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# taz.de -- Die Wahrheit: Winterjammerlappen
> Gibt es etwas Schlimmeres als Wintersport? O ja! Das Gejammer der
> Wintersportreporter, denen es überall in der Welt zu kalt ist.
Bild: Großer Andrang auf den Skipisten in Österreich trotz strengen Lockdowns
Der große und schmerzlich vermisste Essayist Christian Semler war’s, der
einst eine „Kritik der Mittelgebirge“ veröffentlichte. Angeblich. Zwar las
ich von ihm so allerhand, nie aber Ausführungen zu geologischen Erhebungen,
die von der Zeit zu alpiner Unerheblichkeit abgeschmirgelt wurden. Dafür
war ich neulich selbst mal wieder dort, im Mittelgebirge, wo die erweiterte
Komplettverwandtschaft sich zum Skifahren traf.
Ein Spaß für die ganze Familie. Nur nicht für mich. Der ich stets mit den
Händen in den Taschen schulterzuckend neben der Piste stehe. Manchmal
vertreibe ich mir die Zeit damit, meinen Atemwolken hinterherzuschauen, wie
sie gefrieren und mir auf die Füße rieseln. Hin und wieder errichte ich
auch einen Golem aus Schnee. Bretter unter die Füße zu schnallen, um damit
auf gefrorenem Nieselregen die Hänge hinabzurutschen, ist meine Sache
nicht. Ich kann es nicht und will es auch nicht lernen. Ich bin wohl das,
was man einen „Ignoranten“ nennt und halte es mit Erdmöbel: „Sollen doch
die Reichen mit ihren Skier die Berge kaputtfahren“ – und ihre Knie gleich
mit dazu.
Gefahren wurde jedenfalls morgens Abfahrt, „bevor die Lifte von den
Holländern verstopft sind“, nachmittags noch anderswo zum „Carven“, was
immer das nun wieder sein mag, und danach noch schnell „in der Loipe“ zum
entspannten Ausgleiten des Tages. Dazwischen und danach gab’s Wintersport
im Fernsehen. Ich kann’s nicht mehr genau sagen, aber in Kanada gab es eine
Weltmeisterschaft im Snowboarden, in Norwegen ein Wettrennen, in Schweden
irgendein Springen und in Slowenien biathletisches Gehechel, also die
zivile Variante eines militärischen Manövers der Gebirgsjäger. Egal.
Erinnern kann ich mich allerdings an die mimosenhafte Larmoyanz aller
Beteiligten. In Kanada war es Kommentatoren wie Sportlerinnen nämlich zu
neblig, in Norwegen zu windig, in Schweden zu verschneit und in Slowenien
„zu kalt“. Wir sprechen, wohlgemerkt, von Wintersport. Das ist so, als wäre
dem Segler das Meer „zu windig“, dem Marathonläufer die Strecke „zu lang…
dem Schwimmer das Wasser „zu nass“ und dem Fußballer der Platz „zu grün…
Warum werden für diese Winterjammerlappen internationale Wettbewerbe im
meinetwegen Abfahrtslalom nicht einfach in einer gut, aber auch nicht zu
gut gekühlten Halle in Abu Dhabi ausgetragen, wenn es den Herrschaften im
natürlichen Habitat „zu kalt“ ist?
Wenn die Verwandtschaft dann irgendwann ihr tonnenschweres Equipment
abgeschnallt hat, verfügt sie sich zum Après-Ski in eine überheizte
Blockhütte. Dort wird mit roten Wangen alles an Kalorien wieder
reingeschaufelt, was man zuvor mühsam losgeworden ist. Im Fernseher an der
Wand läuft Eiskunstlauf. Der Klimawandel, unken die Unken, werde dem
Wintersport in den Mittelgebirgen den Garaus machen. Meinen Segen hat er.
22 Feb 2019
## AUTOREN
Arno Frank
## TAGS
Wintersport
Skifahren
Sportreporter
Schwerpunkt Coronavirus
Eiskunstlauf
Reiseland Norwegen
Dummheit
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Der Spiegel
James Bond
Friseure
Kulturgüter
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