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# taz.de -- Doku über Deniz Yücel im Knast: Herzergreifend
> Die ARD hat Deniz Yücel für „Wenn Pressefreiheit im Gefängnis landet“
> getroffen. Die Doku lohnt sich, auch wenn es nicht viel Neues gibt.
Bild: Deniz Yücel ist vom Springer-Verlag freigestellt und lebt an einem gehei…
Da ist er ja wieder! Seit 14 Monaten ist Deniz Yücel frei, blicken lassen
hat er sich seitdem selten. Hier eine Preisverleihung, dort eine Lesung,
mehr nicht. Der Welt-Journalist, während seiner Haft in Abwesenheit zum
Popstar der Pressefreiheit aufgestiegen, war abgetaucht.
Am Montagabend ist er wieder da. Gleich in den ersten Sekunden der Doku,
die die ARD über den Fall Yücel produzieren ließ, schreitet der
Hauptdarsteller durchs Bild. Lederjacke, aufgeknöpftes Hemd, kaum
verändert, so spaziert er durch eine Herbstlandschaft. Im Hintergrund
stehen Felsen und Laubbäume, das könnte Schottland sein oder Kroatien oder
China. Aufgelöst wird es im Film nicht: Vom Springer-Verlag ist Yücel
freigestellt, mit seiner Frau lebt er an einem geheimen Ort im Ausland – um
sich erholen zu können, aber auch aus Sicherheitsgründen. Durch Kreuzberg
kann einer mit seiner Geschichte nicht mehr unbesorgt schlendern.
„Das war eine kriminelle Vereinigung, die mich gefangen genommen hat“, sagt
Yücel und meint die türkische Regierung, die ihn wegen seiner kritischen
Berichterstattung ein Jahr lang im Gefängnis festhielt. Stakkato, suchender
Blick, auch die Wut ist dem ehemaligen Türkei-Korrespondenten geblieben.
Über mehrere Tage hat er sich von der Journalistin und
„Tagesthemen“-Moderatorin Pinar Atalay interviewen lassen. Sie hat auch mit
anderen Beteiligten gesprochen: FreundInnen, Vorgesetzte,
[1][Ex-Außenminister Sigmar Gabriel].
Die ARD kündigt den Film an als „Suche nach der wahren Geschichte, die
hinter der Verhaftung und Entlassung von Deniz Yücel steckt“. Das ist ein
bisschen vermessen: Viel Neues hat Atalay nicht gefunden. Wie auch? Yücel
ist ein sendungsbewusster Journalist mit sendungsbewussten KollegInnen,
seinen Fall hatten er und andere in Echtzeit dokumentiert.
## Ulf Poschardt schluckt
Ein schlechter Film ist diese Doku deswegen aber nicht. Sie fasst in einer
Dreiviertelstunde den Fall exakt zusammen und könnte damit zum filmischen
Standardwerk über die Staatsaffäre Yücel werden. Packend ist sie noch dazu.
Das liegt zum kleineren Teil an der dramatischen Musik und Interviews im
Halbschatten, zum größeren Teil an der Geschichte selbst, die eines Tages
sicherlich auch als Spielfilm funktionieren wird.
Die Geschichte hat eben alles. Ganz wichtig: das persönliche, nervliche
Drama, zu dem die Gefangenschaft für Yücel und sein Umfeld wurde. Was diese
367 Tage Haft für alle Beteiligten bedeuteten, zeigt das Interview, das
Atalay mit Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt führt. „Wie war das in der
Redaktion?“, fragt sie Poschardt, den man [2][eigentlich als harten Troll
von Twitter kennt], über den Moment der Freilassung. Poschardt schluckt,
greift sich ans Auge und unterbricht das Gespräch. Herzergreifend – und das
ist nicht zynisch gemeint.
Dazu kommt eine Hauptfigur mit prägnantesten Charakterzügen. Yücel ist ein
wunderbar sturer Bock. [3][Nach seiner Entlassung], so berichtet es in der
Doku taz-Redakteurin und [4][Yücel-Freundin Doris Akrap], machte er sich
nicht schnellstmöglich aus dem Staub, sondern rauchte vor dem Gefängnistor
noch eine – gegen den Willen der Wärter. „Ich rauche jetzt hier meine
Zigarette, weil ich bin ein freier Mensch!“, habe Yücel ihnen
entgegengebrüllt.
Und dann ist da noch die Frage, was Yücel die Freiheit brachte: stille
Diplomatie oder lauter Protest? „Unser Rat war, zu entscheiden, ob man
jeden Tag eine Schlagzeile will oder ob man will, dass man ihn rausbringt“,
blökt ein dünnhäutiger Sigmar Gabriel. Als damaliger Außenminister hatte er
[5][Gerhard Schröder zu Geheimverhandlungen] in die Türkei geschickt,
„Die Zeiten sind vorbei, wo Politik so gemacht wird. Politik wird heute mit
Public Diplomacy gemacht“, erwidert Welt-Redakteur Daniel-Dylan Böhmer, der
die Free-Deniz-Solikampagne mitorganisiert hatte. Wer von beiden recht hat?
Darauf gibt die Doku keine Antwort. Das wäre allerdings auch sehr viel
verlangt.
15 Apr 2019
## LINKS
[1] /Nach-der-Freilassung-von-Deniz-Yuecel/!5485304
[2] /Kolumne-Dumme-weisse-Maenner/!5511021
[3] /Deniz-Yuecel-ueber-die-Haft-und-die-Tuerkei/!5492150
[4] /Deniz-Yuecel-ueber-die-Absurditaet-der-Haft/!5459100
[5] /Wie-Schroeder-Peter-Steudtner-half/!5455832
## AUTOREN
Tobias Schulze
## TAGS
Schwerpunkt Deniz Yücel
Dokumentation
Türkei
Pressefreiheit in der Türkei
Schwerpunkt Fridays For Future
NDR
Axel Springer
taz.gazete
Pressefreiheit in der Türkei
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