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# taz.de -- Kolumne So nicht: Das Mimimi der Überempfindlichen
> Kritik diskutieren oder aushalten? Nö. Lieber Solidemo mit Doppelhashtag
> und Mehrfachretweet einfordern.
Bild: Wer Stacheln hat, sollte keine Mimose sein
Bis ganz kurz vorhin dachte ich, Mimimi sei der Assistent von Prof. Dr.
Honigtau Bunsenbrenner Beaker und ansonsten ein Wort zur präzisen
Charakterisierung eines weit verbreiteten Twitterer-Typus.
Nämlich jener, die ständig anderen auf die Mütze oder die Nase hauen und,
wenn sie dabei selbst was abkriegen, nicht nur losheulen, sondern von
anderen Beistand und Loyalität einfordern.
Loyalität bedeutet hier übersetzt: Mindestens eine Soli-Demo plus
Lichterkette und Abschlusskundgebung mit Doppelhashtag, Mehrfachretweet,
ff-Empfehlung und Thementhreads ab 1 Meter Länge.
## TÜV-geprüftes Mimimi
Neben „twittert hier privat“ können sich diese Typen gerne in die
Twitterbio schreiben „Mimimimi-TÜV-geprüft“.
Festzustellen ist, dass Mimimi auch außerhalb von Prof. Bunsenbrenner und
Twitter existiert und damit zu dem gehört, was man landläufig
gesellschaftliches Phänomen nennt. Sicher, die Neue Empfindlichkeit ist
kein ganz neues Thema mehr und wird vor allem von unappetitlichen
Zeitgenossen der politischen Rechten verhöhnt.
Trotzdem, eine gewisse Überdrehtheit der Überempfindlichkeit ist nicht von
der Hand zu weisen.
Das irrste Beispiel derzeit: die Skandalisierungen rund um den [1][Film
Green Book], für zig Oscars nominiert und mit Golden Globes ausgezeichnet.
Er handelt von der Freundschaft eines schwarzen Starpianisten und seines
weißen Fahrers in den 1960er Jahren.
Anfangs lautete die Kritik, es sei ein Fühlgut-Film über Rassismus für
Weiße, und die Debatte versprach interessant zu werden. Dann warfen die
Nachfahren des Pianisten dem Film Geschichtsfälschung vor – der schwarze
Hauptdarsteller entschuldigte sich bei den Nachfahren und meinte, damit sei
jetzt aber die Debatte auch zu beenden.
## N-Wort, Penis, Muslime
Beendet wurden die Diskussionen um den Film nicht. Glücklicherweise. Doch
anstatt über das Dargestellte und die historischen Hintergründe zu
diskutieren, wurde über N-Wörter, Penisse und Tweets gesprochen.
Also über Dinge, die so gut wie gar nichts mit dem Film und seinem Inhalt
zu tun hatten: Der Regisseur dachte vor über 20 Jahren mal, dass es witzig
sei, am Set die Hosen runterzulassen, der Drehbuchautor dachte vor 5 Jahren
mal, dass es okay sei, zu twittern, dass Muslime sich über den
Terroranschlag von 9/11 gefreut hätten, und der weiße Hauptdarsteller
dachte bis vor Kurzem, dass es okay sei, das Wort „Nigger“ und nicht
„N-Wort“ zu sagen, wenn man das als Zitat von Rassisten kenntlich machen
will.
Alle Beschuldigten haben sich für das Gesagte und Getane nach
Skandalisierung umgehend entschuldigt. Und jetzt?
Für Waren der Kulturindustrie ist „kontrovers und umstritten“ die
eigentliche Währung. Den Film- und Büchermachern dürfte das derzeitige
Mimimi-Niveau ganz gut reinlaufen. Besser jedenfalls als drastische
inhaltliche Kritik. Für ein falsches Wort oder einen blöden Witz kann man
leicht um Entschuldigung bitten. Für ein ganzes Werk eher nicht.
5 Feb 2019
## LINKS
[1] /Green-Book-von-Peter-Farrely-im-Kino/!5566906
## AUTOREN
Doris Akrap
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Kritik
Twitter / X
Schwerpunkt Mordfall Walter Lübcke
Kostenloser Nahverkehr
Alltagsrassismus
Schwerpunkt AfD
Bahn AG
Sibylle Berg
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