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# taz.de -- Ein Jahr nach den Winterspielen: Rentner im Olympialand
> Nach den Spielen ist das Bild doppeldeutig: Während die touristische
> Zukunft in den Bergen offen ist, bemüht man sich an der Küste um
> Nachhaltigkeit.
Bild: Tristesse olympique: Der traurige Zustand der Alpinabfahrt von Jeongseon …
Pyeongchang/Gangneung taz | Wo noch vor einem Jahr Thomas Dreßen
olympisches Edelmetall um sechs Zehntelsekunden verpasst hat, schneidet
sich nun eine felsige Mondlandschaft in den Berg: Der Sessellift an der
Jeongseon-Alpinabfahrt schaut aus wie neu, doch er steht seit Monaten
still. Schnee ist nicht einmal am Gipfel zu erkennen. Mit ein paar
Sträuchern holt sich die Natur zurück, was ihr einst genommen wurde. Die
Talsohle der Piste wird von Stacheldraht abgesperrt, ein provisorischer
Baucontainer versperrt die Einfahrt. Rote Graffiti prangen an den Wänden:
„Wir kämpfen für unser Olympia-Erbe!“, steht dort geschrieben.
Drinnen sitzt eine Handvoll Landwirte bei Pulverkaffee und Reisschnaps,
eine mobile Gasheizung kämpft gegen die zweistelligen Minusgrade an. „Die
Regierung hatte uns Anwohnern einen wirtschaftlichen Aufschwung
versprochen, doch nach den Olympischen Spielen hat sich nichts verändert“,
sagt der Landwirt Kim Jin Pyo.
Die ersten koreanischen Winterspiele werden zweifelsohne in die
Geschichtsbücher als historische Friedensspiele eingehen, die die zwei
Koreas sportdiplomatisch näher gebracht haben. Während der
Eröffnungszeremonie am 9. Februar sind die Athleten aus Nord und Süd unter
gemeinsamer Flagge eingelaufen, während die Schwester von Kim Jong Un von
der Tribüne aus gewunken hat. Das Frauen-Eishockey-Team Südkoreas hat gar
kurzerhand nordkoreanische Spielerinnen in ihre Mannschaft aufgenommen. Die
Olympischen Spiele bauten Vertrauen zwischen den zwei sich offiziell noch
immer im Krieg befindlichen Ländern auf. Politisch ist die Vision
„symbolischer Friedensspiele“ von Präsident Moon Jae In also aufgegangen.
Bei den Bürgern vor Ort jedoch zeigt sich ein ambivalentes Bild über das
Vermächtnis von Pyeongchang. Der Fall der Jeongseon-Abfahrt verdeutlicht
dies am drastischsten: Bereits im Vorfeld der Spiele hatte der Bau der
Piste für eine große Kontroverse gesorgt. Pistenarchitekt Bernhard Russi
benötigte knapp 30 Helikopterflüge über das Taebaek-Gebirge, um einen
Berghang auszukundschaften, der die erforderlichen 800 Höhenmeter vom Tal
bis zum Scheitel hat. Jedoch führte die gefundene Strecke ausgerechnet
durch eines der ältesten Waldstücke Südkoreas.
60.000 Bäume wurden für die Skifahrer abgeholzt – mit dem Versprechen der
Regierung, die Piste nach den Spielen wieder aufzupflanzen. „Vorher hatten
wir die Piste nicht gewollt, viele von uns mussten schließlich für den Bau
unsere Häuser umsiedeln“, sagt Landwirt Kim, ein Mann mit sonnengegerbter
Haut, getönter Brille und grauem Norweger-Pulli: „Doch nun, wo die
Umweltzerstörung nun einmal geschehen ist, sollten wir die vorhandenen
Strukturen auch sinnvoll nutzen. Wir hoffen, hier einen Wintersport-Boom zu
kreieren.“
## Wintersportzentrum oder Aufforstung
Die anderen Männer stimmen lautstark zu. Der Bau der Piste hatte stolze 78
Millionen Euro gekostet. Die Lokalregierung von Gangwon möchte Jeongseon
touristisch nachnutzen, die Zentralregierung in Seoul hält bislang an ihrem
Versprechen fest, die Strecke wieder aufzuforsten. Dass hier ein
Alpin-Mekka entstehen kann, ist jedoch fraglich: Jeongseon liegt ziemlich
abseits, zudem hält sich die Begeisterung der Koreaner für Skisport in
Grenzen.
Auch im Austragungsort Pyeongchang, nur eine halbe Autostunde von der
Abfahrt entfernt, ist der von der Regierung prophezeite Wintersport-Boom
bislang ausgeblieben. Einst ein verschlafenes Dorf in einer abgelegenen und
wirtschaftlich abgehängten Region, sind in Pyeongchang neben den paar
Restaurants und Ski-Verleihern seit den Winterspielen mehrere Hotelanlagen
und Apartmentsiedlungen hinzugekommen. Von olympischer Stimmung ist jedoch
ein Jahr nach dem Großereignis nichts mehr zu spüren.
„Es hat sich eigentlich nichts verändert, weder zum Guten noch zum
Schlechten. Die Anzahl an Ski-Gästen ist im Vergleich zu den Vorjahren
gleich geblieben“, sagt der Ski-Verleiher Kim Yang Seob: „Im Grunde ist
nichts von Pyeongchang 2018 übergeblieben. Wenn Touristen hier ankommen,
suchen sie meist zuerst nach olympischen Orten zum Sightseeing, aber sie
werden enttäuscht, weil sie nichts finden können“.
Ein Streifzug durch die Ortschaft gibt dem Mittfünziger recht: Das
temporäre Stadion für die Eröffnungszeremonie ist nur kurz nach der
Schlussfeier der Spiele abgerissen worden – eine kostengünstige wie
umweltverträgliche Lösung. Auf dem Gelände erinnert nun eine
überlebensgroße, steinerne Statue in Form einer olympischen Fackel als
einziges Wahrzeichen an Pyeongchang 2018. Die Ski-Sprungschanze, nur einen
Steinwurf entfernt, steht verlassen in der Landschaft herum.
## Schnelle Zugverbindung
Wer sich in den Wirtshäusern und Cafés von Pyeongchang nach dem Vermächtnis
von Olympia erkundigt, erhält gemischte Reaktionen. Auf einen positiven
Effekt der Spiele, die insgesamt 14 Milliarden Dollar verschlungen haben,
können sich jedoch fast alle Anwohner einigen. Das Transportmittel, das
alle gut finden, ist schneidig geschnitten, elegant in der Form und kommt
auf zwei Schienen daher: Durch 34 Tunnel entlang des Taebaek-Gebirges
verbindet der Hochgeschwindigkeitszug KTX die Hauptstadt Seoul mit der
einst abgelegenen Westküste. Eine Strecke, die vorher fast sechs Stunden in
Anspruch nahm, dauert nurmehr ein Drittel der Zeit. Über viereinhalb
Millionen Passagiere hat der KTX im letzten Jahr bereits befördert.
Immobilienmakler Hong Song-yeol von der Küstenstadt Gangneung, dem zweiten
Austragungsort der Spiele, hat ungemein von der Zuganbindung profitiert. Er
führt durch das einstige Olympische Dorf, in dem vor einem Jahr Athleten
und angereiste Journalisten gehaust haben. Neun Apartmentblocks mit 28
Stockwerken, die wie Dominosteine in die hügelige Landschaft ragen.
„Die Immobilienpreise in der Gegend sind um bis zu 30 Prozent gestiegen.
Die 3.500 Wohneinheiten im Olympischen Dorf sind alle längst verkauft“,
sagt Herr Hong. In einer von ihnen polieren zwei Frauen mit Haarnetz und
Gummihandschuhen die Schrankwände und Fensterscheiben. Morgen sollen die
neuen Käufer einziehen. „Die meisten meiner Kunden sind wohlhabende
Senioren aus Seoul, die der dortigen Feinstaubbelastung entfliehen wollen.
Hier haben sie saubere Luft, die Berge und das Meer vor der Haustür“, sagt
er. Und dank des neuen KTX ist die Hauptstadt nur mehr zwei Stunden
entfernt.
In Gangneung sind insgesamt vier Wintersportanlagen für die Winterspiele
errichtet worden, die Nutzung von zweien ist bereits gesichert. Die
Eisschnelllauf-Arena ist das größte Sorgenkind, schließlich wurden hier
seit Ende der Winterspiele keine Veranstaltungen mehr ausgetragen. Dennoch
wirkt die Anlage, als könnte der Betrieb bereits am nächsten Tag wieder
starten: Die Gänge und Tribünen sind blank geputzt, Verschleißspuren lassen
sich keine finden. Nach einem Bericht des Korea Development Institute soll
im Juni über die Nutzung der Halle entschieden werden. Bis dahin springt
für die laufenden Betriebskosten ein Fonds mit rund 80 Millionen Euro ein,
der sich aus den Gewinnen des Olympia-Organisationskomitees speist.
Jeon Song-in kümmert sich für die Lokalregierung der Provinz Gangwon um die
Wartung der Sportstätten: „Da ich seit den ersten Designentwürfen der
Hallen in den Entstehungsprozess involviert bin, hoffe ich natürlich von
Herzen, dass sie alle erhalten bleiben und künftige Wahrzeichen für den
koreanischen Wintersport werden“, sagt er. Auf dem Gelände der Eisarenen
hätte sich früher eine riesige Müllhalde befunden. „Bei der Auswahl des
Ortes für die Stätten ging es auch darum, öffentlichen Raum wieder
zugänglich zu machen“, sagt er.
Beim Shorttrack-Stadion geschieht dies auf vorbildliche Weise: Hier soll
künftig eine Multifunktionshalle inklusive Schwimmbahn und Hallenfußball
für die Bürger von Gangneung entstehen. Derzeit montieren noch dutzende
Handwerker auf der einstigen Eisbahn eine Stahlbühne: Am Samstag wird hier
das Ein-Jahres-Jubiläum der Winterspiele gefeiert.
9 Feb 2019
## AUTOREN
Fabian Kretschmer
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