# taz.de -- Debatte Politische Situation in Italien: Ein Block aus Lega und Fü… | |
> In Rom sitzen seit kurzem Lega und 5-Sterne-Bewegung in einer gemeinsamen | |
> Regierung. Die beiden Parteien verbindet mehr, als viele dachten. | |
Bild: Lega-Chef und Italiens Innenminister Matteo Salvini hat eine Erfrischung … | |
Betrachtet man die geografische Verteilung der Stimmen, dann scheint aus | |
den [1][Wahlen vom 4. März 2018] ein geteiltes Italien hervorgegangen zu | |
sein: Ein reiches Land im Norden, mit modernen, effizienten Industrien und | |
einem Bruttoinlandsprodukt, das dem der wohlhabenden Staaten im Norden | |
Europas in nichts nachsteht. Dieses Italien wählte am 4. März Lega und, zu | |
einem kleineren Teil, Forza Italia, die Partei Silvio Berlusconis. | |
Und dann scheint es ein zweites Italien zu geben, den Süden der Halbinsel, | |
der in weiten Teilen nicht vom Staat, sondern von der organisierten | |
Kriminalität kontrolliert wird, in dem die wirtschaftliche und die soziale | |
Situation Grund zu großer Sorge gibt – Parameter, die sich in den | |
zurückliegenden Jahren der „Großen Rezession“ noch mal zum Negativen | |
entwickelt haben. In diesem, dem tatsächlich leidenden Teil Italiens, haben | |
die Wählerinnen und Wähler ein unmissverständliches Signal des Wandels | |
ausgesendet: Hier verzeichnete die Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) ihre besten | |
Resultate. | |
Dieses Votum richtete sich gegen das Versagen der Institutionen vor Ort und | |
jenes der Eliten in Rom, es war ein Protest gegen die erbärmliche | |
Infrastruktur und den inexistenten Sozialstaat, gegen die Verschwendung von | |
öffentlichen Geldern, gegen die Verarmung breiter Bevölkerungsschichten, | |
die sich in Prekarität und Unsicherheit als Dauerzustand einzurichten | |
haben. | |
32,7 Prozent der italienischen Wählerinnen und Wähler gaben aus diesen | |
Gründen der vor zehn Jahren von dem Schauspieler und Comedian Beppe Grillo | |
und dem Internet-Unternehmer Gianroberto Casaleggio gegründeten | |
5-Sterne-Bewegung ihre Stimme. In den fünf Jahren seit der letzten | |
Parlamentswahl hat M5S um mehr als sieben Prozentpunkte zugelegt. | |
## Wie groß ist der Unterschied wirklich? | |
Erst jetzt, nach dem grandiosen Erfolg bei den Wahlen, wird es für die | |
Bewegung schwierig. Bisher ging es allein darum, den Status quo zu | |
kritisieren und – in den Worten von Ex-Premier Matteo Renzi von der | |
Demokratischen Partei – zu „verschrotten“. Nun soll die konstruktive Phase | |
beginnen. Für diese steht der aktuelle Minister für Arbeit und Soziales, | |
Luigi Di Maio. Sein Bündnis mit Lega-Chef Matteo Salvini, der dann | |
Innenminister wurde, [2][kam durchaus überraschend]. | |
Die Lega, die lange Jahre in der Regierungsverantwortung an der Seite von | |
Silvio Berlusconi stand – und somit das Neue eigentlich nicht | |
repräsentieren kann –, hat sich neu erfunden. Sie hat sich von einer | |
separatistisch-regionalen zu einer nationalistischen Partei gewandelt, die | |
sich nun an alle Italiener wendet – wobei sie selbst definiert, wer zum | |
„Volk“ gehört und wer davon ausgeschlossen wird. | |
Warum aber hat nun die Koalition von M5S und Lega die Mehrheit der | |
politischen Analysten im In- und Ausland so überrascht? Aus hiesiger | |
Perspektive jedenfalls scheint der Unterschied zwischen beiden | |
Gruppierungen so tief nicht zu sein. Die Wahrnehmung, nach der die Lega die | |
rechte und das M5S die linke Seite des politischen Spektrums besetze, | |
scheint lediglich ein Stereotyp zu reproduzieren. In Wirklichkeit geht es | |
um eine De-facto-Fusion zweier Wählerschaften, die trotz der Gegensätze | |
zwischen Nord und Süd mindestens drei entscheidende Elemente verbinden. | |
## Das Land wird erneut aufgespalten | |
Sie repräsentieren erstens eine Anti-Establishment-Haltung, die sich in | |
Fundamentalopposition zu den Etablierten von links und rechts sieht, welche | |
Italien bislang regiert haben. Zweitens geben beide Gruppierungen tief in | |
der italienischen Bevölkerung verwurzelten Ressentiments einen | |
institutionellen Anstrich – und nähren diese niederen Instinkte weiter, | |
indem sie einen äußeren „Feind“ markieren und für alle Probleme | |
verantwortlich machen, seien es nun die Migranten, die EU, der französische | |
Präsident oder die deutsche Bundeskanzlerin. | |
Und schließlich spalten sie das Land erneut auf, in das des Volkes, der | |
Authentizität, im Gegensatz zu den Eliten, den Technokraten und Bürokraten | |
oder gleich den berüchtigten „dunklen Mächten“ – Salvini kritisiert | |
inzwischen George Soros, amerikanischer Geschäftsmann aus einer | |
jüdisch-ungarischen Familie, im Tonfall des ungarischen Premiers Orbán als | |
„skrupellosen Spekulanten“. | |
Lega und M5S bieten also beide vereinfachende Erklärungen und Lösungen an | |
für die – reale – Unzufriedenheit weiter Teile der Bevölkerung. So | |
verbinden sich scheinbar unterschiedliche Parteien in der Regierung zu | |
einem Block. | |
## Fatale Fehleinschätzung | |
Im Norden konzentriert man sich auf ökonomische Themen, insbesondere auf | |
die als zu hoch empfundene Steuerbelastung, und zeigt [3][klare rechte | |
Kante in der Migrationsfrage], die allgemein als konkrete Bedrohung für das | |
bisherige Modell des sozialen Friedens empfunden wird. Im Süden dagegen | |
fokussiert man sich auf das allgemeine Empfinden, dass es so auf keinen | |
Fall weitergehen könne, insbesondere bei der Frage der | |
Massenarbeitslosigkeit, die vor allem unter den Jüngeren ein nicht mehr | |
hinnehmbares Niveau erreicht hat. | |
In dieser neuen politischen Ära wird das Schicksal der Fünf Sterne davon | |
abhängen, ob sie in ihren Kernpunkten Erfolge erzielen können: Kampf gegen | |
Steuerverschwendung und Steuerhinterziehung; Reform der völlig | |
ineffizienten Justiz, die viele Kriminelle wegen absurder | |
Verjährungsfristen straflos ziehen lässt; Kampf für ein eher soziales | |
Sicherungssystem, das eher Hartz IV ähnelt als einem bedingungslosen | |
Grundeinkommen. | |
Bei den Fünf Sternen ist man dabei zu der Überzeugung gekommen, dass man | |
mit einer Politik der ewigen Fundamentalopposition die Ergebnisse nicht | |
mehr würde steigern können. Deswegen die riskante Entscheidung, mit der | |
Lega in die Verantwortung zu gehen. | |
Bislang hat in der Tat vor allem Letztere vom Zusammenschluss profitiert – | |
aber das muss keineswegs so bleiben. Diese Regierung vorzeitig | |
abzuschreiben, weil sie angeblich nicht zusammenpasse: Das jedenfalls | |
könnte sich als [4][fatale Fehleinschätzung] erweisen. | |
12 Jul 2018 | |
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## AUTOREN | |
Marco Damiani | |
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