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# taz.de -- Völkermord an den Tutsi: Macrons blinder Fleck
> Ruanda begeht den 25. Jahrestag des Völkermords an den Tutsi – allerdings
> ohne Macron. Der will Frankreichs Mitschuld weiterhin nicht einsehen.
Bild: Die Namen der Ermordeten: Hunderttausende Menschen starben in Ruanda durc…
Emmanuel Macron fährt nicht nach Ruanda. Präsident Paul Kagame hatte seinen
französischen Amtskollegen offiziell zu den Gedenkfeiern anlässlich des 25.
Jahrestags des [1][Völkermords an Ruandas Tutsi] eingeladen, als Vertreter
einer neuen, unbelasteten Politikergeneration. Aber [2][Macron] sagte wegen
„Terminschwierigkeiten“ ab. Und das, obwohl in einem offenen Brief über 300
Persönlichkeiten, darunter Nobelpreisträger und Menschenrechtsaktivisten,
Macron aufgefordert haben, nach Kigali zu fahren und dort endlich „die
Wahrheit zu sagen“.
Es geht dabei um das düsterste Kapitel der französischen Afrikapolitik: die
Unterstützung aus Paris für das Regime, das in Ruanda 1994 den Völkermord
an den Tutsi vollzog, bei dem eine Million Menschen getötet wurden. Seit
Jahrzehnten wird darüber gestritten, ob Frankreich durch seine massive
militärische Unterstützung für Ruandas damalige Armee den Aufbau der
Mordmaschinerie ermöglicht hatte, die ab dem Abend des 6. April 1994 in
Aktion trat, um sämtliche Tutsi und andere Gegner der Hutu-Hardliner
auszurotten und damit einen Friedensschluss mit Ruandas Tutsi-Rebellen zu
verhindern.
Besonders umstritten: die französische Militärintervention „Opération
Turquoise“ ab dem 22. Juni 1994, nach Monaten der internationalen
Untätigkeit angesichts der Massaker in Ruanda. Da besetzte Frankreichs
Armee den Südwesten Ruandas, während im Rest des Landes die
Tutsi-Rebellenarmee RPF (Ruandische Patriotische Front) gegen das
Völkermordregime auf dem Vormarsch war. Offiziell war dies eine „humanitäre
Intervention“, um dem Morden ein Ende zu setzen. Tatsächlich schützte der
französische Einsatz Hutu-Völkermordtäter vor vorrückenden Tutsi-Kämpfern
und ermöglichte ihnen den geordneten Rückzug in das benachbarte Zaire,
heute Demokratische Republik Kongo. Dort wurden sie weiter mit Waffen
ausgerüstet.
Offiziell wurde die Kumpanei mit den Tätern immer dementiert. Aber nach 25
Jahren brechen nun erstmals an der „Opération Turquoise“ beteiligte
französische Offiziere das Schweigen und belasten Frankreich schwer.
## Die Intervention hatte keine humanitären Ziele
Der erste war Guillaume Ancel, damals Hauptmann der Fremdenlegion. In
seinem 2018 veröffentlichten Buch „Rwanda, la fin du silence“ bestreitet
Ancel, dass die französische Militärintervention humanitäre Ziele
verfolgt habe. Er erinnert sich, wie er am 22. Juni 1994 – dem Tag, als der
UN-Sicherheitsrat grünes Licht für Frankreichs Eingreifen gab – als
Offizier den Befehl erhielt, sich bei der Bereitschaftskompanie des 2.
Infanterieregiments der Fremdenlegion in Nîmes zu melden. Der Einsatzbefehl
lautete, auf Ruandas Hauptstadt Kigali vorzurücken, damit diese nicht an
die Tutsi-Rebellen der RPF falle. Dann könnte das bereits aus der
Hauptstadt geflohene Hutu-Völkermordregime – das damals als legitime
Regierung Ruandas galt – wiedereingesetzt werden.
„Wir sollten verstehen, dass wir alles tun müssten, um das Vorrücken der
RPF-Soldaten zu stoppen, wenn sie östlich des Nyungwe-Waldes eintreffen“,
schreibt er – der Nyungwe-Wald ist ein Naturschutzgebiet im Südwesten
Ruandas. Ancels Auftrag war, vom Boden aus Luftangriffe der französischen
Jaguar-Kampfflieger auf die RPF zu leiten, um einen Korridor zu schaffen,
durch den seine Kompanie vorrücken könne. Er sollte dann am Boden
überprüfen, ob ausreichend bombardiert worden war oder nicht und ob das
nächste Ziel anvisiert werden könne.
Frankreichs Generalstab war der heikle Charakter dieser Planung
offensichtlich bewusst. Nach Ancels Schilderung wurden er und seine
Kameraden nicht nur wie üblich angewiesen, den schriftlichen Einsatzbefehl
zu vernichten, sondern ein Offizier sammelte jedes Exemplar davon ein. Es
sollte kein Beweis zurückbleiben.
Die Konfrontation zwischen Frankreichs Armee und Ruandas Tutsi-Rebellen
wurde in letzter Minute vermieden. Am 1. Juli 1994 befanden sich Ancel und
seine Kameraden bereits abflugbereit an Bord von fünf
Puma-Transporthubschraubern auf dem Flughafen von Bukavu in Zaire, als der
Befehl kam, die Operation sofort abzubrechen. Man habe eine Vereinbarung
mit der RPF getroffen, berichtete Hauptmann de Pressy, der diesen Befehl
übermittelte: „Die Tutsi stoppen ihren Vormarsch und wir werden eine Zone
schützen, die sie noch nicht kontrollieren, im Westen des Landes. Es wird
eine ‚humanitäre Zone‘ unter unserer Kontrolle sein.“
## Der Befehl kam direkt aus dem Élysée-Palast
So entstand die französische „Schutzzone“ im Südwesten Ruandas, bis August
1994 unter französischer Kontrolle, wo vor allem Völkermordtäter Schutz
fanden. Ancel gibt seinen Dialog mit de Pressy wieder: „Wenn ich das
richtig verstehe, sehen wir davon ab, die Regierung zurück an die Macht zu
bringen?“, habe er gefragt. Antwort: „Ja, im Moment.“
Der Befehl zum Abbruch sei direkt vom Élysée-Palast gekommen, dem Amtssitz
des französischen Präsidenten mit seiner Kommandozentrale „PC Jupiter“ in
einem Luftschutzbunker. Der sozialistische Präsident François Mitterrand
und seine Berater haben kalte Füße bekommen beim Gedanken, eine solche
Operation öffentlich rechtfertigen zu müssen. Schusswechsel am Boden kann
man als Irrtum oder ungeplante Eskalation kaschieren, Luftangriffe nicht.
Dass es den Franzosen in Ruanda nicht in erster Linie um humanitäre Belange
ging, also um ein Einschreiten gegen die Massaker und die Rettung der noch
verbliebenen Tutsi, zeigt auch die Affäre um Bisesero, das letzte große
Tutsi-Zufluchtsgebiet im Westen Ruandas. Mehrere zehntausend Tutsi hatten
sich dort vor dem organisierten Morden in die bewaldeten Hügel gerettet und
wurden von Ruandas Armee belagert. Als die Franzosen in der Gegend
eintrafen, wurde ihnen gesagt, dort versteckten sich Tutsi-Terroristen im
Busch. Als französische Spezialkräfte am 27. Juni erste Erkundungen
unternahmen, fanden sie stattdessen entkräftete und verängstigte Menschen,
die „wie Geister aus dem Wald kamen“ und bettelten, mitgenommen zu werden,
wie ein mitgereister französischer Journalist bereits am 28. Juni im Radio
berichtete.
## Französische Waffen für die Rückeroberung
Die Franzosen nahmen niemanden mit. Und anstatt sofort die Evakuierung
dieser todgeweihten Menschen einzuleiten, wurden die Soldaten nach ihrer
Rückkehr in ihre Basis angewiesen, nicht nach Bisesero zurückzukehren. So
konnten die ruandischen Hutu-Kämpfer erst mal ungestört Bisesero angreifen
und mehrere tausend Tutsi töten.
Erst nach drei Tagen, am 30. Juni, kamen erneut französische Soldaten nach
Bisesero. Sie fanden noch 800 Überlebende, einen Bruchteil der Zahl drei
Tage zuvor. Die nahmen sie mit und stellten dies als humanitären Erfolg
dar. Auch das geschah nur, weil einige der französischen Soldaten schon
nach ihrem ersten Besuch in Bisesero so schockiert waren, dass sie die
begleitenden Journalisten informierten.
Dass Ruandas Völkermordarmee nach der Flucht in den Kongo neue französische
Waffenlieferungen erhielt, um Ruanda von den Tutsi-Rebellen zurückerobern
zu können, wurde laut Ancel ebenfalls von höchster Stelle in Frankreich
befohlen. Eigentlich galt gegen Ruanda seit Mai 1994 ein UN-Waffenembargo.
Manche dieser illegalen Lieferungen sind noch heute wegen der sie
begleitenden illegalen Geldzahlungen Thema juristischer Ermittlungen.
Ancels Buch löste in Frankreich heftigen Streit aus. Andere ehemalige
Militärangehörige dementierten empört. Aber während die Kontroverse
hochkochte, erschien ein weiteres Buch mit neuen schwerwiegenden Vorwürfen:
„Général, j’en a pris pour mon grade“, verfasst von General Jean Varret,
dem Leiter der französischen Entwicklungshilfebehörde in Ruanda von Oktober
1990 bis April 1993. Daraus geht hervor, dass schon zu Beginn des
ruandischen Bürgerkrieges im Oktober 1990, als erstmals die Tutsi-Rebellen
der RPF in Aktion traten, die mörderische Absicht der radikalen
Hutu-Generäle offenkundig war.
## Wer die Völkermordabsichten ansprach, wurde abgesetzt
General Varret beschreibt ein Treffen mit dem Generalstabschef der
ruandischen Gendarmerie, Oberst Pierre-Célestin Rwagafilita. Der Oberst
habe von Frankreich schwere Waffen verlangt. General Varret habe gesagt,
dafür sei die Gendarmerie nicht da. Rwagafilita habe erwidert: „Ich bitte
Sie um diese Waffen, weil ich zusammen mit der Armee das Problem
liquidieren werde. Das Problem ist ganz einfach. Die Tutsi sind nicht sehr
zahlreich, wir werden sie liquidieren.“
General Varret schreibt, er habe bereits im November 1990 in Paris Alarm
geschlagen ob der Völkermordabsichten der Hutu-Extremisten. Seine Warnung
sei ignoriert worden. Stattdessen wurde Frankreichs Militärhilfe an Ruanda
ausgeweitet. Und im April 1993 wurde Varret abgesetzt.
6 Apr 2019
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## AUTOREN
François Misser
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