# taz.de -- Wahlversprechen der 5-Sterne-Bewegung: Italien führt Grundsicherun… | |
> Bedürftige ItalienerInnen können erstmals eine staatliche Unterstützung | |
> bis zu 780 Euro beantragen. Das „Bürgereinkommen“ ähnelt Hartz IV. | |
Bild: Beim „Bürgereinkommen“ handelt es sich keineswegs um das bedingungsl… | |
ROM taz | Bürger*innen in Italien können seit dem 6. März erstmals die neue | |
Grundsicherung beantragen. Am 1. Mai sollen sie die ersten Monatszahlungen | |
erhalten. Italien geht damit eine der wichtigsten Sozialreformen der | |
vergangenen Jahrzehnte an. | |
Das in Rom zusammen mit der Lega regierende Movimento5Stelle (M5S) hatte | |
die Einführung der Grundsicherung zu [1][einem seiner wichtigsten | |
politischen Vorhaben] erklärt. Fünf-Sterne-Chef Luigi Di Maio – er ist in | |
der Regierung Vizepremier sowie Wirtschafts- und Arbeitsminister – trieb | |
das Projekt mit Hochdruck voran. | |
„Die Armut in Italien wird abgeschafft“, hatte Di Maio vollmundig nach | |
Verabschiedung des Gesetzes im Parlament verkündet. Ganz so ist es nicht. | |
Der Name „Bürgereinkommen“ legt Missverständnisse nahe, denn es wird | |
keineswegs ein bedingungsloses Grundeinkommen eingeführt. Eher handelt es | |
sich um die [2][italienische Variante von Hartz IV]. Denn wer arbeitsfähig | |
ist, muss Arbeitsangebote akzeptieren, an Fortbildungsmaßnahmen teilnehmen | |
oder auch gemeinnützige Arbeiten leisten. | |
Menschen, die unter der Armutsgrenze leben, können mit der Grundsicherung | |
bis zu 780 Euro im Monat bekommen, von denen 280 Euro eventuelle | |
Mietzahlungen abdecken sollen. Wer also – wie es in Italien oft der Fall | |
ist – im Eigentum lebt, bekommt nur 500 Euro. Für den zweiten Erwachsenen | |
in der Familie gibt es weitere 200 Euro, für Kinder 100 Euro pro Kopf. Eine | |
vierköpfige Familie mit zwei minderjährigen Kindern erhielte also 900 Euro, | |
plus eventuell 280 Euro für die Miete. | |
## Gutschrift auf separater Bankkarte | |
Die Voraussetzungen sind eng definiert. Im Prinzip wird das Einkommen auf | |
500 Euro pro Monat aufgestockt. Wer mehr verdient, kommt gar nicht in den | |
Genuss von Leistungen. Auch Barvermögen über 6.000 Euro wird angerechnet, | |
ebenso Immobilienvermögen (außer dem selbst bewohnten Eigentum), das mehr | |
als 30.000 Euro wert ist. Wer in den letzten sechs Monaten ein neues Auto | |
gekauft hat oder einen Wagen mit einem Motor von über 1.600 | |
Kubikzentimetern fährt, braucht erst gar keinen Antrag zu stellen. | |
Dennoch wird die Zahl der Menschen, die die Grundsicherung erhalten können, | |
auf bis zu 5 Millionen kalkuliert. Die Kosten werden auf etwa 7 Milliarden | |
Euro jährlich geschätzt. Über ihre Grundsicherung können die Empfänger | |
jedoch nicht völlig frei verfügen. Sie bekommen das Geld nicht aufs Konto | |
überwiesen, sondern auf einer Bankkarte gutgeschrieben, mit der sie | |
bargeldlos bezahlen. | |
Auf diese Weise soll ausgeschlossen werden, dass Arbeitslose ihre Stütze an | |
Glücksspielautomaten verdaddeln. Zugleich will die Regierung sicher | |
stellen, dass die Empfänger ihre Grundsicherung in den Wirtschaftskreislauf | |
einspeisen: Summen, die nicht ausgegeben werden, werden spätestens nach | |
sechs Monaten komplett einbehalten. | |
## Drakonische Strafen für Schwindler | |
Als Bonbon für die fremdenfeindliche Lega hat das M5S außerdem in einen | |
Passus eingewilligt, nach dem Migranten erst nach zehnjähriger | |
Aufenthaltsdauer in Italien in den Genuss des „Bürgereinkommens“ kommen. | |
Zudem müssen sie mit Dokumenten belegen, dass sie im Herkunftsland weder | |
Eigentum noch Einkommen haben. | |
Um die Menschen in Arbeit zu bringen, will der italienische Staat bis zu | |
6.000 „Navigatoren“, sprich Berufsberater, einstellen. Sie sollen | |
Arbeitsangebote unterbreiten und Weiterbildungspläne aufstellen. Selbst | |
erhalten sie allerdings prekäre Arbeitsverträge, wahrscheinlich auf | |
Honorarbasis. Große Zweifel bestehen deshalb daran, dass Italien demnächst | |
wirklich über funktionierende Jobcenter verfügen wird. | |
Drakonische Strafen wiederum sind für Antragsteller vorgesehen, die falsche | |
Angaben machen oder parallel schwarzarbeiten: Ihnen drohen Haftstrafen von | |
bis zu sechs Jahren. Auch hier stellt sich die Frage, wie die Renten- und | |
Sozialversicherungsanstalt INPS angesichts der zu erwartenden Antragsflut | |
überhaupt kontrollieren will, ob die Antragsteller*innen jeweils die | |
Voraussetzungen erfüllen. | |
6 Mar 2019 | |
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## AUTOREN | |
Michael Braun | |
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