# taz.de -- Kolumne So nicht: Revolution nur mit Fahrkarte! | |
> Billiger, leninistischer: Ein Versuch, den Schulstreikenden von „Fridays | |
> for Future“ zu erklären, wie cool es wäre, freitags ohne Ticket zu | |
> fahren. | |
Bild: Kostenloser Öffentlicher Nahverkehr zumindest freitags wär doch schön | |
Freitagfrüh und eine ultralange Schlange aus jungen Menschen steht vor dem | |
Fahrkartenautomat meines U-Bahnhofs. Eigentlich gibt es hier zwei | |
Automaten, aber wir sind in Berlin und von den beiden ist mindestens einer | |
immer kaputt. So auch heut. | |
Ich bin spät dran und berechne präziser als jeder Lungenarzt, dass ich | |
mindestens 14,73 Minuten warten muss, bis ich die 1,70 Euro für die | |
Kurzstrecke für drei Stationen loswerde. Einige der sehr jungen Leute, die | |
die Vorhalle des U-Bahnhofs verstopfen, tragen Schilder. Die Schilder | |
framen die Anwesenden eindeutig als schulstreikende Demonstranten und | |
Demonstrantinnen für Klima und Zukunft. | |
Ich frage eine Gruppe, wo sie hin müssten. „Nur bis zur nächsten Station“, | |
sagt ein junges Mädchen. Nicht ganz uneigennützig empfehle ich, die eine | |
Haltestelle ohne Fahrkarte zu fahren. Sie seien doch so viele, dass sowieso | |
kein Kontroletti mehr ins Abteil passen würde. Die kleine Gruppe | |
Schulstreikende lacht verhalten. Sie wirken sehr schüchtern. Überzeugen | |
kann ich sie offenbar nicht. | |
„Kennt ihr den Witz mit der Bahnsteigkarte und den Deutschen?“ „Ne“, sa… | |
ein paar. „Er geht so: Revolution in Deutschland? Das wird nie etwas, wenn | |
diese Deutschen einen Bahnhof stürmen wollen, kaufen die sich noch eine | |
Bahnsteigkarte!“ Keiner aus der Gruppe der Schulstreikenden lacht. | |
Dann sagt einer: „Was ist daran so schlimm?“ Ich kapituliere vorläufig, | |
verrate nicht, dass dieses Bonmot Lenin zugeschrieben wird, der ja selbst | |
auch eine Fahrkarte gelöst hatte, um mit dem Zug von Zürich nach Petrograd | |
zu reisen, um dort Revolution zu machen. | |
## Der Weg ist das Ziel | |
Ich versuche einen allerletzten Trick. Ich sage, der Weg sei ja auch das | |
Ziel und mit dem bewussten Nichtkaufen eines Tickets könne doch auch ein | |
Zeichen gesetzt werden: Einfach auf ein Schild „Kostenloser öffentlicher | |
Nahverkehr jetzt!“ schreiben. Das wäre doch sicher im Sinne ihres | |
Anliegens, auch in Zukunft ohne künstliche Beatmungsgeräte durch die Gegend | |
laufen zu können. | |
Die Kindergruppe lacht. Endlich! Eine sagt: „Geile Idee“. Die Gruppe | |
verstreut sich, sucht Pappe und Stifte oder jedenfalls tut sie so. Zwei aus | |
der Gruppe bleiben aber neben mir stehen: „Wissen Sie, es ist so: Unsere | |
Eltern haben gesagt, dass es okay ist, wenn wir nicht in die Schule gehen | |
und zur Demo gehen. Aber wenn wir jetzt auch noch ohne Fahrkarte fahren | |
würden, fänden sie das sicher zu viel.“ | |
„Hm. Ja klar. Na dann“, stottere ich, mir fällt nichts mehr ein. Es sind | |
jetzt aber auch nur noch vier Schulstreikende vor mir in der Schlange. Mir | |
fällt ein, dass ich Kurzstrecke mindestens so überflüssig wie | |
Bahnsteigkarte finde und frage mich, ob ich einfach kein Ticket kaufe und | |
dem Kontroletti sage, ich würde aus Solidarität mit den Schulstreikenden | |
ohne Fahrkarte fahren. | |
Ich hatte dann keinen Bock auf Stress. Aber kostenloser Bus und Bahn | |
fahren, zumindest freitags, ist doch gar keine so schlechte Idee, oder? | |
Macht wer mit? | |
21 Mar 2019 | |
## AUTOREN | |
Doris Akrap | |
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