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# taz.de -- Präsidentenwahl in der Ukraine: Die Show geht weiter
> Der Komiker Wolodimir Selenski entscheidet den ersten Wahlgang mit 30
> Prozent für sich. In der Stichwahl trifft er auf Amtsinhaber Poroschenko.
Bild: Der Präsidentschaftskandidat Wolodimir Selenski vor der Stimmabgabe am S…
Kiew taz | In der Ukraine hat der Showman und Komiker Wolodimir Selenski
nach Auszählung von knapp der Hälfte der Stimmen und bei einer
Wahlbeteiligung von 63 Prozent den ersten Wahlgang der
Präsidentschaftswahlen mit 30 Prozent für sich entschieden. Amtsinhaber
Petro Poroschenko landete mit 16, 6 Prozent weit abgeschlagen auf dem
zweiten Platz. Für die ehemalige Ministerpräsidentin Julia Timoschenko
scheint es nicht mehr gereicht zu haben. Sie wurde mit 13 Prozent Dritte.
Bierernst, in Anzug und Krawatte, berichtete ein Wahlkampfmanager von
Präsidentschaftskandidatin Julia Timoschenko den Journalisten am Wahlabend
in der Desjatinnaja Straße, unweit des ukrainisсhen Außenministeriums, von
mehreren Manipulationen, die dem Team bekannt geworden seien. Dessen
ungeachtet sei man sicher, dass „Julia“ in die Stichwahl käme.
Während er sprach, stellte die Kantine den Kaffeeausschank ein. Man habe,
so ein Kellner, Anweisung, bei Reden die Bedienung zu unterbrechen. Das
wirke störend.
Ganz anders war die Stimmung auf der Wahlparty von Kandidat Wolodimir
Selenski, zu der die meisten Gäste in Turnschuhen und legerer Kleidung
gekommen waren. Anzüge mit Krawatten suchte man vergeblich. Ein Kicker und
eine Tischtennisplatte direkt am Eingang waren ständig besetzt. Einer, der
sich ebenfalls an der Tischtennisplatte versuchte, war
Präsidentschaftskandidat Selenski. Doch er musste jeam Ende seinem Gegner,
einem Kiewer Journalisten, zu dessen eindeutigem Sieg gratulieren.
## Reichlich Rotwein
Dieses war die einzige Niederlage des Komikers und
Präsidentschaftskandidaten Selenski an diesem Sonntag Abend. Er lachte, als
er die ersten Hochrechnungen erblickte: 30 Prozent und damit eindeutig
Gewinner des ersten Wahlganges der Präsidentschaftswahlen. Freudestrahlend
ging Selenski auf die Bühne.
Hier stellte niemand die Bedienung ein, als der Kandidat sprach. Im
Gegenteil: der Rotwein floss reichlich. Wieder war es das authentische,
fast etwas kindlich wirkende Erstaunen des Komikers, das die Zuschauer,
Journalisten, Freunde und Fans begeisterte. „Von welcher Times sind Sie
noch einmal?“ fragte er eine Journalistin zurück, die sich als
Korrespondentin der New York Times vorgestellt hatte.
Als diese noch einmal den Namen New York Times wiederholte, hielt Selenski
für einen Augenblick inne. „Sie sprechen ja ein wunderbares Ukrainisch“
lobte er die Frau. Man merkte ihm an, dass er sich geehrt fühlte. So viele
Kameras seien noch nie auf ihn gerichtet gewesen, fügte er gerührt hinzu.
Der Saal jubelte.
Den ganzen Abend hielten Komiker und Schauspieler die Anwesenden bei Laune.
Fast hätte man die Politik vergessen. „Sind Sie bereit zu einer
Fernsehdebatte mit Petro Poroschenko?“ fragte eine Journalistin. Und
Selenski, der dies noch vor wenigen Tagen ausgeschlossen hatte, sagte:
„Klar doch.“
## Gute Ausgangsposition
„Und was ist mit Putin? Was werden Sie ihm beim ersten Gespräch sagen?“
wollte ein Reporter wissen. Irgendwann werde die Krim wieder von Kiew
regiert werden, so Selenski. Dann werde er Putin fragen: „Doch was ist mit
Entschädigungszahlungen dafür, dass Ihr unser Territorium weggenommen und
Leute unterstützt habt, die die Lage auf der Krim und im Donbass so
schrecklich und widerwärtig eskaliert haben?“ antwortete Selenski.
Eine gute Ausgangsposition für den zweiten Wahlgang am 21. April sei das
Wahlergebnis für Selenski, meinte die Bloggerin Olesja Medwedewa im
Online-Portal „strana.ua“. Es sei kaum möglich für Poroschenko, einen
Vorsprung von über zehn Prozent aufzuholen, so Medwedewa. Und es sei davon
auszugehen, dass die Wähler, die im ersten Wahlgang für Timoschenko und den
pro-russischen Kandidaten Jurij Boyko gestimmt hätten, ihre Stimme im
zweiten Wahlgang Selenski geben würden.
„Poroschenko wiederum wird versuchen, die Wähler mit der Bedrohung von
Russland aus zu mobilisieren“, vermutet Medwedewa. Doch dies werde kaum
Stimmen bringen. Denn das Wählerpotential derer, die meinten, nur
Poroschenko könnte sie vor einer Bedrohung durch Russland schützen, sei
ausgeschöpft.
Die große Verliererin der Wahl dürfte Julia Timoschenko sein. Der
Unternehmer und Dozent Walerij Pekar glaubt in einem Kommentar für die
Internetausgabe der Wochenzeitung „Nowoje Wremja“ nicht, dass Selenski die
unterlegene Timoschenko mit ins Boot holen werde, wenn diese im Gegenzug
ihre Wähler zu einer Stimmabgabe für ihn aufrufe. Selenski habe den
Geschmack des Sieges gekostet, so Pekar. Und den werde er sich nicht mit
einer Verliererin teilen.
„Außenpolitisch wird sich auch unter Selenski nicht viel ändern“ glaubt e…
türkischer Journalist am Wahlabend. Auch Selenski werde Richtung NATO
steuern und Putin keine Zugeständnisse machen. Er werde seine Politik aber
geschickter verpacken. Selenski werde ein Referendum über eine
NATO-Mitgliedschaft durchführen lassen. „Und da die Stimmung im Volk
derzeit für eine NATO-Mitgliedschaft ist, wird Selenski die Ukraine in die
NATO führen“, meint der türkische Journalist.
1 Apr 2019
## AUTOREN
Bernhard Clasen
## TAGS
Ukraine
Wolodymyr Selenskij
Petro Poroschenko
Julia Timoschenko
Präsidentenwahl
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Schwerpunkt Angela Merkel
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