# taz.de -- Insektizidproduzent als Insektenretter: Hersteller warnt vor seinen… | |
> Hans-Dietrich Reckhaus ist Pestizidhersteller – und Aktivist gegen das | |
> Insektensterben. Das führt zu einer ungewöhnlichen Kampagne. | |
Bild: Insektizidhersteller – und Insektenfreund: Hand-Dietrich Reckhaus auf d… | |
BERLIN taz | Es ist eine ungewöhnliche Kampagne, die der Bielefelder | |
Biozidhersteller Reckhaus fährt: Das Familienunternehmen, das Mittel gegen | |
häuslichen Insektenbefall herstellt, warnt seit Anfang des Jahres vor der | |
Gefahr der eigenen Produkte. „Tötet wertvolle Insekten“, heißt es auf der | |
Frontseite der Kleidermotten- und Fliegenfallen oder -sprays in einem | |
dicken schwarzen Rahmen. Die [1][Warnungen] ähneln zumindest optisch den | |
früheren Warnhinweisen auf Zigarettenschachteln. | |
Wie kommt ein Unternehmer darauf, vor seinen eigenen Produkten zu warnen? | |
Für Hans-Dietrich Reckhaus, den Geschäftsführer des gleichnamigen | |
Unternehmens, ist das eine moralische Frage. „Mit dieser Kampagne kämpfe | |
ich für ein neues Verständnis im Umgang mit Insekten“, sagte Reckhaus der | |
taz. | |
Diese seien für die Umwelt von unschätzbarem Wert – gleichzeitig sei zu | |
beobachten, wie das [2][Insektensterben immer dramatischere Ausmaße] | |
annimmt. „Deshalb setzen wir uns für eine reduzierte und bewusstere | |
Insektenbekämpfung ein“, sagt Reckhaus. „Mit dem Warnhinweis wollen wir | |
unsere Kunden für die Problematik sensibilisieren.“ | |
Reckhaus, der für sein Engagement für den Insektenschutz zahlreiche Preise | |
erhielt, führte bereits zuvor das sogenannte „Insect Respect“-Siegel ein. | |
Es verspricht, dass die entsprechenden Insektizide „bekämpfungsneutral“ | |
sind. Das heißt: Für jeden Sechsbeiner, der durch das Mittel zu Tode kommt, | |
wird an anderer Stelle Lebensraum für neue Insekten geschaffen; etwa indem | |
BiologInnen des Unternehmens Flachdächer begrünen und mit Totholz versehen. | |
## Neuer Lebensraum für Insekten | |
Dazu errechnen Reckhaus’ MitarbeiterInnen, wie viel Biomasse an Insekten | |
mit jedem ihrer Produkte vernichtet wird und wie viele Insekten pro | |
Quadratmeter erschaffenem Lebensraum ein neues Habitat finden. So soll der | |
durch seine Biozide angerichtete Schaden kompensiert werden. | |
Die künstlichen Habitate allein reichen jedoch nicht, meint Reckhaus. „Wir | |
wünschen uns, dass grundsätzlich weniger unserer Mittel eingesetzt werden. | |
Die Kompensation für getötete Insekten kann immer nur die letzte Lösung | |
sein – unser Insektenschutz fängt früher an.“ | |
Zum einen versieht sein Unternehmen die entsprechenden Gifte deshalb mit | |
Informationen, wie man Insektenbefall von vornherein verhindern kann. Zum | |
anderen versucht Reckhaus, giftige Breitbandprodukte zu vermeiden, die alle | |
Insekten töten, die mit ihnen in Kontakt kommen. | |
So locken einige seiner Produkte mit Sexualhormonen tatsächlich nur jene | |
Tiere in die Klebefallen, die auch wirklich bekämpft werden sollen. | |
Breitbandprodukte wie Raumsprays, bei denen noch nicht auf giftige | |
Insektizide verzichtet werden kann, erhalten das Siegel nicht. Den | |
Warnhinweis, dass das Biozid wertvolle Insekten töte, tragen hingegen alle | |
Produkte. | |
Zuspruch erhält Reckhaus auch aus dem Bereich der Wissenschaft. „Viele der | |
Insekten, die im Haushalt in Fliegenfallen oder anderen Vorrichtungen | |
verenden, wären zwei Minuten später zum Fenster wieder rausgeflogen“, sagt | |
Jürgen Gross, Präsident der Deutschen Gesellschaft für allgemeine und | |
angewandte Entomologie. Für eine reduzierte und gezielte Insektenbekämpfung | |
zu werben sei daher richtig und wichtig. | |
„Der häusliche Bereich, in dem die Produkte von Reckhaus angewendet werden, | |
mag für das Insektensterben insgesamt von marginaler Bedeutung sein. | |
Allerdings schafft Reckhaus ein Bewusstsein bei den Verbrauchern, das über | |
ihr Konsumverhalten auf andere Hersteller rückstrahlen kann“, sagt Gross | |
weiter. Viele Hersteller könnten sich daran ein Beispiel nehmen. „Egal ob | |
im häuslichen Bereich, in der Landwirtschaft oder der Kleingärtnerei – | |
überall haben Schädlingsbekämpfungsmittel negative Folgen für Insekten.“ | |
Fraglich bleibt, wie es wirtschaftlich weitergehen kann. Der Umsatz sei in | |
den letzten Jahren „ganz schön zusammengefallen“, gesteht Reckhaus. „Rote | |
Zahlen schreiben wir allerdings noch nicht.“ Der Unternehmer zeigt sich | |
zuversichtlich, dass sich das risikoreiche Engagement in ein paar Jahren | |
lohnen werde. | |
Zudem will sich Reckhaus zunehmend darauf spezialisieren, ungenutzte | |
Flächen in insektenfreundliche Lebensräume umzuwandeln; mit Ritter Sport | |
und Heidelberg Zement sei man bereits Kooperationen eingegangen. „Wir | |
würden das Geschäft mit den Bioziden gern reduzieren und unsere Mitarbeiter | |
– langfristig – zu Landschaftsgärtnern umschulen.“ | |
28 Apr 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.reckhaus.com/sortiment/recozit.html | |
[2] /Studie-zum-weltweiten-Insektensterben/!5569147 | |
## AUTOREN | |
Jan Christoph Freybott | |
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