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# taz.de -- Kolumne So nicht: Contentfarming im Regio
> Man kann in der Bahn auf Twitter sein – aber das ist gänzlich
> überflüssig. Eine Bahnreise liefert genug Stoff für mehrere Kolumnen.
Bild: Höherer Diversity-Faktor als im ICE: Regionalzug
Wer nicht auf Twitter ist, sitzt in der Bahn. Man kann natürlich auch in
der Bahn auf Twitter sein, aber das ist gänzlich überflüssig. Die
Impulsreferate von Bahnreisenden können mit [1][den Contentfarmern der
Timelines] locker mithalten. Wenn es gut läuft, reicht eine Bahnreise
mittlerer Länge für zwei bis drei Kolumnen, Meinungsführer und
Meinungsmitläufer können die Thementhreads von Vierertischen in der Bahn
für mehrwöchige Debattenreihen ausschlachten.
Entscheidend ist, dass es Gruppenreisende an Vierertischen, besser noch an
zwei sich gegenüberliegenden Vierertischen gibt, die ihre Sprechlautstärke
auf größtmögliche Reichweite einstellen, sie also quasi mit einem
trendenden Hashtag versehen, der einen von der Seite anbrüllt.
Wer es sich aussuchen kann, sollte eine mehrstündige Regionalbahnverbindung
nehmen. Der Diversity-Faktor ist wegen der teilnehmenden Milieus und
sozialen Klassen wesentlich höher als im ICE. Im ICE wird viel alleine, in
der Regionalbahn viel in der Gruppe gefahren.
Da ist die Ausflugsgruppe, die auf der Rückfahrt ist, drei Pärchen, ein
Kind, ein einzelner Mann. Sie sind in der „Gastro“ tätig, reden voneinander
und über andere, die in ihren Erzählungen vorkommen, als „Spüler“. Man
erfährt, bis zum wievielten Monat von der Schwangerschaft der Frauen
„nichts zu sehen war“ und dass eine der Frauen, „wenn samstags nichts im
Fernsehn kommt“, um 19 Uhr schlafen geht – „Was soll ich sonst machen? Ich
lese nicht, ich geh nicht aus“.
## Aus Yilmaz wird „der Jillmatz“
Das kleine Kind heißt „Maus“, der einzige Vorname, den Zuhörer ansonsten
erfahren, ist „Yilmaz“ bzw. wie ihn die Vierertische nennen: „Der
Jillmatz“. Yilmaz ist der Einzige unter den Sprechenden, der in der Lage
ist, Scherze zu machen, selbstironisch zu sein, und nicht ständig von den
„Spülern“ redet und sagt: „Es kommt darauf an, das Leben zu genießen.“
Fast alles, was Yilmaz sagt, wird von einem der anderen wiederholt: „Der
Jillmatz findet, das Leben muss man genießen.“ Und dann lachen sie. Die,
die „Der Jillmatz“ sagen, sehen aus wie Gabi, Manni, Martina und Bernd.
Indem sie Yilmaz wiederholen, wollen sie vielleicht anzeigen, dass „Der
Jillmatz“, in dessen Deutsch ein leichter türkischer Akzent zu hören ist,
nicht wirklich zu ihnen gehört.
Andererseits haben sie ihn ja integriert, er ist Teil ihrer Reisegruppe und
darf auch „Die Maus“ mal auf den Schoß nehmen. Die, die „Der Jillmatz“
sagen, denken von sich sicher nicht, dass sie Rassisten sind. Der zuhörende
Mitbahnreisende erfährt noch, dass sie alle in einem Stadtteil einer
deutschen Großstadt leben, das als Problemviertel gilt, obwohl die soziale
Mischung dieselbe ist wie der Durchschnitt der restlichen Stadt, die nicht
Berlin ist.
Wenn ich mit dem Bahnfahren durch bin, geh ich in dieses Viertel und mach
vielleicht eine Serie draus. [2][Der Titel steht: #vonhier].
26 Feb 2019
## LINKS
[1] https://twitter.com/hashtag/vonhier?src=hash
[2] /Hart-aber-fair-und-vonhier/!5576006
## AUTOREN
Doris Akrap
## TAGS
Alltagsrassismus
#vonhier
Deutsche Bahn
Bahn
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So nicht
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