# taz.de -- Einführung von Grundsicherung: Hartz IV auf Italienisch | |
> In Italien sollen Arbeitslose und arme Rentner künftig 780 Euro erhalten. | |
> Das System ähnelt Hartz IV – und erhöht die geplante Neuverschuldung. | |
Bild: Betten für Obdachlose in Kirche in Rom | |
ROM taz | Am Montagabend haben sich die Koalitionspartner der italienischen | |
Regierung, das Movimento5Stelle und die Lega, auf den Haushaltsentwurf für | |
2019 geeinigt, der nun leicht verspätet nach Brüssel geht. Doch Ärger mit | |
der Europäischen Kommission ist programmiert: Statt der von der | |
Vorgängerregierung zugesagten Neuverschuldung von nur noch 0,8 Prozent | |
peilen das Bündnis der Anti-Establishment-Parteien und Ministerpräsident | |
Giuseppe Conte jetzt 2,4 Prozent an. | |
Schluss mit der Austerität, her mit einem expansiven Budget: Das ist die | |
Ansage des Fünf-Sterne-Chefs Luigi Di Maio und des Lega-Anführers Matteo | |
Salvini, die beide als Vizepremiers die eigentlichen starken Männer im | |
Kabinett sind. Beide Parteien konnten zentrale Wahlversprechen wenigstens | |
zum Teil in den Haushalt einbringen. Die Lega hat die 7 Milliarden Euro | |
teure Senkung des Renteneintrittsalters für Personen, die wenigstens 38 | |
Beitragsjahre vorweisen können, durchgesetzt. Außerdem gibt es künftig | |
einen einheitlichen Steuersatz (Flat Tax) von 15 Prozent für | |
Selbstständige, die weniger als 65.000 Euro jährlich verdienen. Die | |
Maßnahme kostet 1,5 Milliarden Euro. | |
Sogar 9 Milliarden Euro soll die Kernforderung der Fünf Sterne kosten: das | |
„Bürgereinkommen“ von 780 Euro monatlich, das ab März 2019 gezahlt werden | |
soll. Der Begriff suggeriert, es gehe hier um ein bedingungsloses | |
Grundeinkommen, in Wirklichkeit aber handelt es sich um eine | |
Grundsicherung, die Hartz IV ähnelt. | |
Zwar hat Italien seit 2015 eine Arbeitslosenversicherung. Doch von einer | |
umfassenden Grundsicherung kann keine Rede sein. Denn das Arbeitslosengeld | |
wird maximal zwei Jahre lang gezahlt. Für Selbstständige und damit auch für | |
prekär arbeitende Scheinselbstständige, die ihren Job verlieren, gibt es | |
bisher keinerlei Absicherung. Das gilt auch für junge Arbeitslose, die noch | |
nicht abhängig beschäftigt waren – bei einer Jugendarbeitslosigkeit von 30 | |
Prozent. Auch für Rentner gibt es keine Mindestsicherung. | |
## Mit Pflichten verbunden | |
Das soll sich jetzt radikal ändern. Di Maio versprach sogar vollmundig, | |
Italien „schaffe die Armut ab“. 780 Euro pro Monat – mit Zuschlägen für | |
Familienmitglieder – sollen das Überleben sichern. Wer geringere Einkünfte | |
hat, kann es aufstocken lassen. Für Menschen im Erwerbsalter ist der Bezug | |
der Leistung allerdings mit der Pflicht verbunden, Arbeitsangebote zu | |
akzeptieren. Bei der dritten Ablehnung soll die Leistung gestrichen werden. | |
Alternativ ist die Teilnahme an Qualifizierungsmaßnahmen und die Ableistung | |
gemeinnütziger Arbeit für 8 Stunden pro Woche vorgesehen. | |
Ausgeben können die Empfänger ihr „Bürgereinkommen“ nur über eine | |
Geldkarte, die so programmiert sein soll, dass zum Beispiel Einsätze an | |
Spielautomaten unmöglich sind. Zudem plant Di Maio drakonische Strafen für | |
Betrüger: Wer sich die Leistung unrechtmäßig erschleiche, müsse mit bis zu | |
6 Jahren Haft rechnen. Geht es nach Salvini und Di Maio, so geht die | |
Grundsicherung auch nur an italienische Staatsbürger und Ausländer, die | |
seit mehr als fünf Jahren in Italien leben. Viele Geflüchtete bleiben damit | |
ausgeschlossen. | |
16 Oct 2018 | |
## AUTOREN | |
Michael Braun | |
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