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# taz.de -- Streit um Sportkleidung für Musliminnen: Obenrum frei
> Der Sportartikelhersteller Decathlon nimmt nach Protest einen Hidschab
> aus dem Sortiment. Das ist mal wieder eine Empörung an der falschen
> Stelle.
Bild: Decathlon bietet den Jogginghidschab inzwischen nicht mehr an
Wie Frauen sich kleiden, ist ein wiederkehrendes Politikum. Wie muslimische
Frauen sich kleiden, darüber erregen sich die Gemüter besonders gern. So
auch diese Woche in Frankreich, wo der Sportartikelhersteller Decathlon
einen speziellen Jogginghidschab auf den Markt bringen wollte – was für
Boykottaufrufe und Drohungen sorgte. Daraufhin nahm das Unternehmen den
Hidschab schließlich aus dem Sortiment.
Decathlon hatte zunächst mitgeteilt, dass die Kopfbedeckung nur in Marokko
erhältlich sein sollte. Wenig später hieß es, dass der Hidschab bald auch
in Frankreich verkauft werde. Diese Ankündigung löste eine Protestwelle
aus, wobei sich auch französische Politiker*innen zu Wort meldeten.
Von „einer Marke, die mit unseren Werten bricht“, [1][schrieb Aurore Bergé]
von der Regierungspartei La République en Marche auf Twitter.
Gesundheitsministerin Agnès Buzyn erklärte, sie hätte es vorgezogen, „wenn
eine französische Marke nicht für den Schleier geworben hätte“, denn das
Kopftuch vermittle „ein Bild von einer Frau, das sie nicht teile“. Wie so
oft soll es also um Werte gehen, diesmal um den Wert der Freiheit. Und um
Bilder, wie so oft um das Bild der Frau.
Bergé und Buzyn pflichten mit ihren Aussagen „besorgten Bürger*innen“ bei
und profilieren sich als Verteidigerinnen „französischer Werte“. Ihre
tatsächliche Aussage ist jedoch das Gegenteil von Freiheit und Gleichheit:
Dass Frauen in einem französischen Sportartikelgeschäft einen Hidschab zum
Joggen kaufen können – das geht nicht. Dahinter steht Islamfeindlichkeit
und ein vermeintlicher Feminismus, der das Bild der freien Frau stets als
das Bild einer Frau zeichnet, die ihr Haar ganz unbekümmert im Wind tanzen
lässt.
## Nicht erfunden
Wenn eine Frau (beim Sport) aus religiöser Überzeugung einen Hidschab
trägt, gilt sie als nicht frei – selbst wenn sie sich frei fühlt. Das liegt
aber nicht am Hidschab, sondern daran, dass sie aufgrund ihrer Kleiderwahl
und ihres Glaubens be- und verurteilt wird. Das ist Europas bittere
Wahrheit im Jahr 2019. Das Kopftuch und in der Konsequenz seine Trägerinnen
[2][werden immer wieder zum Politikum], ob sie wollen oder nicht.
Sportler*innen mit Hidschab werden zunächst zu ihrem Hidschab befragt, zu
ihrem Welt- und Frauenbild, zu ihrer religiösen Einstellung. Als müssten
all diese Fragen erst beiseitegeräumt werden, bevor die vermeintlich
aufgeklärte Wertegesellschaft sich dem zuwenden kann, worum es eigentlich
geht: der Politik. Oder Bildung. Oder eben Sport. Die Liste ist lang.
Mit Kopftuch an sportlichen Wettkämpfen teilnehmen zu können ist eine
Freiheit, die sich muslimische Frauen und ihre Unterstützer*innen
erkämpfen mussten. Erst 2012 hob die Fifa das Kopftuchverbot bei
Fußballspielen auf. Bis 2013 war das Tragen eines Kopftuchs bei
Boxwettkämpfen in Deutschland nicht erlaubt. Die Berliner Boxerin [3][Zeina
Nassar] setzte sich damals zusammen mit ihrer Trainerin immer wieder dafür
ein, diese Vorschrift zu ändern – mit Erfolg.
An der Produktpalette und den Imagekampagnen von Decathlon und Nike ließe
sich so viel anderes kritisieren. Zum Beispiel, dass diese großen Firmen
zwar Sichtbarkeit für den Sporthidschab herstellen, aber unerwähnt lassen,
dass sie das Produkt und die kopftuchtragende Sportlerin natürlich nicht
erfunden haben. Die Marken mögen ein Zeichen für Diversität im Sport
setzen. Gute Arbeitsbedingungen und faire Löhne für die Frauen, die ihre
Produkte nähen, gewährleisten sie dabei jedoch nicht. Es gibt also genug
Probleme, mit denen wir uns beschäftigen könnten, wenn es um freiheitliche
Werte geht.
27 Feb 2019
## LINKS
[1] https://twitter.com/auroreberge/status/1100313501334163456
[2] /Petition-der-Woche/!5386020
[3] /Im-Interview-die-Boxerin-Zeina-Nassar/!5485993
## AUTOREN
Lin Hierse
## TAGS
Kopftuch
Schwerpunkt Frankreich
Protest
Frauen-Fußball-WM 2023
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Frauensport
Fechten
Schwerpunkt Rassismus
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