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# taz.de -- „Focus“ fällt auf „Titanic“-Satire herein: Linksradikale, …
> Der Skandal, den der „Focus“ aufdeckte, war gar keiner: Eine Anleitung
> zur Manipulation von Abgasmessungen stammt vom Satiremagazin „Titanic“.
Bild: Kriminelle Machenschaften: Im Titanic-Video werden Autoabgase mit einem B…
Es geschieht am hellichten Tag: Ein Vermummter bedient sich eines
Blasebalgs, um die Abgase aus einem Autoauspuff zu sammeln. Dann erklimmt
er die [1][Abgasmessstation am Friedberger Platz in Frankfurt am Main] und
bläst Feinstaub und Stickoxide an die Sensoren der Station. Sein Ziel wird
am Ende des Videos, das diese Tat dokumentiert, eingeblendet: „Autokonzerne
bekämpfen. Diesellobby zerschlagen.“
Beim Focus wittert man einen Skandal, als man das gut einminütige Video
zugespielt bekommt. Das Material stammt angeblich von einem aufmerksamen
Bürger aus München, der zusätzlich einen Screenshot aus dem Internetportal
Indymedia beifügt. Am Montagmorgen, 6:32 Uhr, stellt das Nachrichtenmagazin
einen Bericht online: Linksradikale würden dazu aufrufen, Abgasmesswerte zu
manipulieren, um Fahrverbote zu provozieren und die deutsche
Automobilindustrie zu schädigen.
Die Junge Freiheit springt sofort auf und bringt ihrerseits einen Bericht,
in dem sie sich auf den Focus bezieht: „Meßstationen manipulieren:
Linksradikale veröffentlichen Anleitung.“ Der sächsische
[2][AfD-Landtagsabgeordnete Carsten Hütter] teilt den Beitrag bei Twitter.
Auch Die Achse des Guten schließt sich dem Sturm der Entrüstung an, der
sich angesichts der Dreistigkeit autonomer Linker entfaltet.
Der Focus indes versucht, seine Leser zu beruhigen: Man habe sich mit
Experten zusammengesetzt. Die hielten die im Video vorgestellte Methode für
wenig effektiv, ihre Wirkung sei, so sie denn angewandt werde, zu
vernachlässigen. Zwar heißt es im Titel des Berichts: „Autonome verbreiten
Anleitung zur Manipulation von Feinstaub-Messstationen“, doch man versucht,
abzuwägen. Eigentlich sähe das, was im Video angestellt werde, wie ein
schlechter Scherz aus – jedoch scheine es den Machern durchaus ernst zu
sein.
## Video in wenigen Minuten gedreht und am Handy bearbeitet
Dabei gäbe es wesentlich einfachere Methoden, sagt ein Messexperte vom
Karlsruher Institut für Technologie dem Magazin: Eine laufende Motorsäge
oder eine brennende Kerze sei viel effektiver. Außerdem wären mehrfache,
sprunghafte Anstiege der Messwerte zu auffällig, versichert man dem Focus
beim Hessischen Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie.
Also alles falscher Alarm? In der Tat. Denn kurz darauf teilt das
[3][Satiremagazin Titanic] mit: Das Video sei eine simple Täuschung, der
vermummte Linksradikale und der aufmerksame Münchner seien ein und derselbe
Titanic-Redakteur. Moritz Hürtgen habe mit seinem Kollegen Leonard Riegel
innerhalb weniger Minuten das Video gedreht und am Handy bearbeitet.
Als eine Erwähnung des Films bei einem Vortrag nicht dazu geführt habe,
dass das Video öffentliche Aufmerksamkeit erregt, verwandelte sich der
Redakteur und Laien-Linksradikale Hürtgen kurzerhand in den fiktiven
Münchner Michael Leitmayr. Mit einem ebenso kurzerhand gefälschten
Screenshot sowie dem Video habe er sich an den Focus gewendet. Ein kurzes
Telefonat genügte, um letzte Zweifel in der Redaktion des Focus
auszuräumen.
„Mit großem Unbehagen“, erklärt Titanic in einer Pressemitteilung, „ste…
wir bei Titanic fest, dass Focus online ohne zu zögern und exklusiv
linksradikale Aufrufe teilt, die vorher nie online oder öffentlich
einsehbar waren.“ Tatsächlich war das Video bis dahin zu keinem Zeitpunkt
öffentlich im Internet zu finden.
## Zaghafte Richtigstellung
Der Focus korrigiert sich auf seiner Website sofort. Anstelle des
ursprünglichen Berichts findet man nun die Benachrichtigung, die Redaktion
sei auf einen Scherz hereingefallen und bedauere das Missgeschick. Im neuen
Artikel steht nun, zur Verteidigung, der Hinweis, die Vorgehensweise aus
dem Video sei schließlich „rein theoretisch“ denkbar.
Der Bericht der Achse des Guten und der Tweet von Carsten Hütter sind
weiterhin online. Die Junge Freiheit hat ihren Artikel zum linksautonomen
Abgasskandal mit einem kurzen Hinweis versehen, es habe sich um eine
Satireaktion gehandelt.
Zwar sorgt der Vorgang im Netz für Erheiterung, doch der
Politikwissenschaftler Ismail Küpeli von der Uni Bochum äußerte auf Twitter
Skepsis: [4][Zehntausende Menschen, die die Berichte gelesen hätten, würden
nun vielleicht gar nicht erfahren, dass die ganze Geschichte eine Fälschung
war].
Ob eine kurze Richtigstellung der Berichterstatter verhindern kann, dass
jene, die ohnehin gerne gegen Linke polemisieren, sich in ihrem
zementierten Glauben noch bestärkt fühlen, ist fraglich. Für den Rest der
Gesellschaft könnte Titanic einen wertvollen Denkanstoß geliefert haben,
dass auch vermeintliche Skandale zunächst einmal stets sorgfältig auf ihre
Richtigkeit überprüft werden sollten.
18 Feb 2019
## LINKS
[1] /Messverfahren-fuer-Schadstoffe/!5548614
[2] /AfD-will-mit-Pegida-kooperieren/!5485874
[3] /Kolumne-Luegenleser/!5540524
[4] https://twitter.com/ismail_kupeli/status/1097440744258879488
## AUTOREN
Tammo Kohlwes
## TAGS
Fake
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Titanic
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Liebeserklärung
Stickoxide
Lügenleser
Satire
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