# taz.de -- Buch über Juden im Nationalsozialismus: Irgendwann fing es an | |
> Viele deutsche Juden hofften lange, zu lange auf eine Mäßigung des | |
> Nationalsozialismus. Julius H. Schoeps’ Buch sucht nach den Ursachen | |
> dafür. | |
Bild: 1935: Kurs für Berliner Juden, die auf eine Emigration in ein südamerik… | |
Wir glauben, daß auch die deutschen Juden ihren Platz und ihre | |
Eingliederung in diesem Staate finden müssen, und wir hoffen, dass sich | |
noch die Form hierfür, die mit den Grundsätzen des neuen Staates im | |
Einklang steht, wird finden lassen.“ So stand es im Frühjahr 1933 in der | |
zionistischen Jüdischen Rundschau. | |
„Deutschland ist nicht unsere Wahlheimat, es ist unsere Heimat“ lautet | |
trotzig ein anderer Satz, der damals im Schild, der Zeitschrift des | |
Reichsbunds jüdischer Frontsoldaten, zu lesen war. Beide Bekundungen stehen | |
stellvertretend für den vergeblichen Versuch vieler deutscher Juden, sich | |
zu Beginn der NS-Herrschaft mit den Nationalsozialisten zu arrangieren. Die | |
meisten von ihnen glaubten damals fest daran, es werde schon nicht so | |
schlimm werden, und viele hofften, das Hitler-Regime würde eine kurze | |
Episode in der deutschen Geschichte bleiben. | |
Die NS-Politik gegenüber der jüdischen Minderheit wird von heute aus in der | |
Regel vom Schlusspunkt her betrachtet – dem industriellen Massenmord. | |
Leicht in Vergessenheit gerät dabei, wie es 1933 begann, als der | |
Antisemitismus zur Staatsdoktrin erhoben wurde. | |
Der Historiker Julius H. Schoeps vom Potsdamer Moses Mendelssohn Zentrum | |
hat nun die Geschichte wieder vom Kopf auf die Füße gestellt. Sein Buch | |
„Düstere Vorahnungen“ beschäftigt sich mit den ersten drei Jahren der | |
NS-Herrschaft. Schoeps beschreibt detailliert und mit furchtbaren | |
Beispielen belegt die Stufen der Entrechtung, die Verbote und | |
Einschränkungen, die Einrichtung wilder Konzentrationslager und die | |
Mordaktionen gegen deutsche Juden – also dieses ganze Panoptikum des | |
Schreckens gegen eine integrierte Minderheit. Er nimmt dabei nicht nur die | |
antisemitische Politik der Nazis in den Fokus, sondern beschäftigt sich | |
besonders mit den Reaktionen der deutschen Juden auf ihre zunehmende | |
Ausgrenzung. | |
## Hoffen auf ein Gutes | |
Und dabei stellt sich heraus: So viele „düstere Vorahnungen“ gab es nicht. | |
Gewiss emigrierten viele jüdische Intellektuelle schon wenige Tage und | |
Wochen nach der NS-Machtübernahme. Doch der Glaube an eine jüdische Zukunft | |
in Deutschland – und damit die Ablehnung einer Auswanderung – war unter den | |
meisten Verfolgten lange weit verbreitet. Wie sollte es auch anders sein, | |
fragt der Autor und führt die Hoffnung auf die erhoffte „deutsch-jüdische | |
Symbiose“ in der Weimarer Republik an und die staatstragende Rolle vieler | |
deutscher Juden nach der Novemberrevolution von 1919. | |
Nur den wenigsten deutschen Juden, diagnostiziert Schoeps, sei schon damals | |
klar gewesen, mit welchen Gefahren die Wende nach rechts gegen Ende der | |
1920er Jahre verbunden war – und dies trotz zunehmender antijüdischer | |
Gewalttaten bis hin zum Mord. Sie waren dabei eins mit der | |
Mehrheitsbevölkerung. | |
An dieser Stelle führt Julius H. Schoeps seinen Vater Hans-Joachim Schoeps | |
ein, damals ein junger Mann und entschieden deutsch-national denkend. | |
Deshalb ist dieses Buch auch eine sehr persönliche Auseinandersetzung mit | |
dem Thema. Vater Schoeps ist später nachgesagt worden, er habe eine | |
Mitschuld am Aufstieg des Nationalsozialismus gehabt, er sei gar ein | |
„jüdischer Obersturmbannführer“ gewesen. | |
Tatsächlich griff der monarchistisch denkende Schoeps schon zu Weimarer | |
Zeiten die Republik von rechts an. Der preußische Jude plädierte für eine | |
„repräsentative Führerschicht, der man vertrauensvoll Gefolgschaft leisten | |
könnte“ – das Gegenteil von mehr Demokratie. Immer wieder kommt der Autor | |
auf die Vorstellungen seines Vaters zurück, und so gewinnt sein Buch in | |
diesem Punkt den Charakter einer Rechtfertigungsschrift, sei es, wenn er | |
unterstellt, dass vor Beginn der NS-Herrschaft die meisten deutschen Juden | |
ähnlich gedacht hätten, sei es, wenn er das Bemühen seines Vaters | |
verteidigt, auch mit Antisemiten das Gespräch über die Frage zu wagen, ob | |
ein Jude ein „wahrer Deutscher“ sein könne – ein Versuch, der schon dama… | |
auf entschiedene Ablehnung stieß. | |
## Zensur und Auswanderung | |
Hans-Joachim Schoeps glaubte auch nach 1933 noch lange an eine Zukunft der | |
Juden in Deutschland, verlangte ein klares Bekenntnis zum Vaterland und | |
hoffte auf eine Verständigung mit dem Regime. Schlussendlich wurde der | |
Antizionist Schoeps von den Nazis, die sich mit ihm nicht abgeben wollten, | |
zu einem Fall für die Gestapo erklärt. Dass seine Position damals falsch | |
gewesen ist, dass sie möglicherweise dazu geführt hat, dass Menschen nicht | |
rechtzeitig emigrierten, das gesteht der Autor zu. Julius H. Schoeps geht | |
es vielmehr darum, deutlich zu machen, dass diese Fehleinschätzung unter | |
den deutschen Juden weit verbreitet war. | |
Damit allerdings hat er recht. Nicht was Hans-Joachim Schoeps’ Hinwendung | |
zum Nationalismus betraf, denn die allermeisten Juden hatten in der | |
Weimarer Republik liberal oder sozialdemokratisch gewählt. Wohl aber | |
bezogen auf das von Hans-Joachim Schoeps propagierte Verbleiben im Reich. | |
Schließlich galten die deutschen Juden in ihrer Mehrheit als integriert. | |
Viele unter ihnen waren vergleichsweise wohlhabend, die wenigsten | |
revolutionär gesinnt, manche, etwa Mitglieder des Reichsbunds jüdischer | |
Frontsoldaten, dachten deutsch-national bis auf die Knochen. Ein so | |
einschneidender Lebensumbruch wie eine Auswanderung erschien ihnen in den | |
ersten Jahren der NS-Herrschaft übereilt. | |
So glaubten viele deutsche Juden, es sich nicht mit den Nazis verderben zu | |
dürfen und mit ihnen Kompromisse zum Wohle der Minderheit schließen zu | |
können – eine verhängnisvolle Fehleinschätzung. Exemplarisch dafür führt | |
Schoeps die Reaktionen in jüdischen Zeitungen auf den Boykott jüdischer | |
Geschäfte im April 1933 an. In der C.V.-Zeitung, dem Organ der größten | |
Interessenvertretung der deutschen Juden, verlangte Hans Bach, den | |
deutschen Juden müsse weiterhin erlaubt sein, „in unserem Vaterland“ zu | |
leben und zu arbeiten. Alfred Wiener merkte an, die Juden würden sich an | |
Vaterlandsliebe und Opferfreudigkeit von niemandem übertreffen lassen, und | |
Robert Weltsch rief in der Jüdischen Rundschau dazu auf, sich stolz zum | |
Judentum zu bekennen – und nicht etwa auszuwandern. | |
In den folgenden Jahren unterwarfen sich jüdische Publikationsorgane der | |
Zensur. Themen, die auf Kritik des NS-Regimes hätten stoßen können, ließ | |
man lieber aus. Aus dem Mord an einem bekannten Schriftsteller im August | |
1933 machte die C.V.-Zeitung die Überschrift „Zum Tode Theodor Lessings“. | |
Allerdings gab es damals durchaus auch Zeitungen wie die Jüdische | |
Rundschau, die sich vehement für eine Auswanderung einsetzten – freilich, | |
ohne dem NS-Regime zu weit zuzusetzen. | |
## Ausgeplündert und entrechtet | |
Tatsächlich hielt sich diese Auswanderung der deutschen Juden zunächst in | |
Grenzen. 37.000 der über 500.000 Betroffenen emigrierten schon 1933, doch | |
in den Folgejahren nahm diese Zahl bis auf 21.000 im Jahr 1935 ab. [1][Erst | |
ab 1938, als das Regime mit den Novemberpogromen,] Plünderungen, | |
Zehntausenden KZ-Einweisungen und Hunderten Morden offen den Terror | |
propagierte, stieg die Zahl der Auswandernden rasant an – nun gab es auch | |
für die inzwischen ausgeplünderten und entrechteten national gesinnten | |
Juden nichts mehr, was sie noch halten konnte. Doch für viele war es da zu | |
spät. Sie scheiterten an restriktiven Einreisebestimmungen, Schikanen der | |
Nazis und an fehlenden finanziellen Mitteln. | |
Hans-Joachim Schoeps gelang am Weihnachtsabend 1938 die Flucht nach | |
Schweden, ein konservativer preußischer Jude, dem sein Land genommen worden | |
war. | |
22 Feb 2019 | |
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[1] /Reichspogromnacht-am-9-November-1938/!5546663 | |
## AUTOREN | |
Klaus Hillenbrand | |
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