# taz.de -- Präsidentschaftswahl in der Ukraine: Sie haben keine Stimme | |
> Viele ukrainische Wähler kommen nicht an die Orte, wo sie in den | |
> Wahllisten stehen. Grund ist der Krieg mit Russland und die Annexion der | |
> Krim. | |
Bild: Kateryna Savchenko kann nicht wählen | |
KIEW taz | Wenn die Ukraine am Sonntag in der ersten Runde und am 21. April | |
in der Stichwahl einen neuen Präsidenten wählen wird, werden nicht alle | |
Wählerinnen und Wähler problemlos ein paar Minuten vor oder auch nach dem | |
Mittagessen eben mal ihre Stimme abgeben können. Wer von den 35,5 | |
Millionen, die in das Wählerverzeichnis eingetragen sind, keine | |
Meldeadresse hat, das sind etwa 1 Million Wahlberechtigte, kann überhaupt | |
nicht wählen. All jene aber, die nicht dort wohnen, wo sie per Eintrag ins | |
Melderegister abstimmen dürfen, müssen einen Antrag stellen, an dem Ort | |
wählen zu dürfen, an dem sie sich am Wahltag aufhalten. Dieser Antrag ist | |
nur schwer zu beschaffen. | |
Auf der Krim leben 2,3 Millionen Ukrainer, in der „Volksrepublik Donezk“ | |
ebenfalls 2,3 Millionen, in der „Volksrepublik Lugansk“ 1,45 Millionen | |
Menschen. Geht man davon aus, dass von diesen 60 Prozent wahlberechtigt | |
sind, leben in den von Kiew nicht kontrollierten Gebieten 3,6 Millionen | |
Wählerinnen und Wähler. Sie alle müssen einen Antrag stellen, dort wählen | |
zu dürfen, wo sie sich am Wahltag aufhalten. | |
Wer auf der Krim, in Donezk oder Lugansk lebt, muss somit vor der Wahl in | |
einem von der Kiewer Zentralregierung kontrollierten Ort einen Antrag auf | |
Eintrag in das Wählerverzeichnis stellen. Dann muss er oder sie am Wahltag | |
erneut die Waffenstillstandslinie mit den erniedrigenden Kontrollen durch | |
beide Seiten überqueren. | |
Allein das Überqueren der „administrativen Grenze“ kann einen Tag Warten | |
bedeuten. Und es ist davon auszugehen, dass die Behörden der | |
[1][„Volksrepubliken“ von Donezk und Lugansk] und erst recht die russischen | |
Behörden auf der Krim alles unternehmen werden, um eine Wahlbeteiligung | |
„ihrer“ Bürger zu erschweren. | |
Sollte es zu einem zweiten Wahlgang am 21. April kommen, ist für diese | |
Stichwahl das gleiche Prozedere erneut zu durchlaufen. Allerdings darf man | |
den Antrag auf Eintrag in das Wählerverzeichnis am faktischen Aufenthalt | |
dann erst nach der Bekanntgabe des offiziellen Wahlergebnisses stellen. | |
Eine Woche vor der Wahl wird diese Liste geschlossen, de facto haben die | |
Bewohner der Krim oder der ostukrainischen „Volksrepubliken“ also nur eine | |
Woche Zeit, um sich auch für die Stichwahl eintragen zu lassen. Und wieder | |
müssen lange Wartezeiten an der „administrativen Grenze“ und vor den | |
Meldebehörden ausgestanden werden. | |
Zwar hat das Justizministerium, so berichtet das ukrainische Internetportal | |
Ukraina moloda, mitteilen lassen, dass man auf dem Gerichtsweg auch nach | |
Ende der Antragsfrist eine Aufnahme in das Wählerverzeichnis erstreiten | |
kann. Für die überwiegende Mehrheit der Wahlberechtigten dürfte ein Gang | |
zum Gericht aber eine zu große psychologische Hürde sein, zumal auch dieser | |
Gang mit einer weiteren Reise über die „administrative Grenze“ verbunden | |
wäre. | |
Auch die 2,5 Millionen Ukrainer, die laut dem ukrainischen Außenminister | |
Pawlo Klimkin in einem Beitrag für die Ukrainska Prawda derzeit in | |
Russland lebten, können sich kaum an der Wahl beteiligen. Im Gegensatz zu | |
den Wahlen in den vergangenen Jahren wird es dieses Mal durch Beschluss der | |
zentralen Wahlkommission der Ukraine in den diplomatischen und | |
konsularischen Vertretungen der Ukraine in Russland keine Wahlurnen geben. | |
Es wäre schließlich naiv zu glauben, der russische Inlandsgeheimdienst FSB | |
würde nicht versuchen, auf ukrainische Wahlen, die auf russischem | |
Territorium stattfänden, Einfluss zu nehmen, verteidigt Klimkin die | |
Entscheidung der ukrainischen Wahlkommission. | |
In Russland lebende Ukrainer, so Klimkin, könnten ja ihre Stimme in den | |
ukrainischen Vertretungen in Georgien, Finnland oder Kasachstan abgeben. | |
1,5 Millionen ukrainische Wähler, die in Russland leben, werden so ihres | |
Stimmrechtes beraubt. Zur Wahl eigens nach Finnland, Kasachstan oder | |
Georgien zu reisen dürfte nur für einen Bruchteil der in Russland lebenden | |
Arbeitsmigranten finanziell und zeitlich machbar sein. | |
Ein weiteres Hindernis: In den ukrainischen Metropolen ist es die Regel, | |
nicht die Ausnahme, dass Vermieter ihre Mieter nicht bei den Behörden | |
melden. Vorteilhaft ist diese Praxis für beide Seiten. Vermieter brauchen | |
so nicht auf staatliche Unterstützungsleistungen zu verzichten, die ihnen | |
alters- oder krankheitsbedingt für die teuren Heizkosten häufig zustehen. | |
In der Regel werden die Kosten für Heizung und Wasser nicht nach Verbrauch, | |
sondern nach Anzahl der Bewohner einer Wohnung berechnet. Das bedeutet für | |
einen Vermieter: Je mehr Personen offiziell in seiner Wohnung leben, umso | |
mehr muss er an Heizkosten bezahlen. Und wer keine Mieteinnahmen angibt, | |
muss diese auch nicht versteuern. | |
Insbesondere für junge männliche Mieter ist diese Praxis angenehm, sind sie | |
doch so für eine Einberufung zum Militär nicht erreichbar. Dies heißt | |
jedoch auch: Wer etwa in Kiew lebt, aber noch bei seinen Eltern mehrere | |
hundert Kilometer entfernt gemeldet ist, kann nur am Wohnort der Eltern | |
seine Stimme abgeben. | |
Angesichts dieser Hürden wundert es nicht, dass nur ein Bruchteil der | |
Wähler einen Antrag stellt, am faktischen Aufenthaltsort die Stimme abgeben | |
zu dürfen. 315.725 Personen, so das staatliche Wählerverzeichnis auf seiner | |
Homepage, haben bisher einen derartigen Antrag gestellt. Darunter 4.419 | |
Wähler von der Krim und 1.109 aus Sewastopol. Man kann davon ausgehen, dass | |
es beim zweiten Wahlgang noch weniger sein werden. | |
## Geringe Beteiligung von Binnenflüchtlingen | |
[2][1,8 Millionen Binnenflüchtlinge aus Donezk, Lugansk und der Krim] leben | |
in den von Kiew kontrollierten Gebieten der Ukraine, 1 Million von ihnen | |
dürften wahlberechtigt sein. Im Gegensatz zu Arbeitsmigranten und | |
Studenten, die ihrem Antrag auf Wahlbeteiligung am faktischen | |
Aufenthaltsort eine Bescheinigung von Arbeitgeber oder Universität | |
beilegen müssen, ist die Antragstellung für Umsiedler vereinfacht. | |
Trotzdem stellen Umsiedler nur wenig Anträge. Laut der ukrainischen | |
Menschenrechtsbeauftragten Ljudmyla Denisowa haben sich nur 200 von | |
insgesamt 1.000 der in der Ortschaft Stanyzja Luhanska wohnhaften | |
Binnenflüchtlinge für die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen | |
registrieren lassen. Grund hierfür ist laut Denisowa, dass die | |
Binnenflüchtlinge nicht genügend darüber informiert wurden, wie sie ihrem | |
Wahlrecht nachkommen können. | |
Gegenüber der taz bestätigt die aus Donezk stammende Oxana Tschepischko von | |
der Nichtregierungsorganisation „re:start“, dass es zwar für Umsiedler | |
relativ einfach sei, eine Wahl am Aufenthaltsort zu beantragen. Dass | |
hiervon jedoch so wenig Gebrauch gemacht werde, liege vor allem daran, dass | |
es sich unter den Umsiedlern nicht herumgesprochen habe, dass vor einem | |
Jahr die Antragsbestimmungen für sie liberalisiert worden seien. „So viel | |
Geld wird für den Wahlkampf und die ganzen Wahlplakate ausgegeben“, sagt | |
Tschepischko. „Aber warum macht sich niemand die Mühe, in einer | |
verständlichen Weise zu erklären, wie sich Umsiedler an der Wahl beteiligen | |
können?“ Offensichtlich fürchte man, dass die Umsiedler nicht so stimmen | |
werden wie von den Machthabern erwünscht, meint sie. | |
31 Mar 2019 | |
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## AUTOREN | |
Bernhard Clasen | |
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