und die Armut, von der 44 Prozent der Haushalte | |
| betroffen waren, halbierte sich. Wer heute die Regierung unterstützt, steht | |
| letztlich nicht hinter Maduro – der steht hinter Chávez. | |
| Wie José Cordero: „Guaidó ist nur eine Marionette der USA“, sagt er. „W… | |
| sie uns helfen wollen, warum heben sie dann die Sanktionen nicht auf? Wir | |
| brauchen kein Solidarität, wir brauchen keine Mildtätigkeit. Wir brauchen | |
| nur zurück, was uns gehört“, sagt er. Und Ruben Marquez, der ein Buch von | |
| Marx mit sich herumträgt, stimmt ihm zu. „Natürlich ist das ein | |
| Wirtschaftskrieg“, sagt er. „Aber es ist keine Frage von Sozialismus oder | |
| Kapitalismus: Vor allem ist es eine Frage der Souveränität. Wir bestimmen | |
| über unsere Entscheidungen und unser Land.“ | |
| ## Die Hälfte der Bevölkerung arm | |
| Als Chávez starb, lebten wieder 48,5 Prozent der Haushalte unterhalb der | |
| Armutsgrenze. Und das Erdöl stand immer noch bei 98 Dollar pro Barrel. | |
| Ganz Caracas ist auf den Beinen, in langen Reihen an den Straßenrändern, | |
| die Köpfe gesenkt. Auf den Schultern Kanister und Flaschen. Und als der | |
| Strom erneut ausfällt, wird alles schwarz, bleiern und still. Aber nur für | |
| einen Moment. Dann fängt es an. Es beginnt mit einem blechernen Geräusch, | |
| ein fühlbarer Sound, wie eine Schöpfkelle klingt es, wie ein Löffel, der | |
| auf Metall geschlagen wird, und dann noch einer und noch einer und alle | |
| schlagen plötzlich auf Geländer, auf Eimer, Dosen, Pfannen, was immer sie | |
| erreichen können, und die Stimme des Barrios erklingt laut gegen Maduro. | |
| Hunger! Hunger! Hunger! Auch wenn der Präsidentenpalast Miraflores weit | |
| entfernt ist. | |
| Am nächsten Morgen machen wir uns alle auf die Suche nach Wasser. Ohne | |
| Strom laufen die Pumpen nicht. Und Wasser ist nicht im Carnet de la Patria | |
| enthalten, der Vaterlandskarte, mit der man jeden Monat von der Regierung | |
| eine Box mit Reis, Mehl, Nudeln, ein bisschen Thunfisch bekommt. Wir sind | |
| alle auf der Suche nach Leitungen, wo noch etwas herauskommt, nach Bächen, | |
| Pfützen, Brüchen in Abwasserrohren, irgendwas. | |
| Guaidó und Maduro rufen schon wieder zu Demonstrationen. Aber wir haben | |
| Durst. Wir haben einfach nur Durst. | |
| ## Zwei Lager, zwei Meinungen | |
| In den letzten fünf Jahren ist das Pro-Kopf-Einkommen in Venezuela um 40 | |
| Prozent gesunken. Folgt man Guaidós Analysten, ist der Grund ganz klar: Der | |
| Sozialismus ist schuld. Chávez war eine Illusion, sagen sie. Was wir | |
| hatten, war nicht Entwicklung, sondern Konsumsteigerung, bezahlt mit Öl. | |
| Und damit hat Chávez die Wirtschaft ruiniert. [4][Mit seinen Subventionen, | |
| seinen Sozialprogrammen und seinen Verstaatlichungen hat er die Industrie | |
| zerstört, einschließlich der Ölindustrie], sagen sie. | |
| Maduros Berater sehen das ganz anders. Für sie ist das alles Schuld des | |
| Imperialismus. Mit Chávez hatten wir Wirtschaftswachstum, sagen sie, nicht | |
| nur Konsumsteigerung. Die Arbeitslosigkeit war auf einem historischen | |
| Tiefstand, die Ölförderung hoch. Und so weiter und so fort. Offizielle | |
| Statistiken werden schon lange nicht mehr veröffentlicht. Die letzten sind | |
| von 2014. Jeder stellt seine eigenen Zahlen zusammen. Jeder sagt: | |
| Entschuldigung, aber das ergibt keinen Sinn. | |
| Und irgendwie stimmt das sogar. Denn wie viel sind letztlich meine 600 | |
| Bolívar? Und so sagt jeder, was er will, für oder gegen Chávez. Das Bizarre | |
| ist: Es war vor Chávez auch schon so. So ist er überhaupt an die Macht | |
| gekommen. | |
| Ende der 1980er sanken die Ölpreise, Präsident Campíns weigerte sich, die | |
| Staatsausgaben zu senken. Die Schulden wuchsen, Campíns wertete den Bolívar | |
| ab. Am Ende wandte sich die Regierung an den Internationalen Währungsfonds, | |
| strich Subventionen, kürzte Sozialprogramme – und löste einen sozialen | |
| Aufstand aus. Der dauerte neun Tage, und mehr als 300 Menschen starben. | |
| Das war die Krise, die Chávez letztlich an die Macht brachte. | |
| Das System der festen Wechselkurse kostete während seiner Präsidentschaft | |
| 254,7 Milliarden Dollar. Doch die wahren Kosten waren wesentlich höher. | |
| Geschäftsleute konnten Dollar für 6,50 Bolívar kaufen und auf dem | |
| Schwarzmarkt für 180 Bolívar wieder verkaufen, statt sie für ihre | |
| Unternehmen einzusetzen. Ein Gewinn von 2.800 Prozent. Und mehr noch: Sie | |
| konnten den Trick unendlich oft wiederholen. Auch für normale Bürger war | |
| Spekulation wesentlich ertragreicher als Arbeit. Und wenn der Konsum | |
| steigt, ohne dass es ein entsprechendes Wachstum der Produktion gibt, dann | |
| steigt auch die Inflation, zusammen mit der Kapitalflucht, die ja gerade | |
| gestoppt werde sollte. | |
| ## Die Macht der Colectivos | |
| Schlussendlich, so formuliert es der Autor und Chronist Willy McKey: In | |
| Venezuela ging es nie um gute oder schlechte Regierungen, sondern immer um | |
| niedrige oder hohe Ölpreise. McKey kommt aus dem Viertel 23 de Enero, einem | |
| der bekanntesten Bezirke von Caracas, einer Hochburg der Colectivos. Es | |
| sieht aus wie Bagdad. Man bleibt dort zu Hause, und man schließt die | |
| Fenster. Du lebst in Angst. | |
| Im Jahr 2002, nach einem Putschversuch, wurde Chávez klar, dass er seine | |
| eigenen Streitkräfte brauchte. Er beauftragte einen seiner Vertrauten, | |
| Freddy Bernal, mit der Aufgabe, die Bolivarischen Zirkel zu bewaffnen. Die | |
| waren so etwas wie die Lokalsektionen einer kommunistischen Partei. Sie | |
| sind rund 4.000 Mann stark, und seit 2006 werden sie vom Staat finanziert. | |
| Sie sind mit der Wahrung von Recht und Ordnung betraut. Oder, wie man hier | |
| sagt: Sie sind die Herrscher über das Essen. Denn sie, so heißt es, filtern | |
| die Importe: Was wird auf das Carnet de la Patria ausgegeben, was geht in | |
| normale Geschäfte, und was landet direkt auf dem Schwarzmarkt. | |
| Im Jahr 2016 wurde Freddy Bernal zum Chef der nationalen | |
| Lebensmittelversorgung ernannt. Imran Beheeus ist 52, er besitzt eine | |
| Bäckerei an der Ecke von meiner Misión Vivienda. Eigentlich müsste, so | |
| steht es auf dem Papier, Mehl direkt vor seine Tür geliefert werden. | |
| Meistens aber muss er los, um es abzuholen. Zum Viertel 23 de Enero. Und | |
| trotzdem ist er ganz fest bei Chávez. Das Problem ist nicht das System, | |
| sagt er, das Problem ist die Umsetzung. | |
| „Chávez hat die Produktion einer ganzen Reihe von Waren organisiert, | |
| Grundprodukte, sodass wir alle die wesentlichen Dinge zum Leben hätten. | |
| Nicht alle den gleichen Reichtum, aber die gleiche Würde. Nur: Das war wie | |
| ein zu langes Fließband: Es gab zu viele Chancen für illegales Handeln auf | |
| dem Weg. Aber es ist immer noch eine richtige Idee“, sagt er. Innerhalb | |
| einer Stunde kommt kein einziger Kunde in seine Bäckerei. „Heute redet | |
| jeder über Chávez“, führt Beheeus fort. „Okay, der Staat funktioniert he… | |
| nicht. Aber wenn du früher keinen Strom hattest, konntest du dich nicht | |
| beschweren, weil die Regierung dich ja nie ans Stromnetz angeschlossen | |
| hatte. Du warst nie Teil irgendeines Stadtentwicklungsplans. Denn vor | |
| Chávez war das hier das Land der gut Betuchten. Nur der weißen gut | |
| betuchten,“ sagt er. | |
| ## Stacheldraht statt sozialer Durchmischung | |
| „Jetzt hingegen habe wir Rechte. Und der Staat hat Pflichten. Und wer sagt, | |
| dass heute die Armutsquote genauso ist, hat keine Vorstellung, was Armut | |
| ist. Denn heute sind wir arm in einem Haus – gestern waren wir arm auf der | |
| Straße.“ | |
| Tatsächlich: Wenn ich mich in einem der reichen Viertel von Caracas bewege | |
| und ich sage, dass ich in einer Misión Vivienda lebe, werde ich angesehen, | |
| als sei ich verrückt geworden. Die Leute dort haben niemals eine Misión | |
| Vivienda betreten. Wenn ich sie frage, wie Venezuela vor Chávez war, sagen | |
| sie: „Wundervoll.“ Selbst wenn sie in stacheldrahtbewehrten | |
| Gebäudekomplexen mit elektrischen Zäunen wohnen. Im Caracas der Armen sagen | |
| sie über diese Viertel: Kenne ich nicht, da war ich noch nie. | |
| Unter Chávez wurden 7.873 neue Gesundheitszentren gebaut. Nicht mehr 3, | |
| sondern 17 Millionen Venezolaner hatten Zugang zu medizinischer Versorgung. | |
| Nicht mehr 387.000, sondern zwei Millionen Menschen bekamen Rente. Sind das | |
| reale Zahlen? Gefälschte Zahlen? Vielleicht ist das am Ende egal. Denn wenn | |
| man Chavisten fragt, was Chávez für sie bedeutet hat, redet kein Mensch | |
| über Wohnungen, Schulen, Krankenhäuser, materielle Vorteile. | |
| „Als wir hierherzogen, waren die Einwohner der umliegenden Häuser dagegen“, | |
| sagt Jolanda Noriega, 41, aus dem dritten Stock, als wir unser Abendessen | |
| teilen, einen Apfel. „Sie sagten, dass der Immobilienwert ihrer Grundstücke | |
| durch unser Haus sinkt. Sie waren feindselig, und genau genommen sind sie | |
| das noch immer.“ | |
| „Aber das war Chávez: nicht nur ein Haus, sondern ein Haus in Downtown | |
| Caracas. Denn auch wenn du arm bist: Du zählst. Du zählst genauso viel wie | |
| jeder andere.“ | |
| „Ich war unsichtbar“, sagt sie. „Jetzt existiere ich.“ | |
| Der Strom fällt wieder aus. Und wieder wird alles schwarz. | |
| NaN NaN | |
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| Francesca Borri | |
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