# taz.de -- Kommentar Digitalisierung an Schulen: Tablets machen nicht klüger | |
> Der Digitalpakt nützt derzeit vor allem der IT-Branche. Pädagog*innen | |
> müssen einen kritischen Umgang mit Medien vermitteln können. | |
Bild: Bereit für den neoliberalen digitalen Kapitalismus? | |
Nun scheint der [1][„DigitalPakt Schule“ besiegelt]. Es muss nur noch der | |
Bundesrat zustimmen. „Pakt“, so hieß auch das Konstrukt, das Mephisto und | |
Faust einst schlossen. Wie sie lässt sich ausrufen: „Die Wette biet’ ich!�… | |
– „Topp!“ – „Und Schlag auf Schlag!“ Am Ende steht fest: Der Gewinn… | |
die IT-Industrie! | |
Es bestehen große Zweifel, dass die [2][Lernleistungen der Schülerinnen und | |
Schüler] sich durch eine veränderte IT-Ausstattung an den Schulen | |
verbessern. Nicht nur Medienwissenschaftler wie Ralf Lankau und Paula | |
Bleckmann vom „Bündnis für humane Bildung“, erklären seit Jahren fast | |
mantraartig, dass bisher keine einzige valide wissenschaftliche Studie den | |
Nutzen von Digitaltechnik für schulische Lernprozesse nachweisen konnte. | |
Auch die viel zitierte Meta-Studie des australischen | |
Erziehungswissenschaftlers John Hattie ermittelte für den Einsatz von | |
Computern im Unterricht nur eine geringe Lerneffektstärke. Das Wichtigste – | |
so Hattie – ist klares und strukturiertes Lehrerhandeln. Bisher allerdings | |
konnten sich kritische Stimmen kaum Gehör verschaffen. Auf die | |
Bildungspanik folgte die Digitalpanik. Und jetzt werden 5 Milliarden Euro | |
vom Bund bereitgestellt für die sogenannte digitale Infrastruktur der | |
Schulen. | |
Die kanadische Globalisierungskritikerin Naomi Klein hat in ihrem Buch | |
„Schock-Strategie“ die These entwickelt, dass Schockereignisse – auch | |
inszenierte – politisch genutzt werden, um neoliberale Wirtschaftsformen zu | |
etablieren. Betrachtet man die [3][Debatte um die Digitalisierung des | |
Bildungssystems], entdeckt man einen ähnlichen Verlauf: Durch | |
Krisen-Begriffe wie „Kreidezeit“ oder „Digitales Steinzeitalter“ wird e… | |
Angst erzeugt, die den Umbau des Bildungssystems alternativlos erscheinen | |
lässt und der Digitalindustrie einen großen Absatzmarkt verschafft. | |
## Schadensbegrenzung und kritische Diskurse | |
Dazu passt, dass viele große IT-Unternehmen ihren Etat für Lobbyarbeit | |
enorm erhöht haben. Man kann nicht über den Digitalpakt reden, ohne über | |
den [4][neoliberalen digitalen Kapitalismus] zu sprechen, dessen Ziel es | |
ist, Daten in Geld zu verwandeln. Jetzt gilt es zum einen, für | |
Schadensbegrenzung zu sorgen, und zum anderen, zu überlegen, wie der | |
Digitalhype genutzt werden kann, um Schulen und Universitäten für kritische | |
Diskurse zu öffnen – denn pädagogische Arbeit muss Erziehung zur Mündigkeit | |
sein. Diese Forderung formulieren immerhin noch die meisten Lehrpläne. | |
Wenn es heißt, wir müssen die Jugendlichen „fit fürs digitale Zeitalter | |
machen“, so darf das nur bedeuten: Bringt ihnen bei, wie sie sich dem | |
Zugriff großer IT-Konzerne entziehen, wie sie deren Tracking-Strategien | |
durchschauen, wie sie den gesenkten Blick aufs Smartphone in eine aufrechte | |
Haltung verwandeln. Deswegen muss das pädagogische Ziel lauten: Erziehung | |
zur Medienmündigkeit. Den Begriff „Medienmündigkeit“ führten die bereits | |
erwähnten Medienwissenschaftler Bleckmann und Lankau vom Bündnis für humane | |
Bildung in die Mediendebatte ein. Sie grenzen ihn vom mittlerweile zum | |
Plastikwort mutierten Begriff der „Medienkompetenz“ ab. | |
Medienmündig zu sein heißt vor allem: das notwendige technische Wissen zu | |
besitzen, digitale Medien achtsam, selbstbestimmt, zeitsouverän, bewusst | |
und in kritischer Distanz zu nutzen. Entwicklungspsychologisch können | |
Kinder und Jugendliche dies übrigens nicht vor dem 12., wahrscheinlich kaum | |
vor dem 16. Lebensjahr. | |
## Kollegien vieler Schulen sind gespalten | |
Neben Medienanalyse- und Reflexionsvermögen sollten Jugendliche auch eine | |
Argumentations- und Diskussionsfähigkeit ausbilden, um über relevante | |
Themen des digitalen Kapitalismus aufmerksam und dialogisch sprechen zu | |
können. Wichtige Themen sind hier unter anderem: die Medialisierung der | |
Lebenswelt, Soziale Medien und alternative Messenger- und E-Mail-Dienste, | |
Datenschutz, Verschlüsselungstechniken, trackingsichere Suchmaschinen und | |
sozialpsychologische Folgen des Medienkonsums, aber auch Fragen der | |
Ökologie und einer fairen Ökonomie. Dafür benötigen wir ein neues | |
Schulfach: „Medienwissenschaft“. | |
Gegenwärtig sind die Kollegien vieler Schulen gespalten. Da gibt es | |
technikaffine und digitaleuphorische Lehrerinnen und Lehrer der Fächer | |
Informatik, Mathematik und Physik – und viele junge Lehrkräfte, die das | |
Smartphone schon als Quasi-Organ in ihr Körperschema integriert haben. Sie | |
nutzen schon jetzt intensiv digitale Medien im Unterricht. Die | |
Snowden-Enthüllungen haben sie kaum zur Kenntnis genommen (da sie ja nichts | |
zu verbergen haben) und sehen kein Problem darin, schulbezogene Daten in | |
die Clouds privater Anbieter zu laden. | |
Und da gibt es auf der anderen Seite die Skeptiker, die aus | |
sozialpsychologischer, juristischer und medientheoretischer Sicht Einwände | |
äußern, Kritisches zum Thema Digitalisierung lesen und traditionelle | |
Lehrmittel wie Bücher, Hefte, gelegentlich auch DVDs, favorisieren, deren | |
Unterricht also noch – wie es heißt – in der Offline-Welt stattfindet. | |
## Erziehung zur Medienmündigkeit | |
Die Kluft zwischen diesen beiden Gruppen ist nur schwer zu überbrücken, und | |
schlimmstenfalls löst sich das Problem demografisch, weil die skeptischen | |
Lehrerinnen und Lehrer in der Regel älter sind und nach und nach | |
pensioniert werden. Daher ist es umso wichtiger, dass an den Universitäten | |
ein interdisziplinärer Studiengang eingerichtet wird, der Lehrerinnen und | |
Lehrer ausbildet, die beides vermögen: die Vermittlung von | |
Informatikkenntnissen und von medienphilosophischem und medienpolitischem | |
Wissen. | |
In den Schulen muss es jetzt – im Sinne der „Erziehung zur | |
Medienmündigkeit“ – erstens darum gehen, den Einfluss privater IT-Firmen zu | |
minimieren und Lernprogramme zu verweigern, die Personendaten sammeln. | |
Zweitens muss jedes Kollegium genau überlegen, welche digitale | |
Infrastruktur es aufbauen möchte. Ein mögliches Ergebnis könnte sein, dass | |
Informatiklehrer gemeinsam mit [5][technikinteressierten Schülerinnen und | |
Schülern] Linux als Betriebssystem etablieren, dass ein Intranet aufgebaut | |
wird, dass man nur bestimmte Räume WLANifiziert, dass man – wie Lankau es | |
fordert – gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern an Computern offline | |
arbeitet und Rechnerstrukturen erforscht. | |
Vor allem aber muss sich jede Lehrerin und jeder Lehrer die Frage stellen, | |
in welchem Fach bei welchem Thema es sinnvoll ist, mit digitalen Medien zu | |
arbeiten, und wann es kontraproduktiv ist. Deswegen sind sogenannte | |
Tablet-Klassen auch kein gutes Modell. | |
## Digitalofensive ist wenig durchdacht | |
Alle Lehrkräfte müssen sich im Klaren sein: Ist die digitale Infrastruktur | |
einmal eingeführt, ist sie nicht mehr abzuschaffen. Plötzlich hat man einen | |
Access-Point direkt über seinem Pult, der dort auch bleibt. Zudem muss die | |
Digitalausstattung in Stand gehalten werden. Je mehr digitale Geräte, desto | |
mehr Wartungs- und Administrationsaufgaben und desto mehr Stromverbrauch. | |
Und jeder kennt die Halbwertszeit von Digitaltechnik. Die Profite der | |
IT-Unternehmen sind gesichert. | |
Nun fordert das KMK-Strategiepapier, dass die Vermittlung von „Kompetenzen | |
in der digitalen Welt“ ein integrativer Teil der Fachcurricula aller Fächer | |
sein soll, und dieser Forderung folgt zum Beispiel auch der neue Berliner | |
Rahmenlehrplan. Der integrative Ansatz zeigt, wie wenig diese | |
Digitaloffensive durchdacht ist, setzt er doch kritische IT-Kompetenz bei | |
allen Lehrenden voraus. Für eine Übergangszeit mag das angehen, doch können | |
Lehrerinnen und Lehrer, die sowieso schon an der Belastungsgrenze arbeiten, | |
diese Kompetenzen nicht en passant durch Fort- und Weiterbildungen erwerben | |
– vor allem nicht in der notwendigen intellektuellen Durchdringung. Sie | |
müssten dafür zudem in irgendeiner Weise entlastet werden. | |
Die Papiere aus den Bildungsministerien sprechen stets von einer | |
„Medienkultur“, dem „digitalem Zeitalter“ oder der „digitalen Revolut… | |
Man scheint dort aber noch nicht verstanden zu haben, was es heißt, in | |
dieser Zeit zu leben. Wenn die sogenannte postmoderne Medienkultur und der | |
digitale Kapitalismus wirklich unser gesamtes In-der-Welt-Sein radikal | |
verändern, dann muss es Lehrerinnen und Lehrer geben, die dies fachlich | |
kompetent vermitteln können. | |
2 Mar 2019 | |
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## AUTOREN | |
Nils B. Schulz | |
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