# taz.de -- Diktaturforschung an der Humboldt Uni: Umstrittener Gewaltforscher | |
> Der Historiker Jörg Baberowski möchte ein Zentrum für vergleichende | |
> Diktaturforschung gründen – und löst damit heftigen Widerspruch aus. | |
Bild: Fordert mit seinen Thesen die Historikerkollegen heraus: Professor Jörg … | |
„Aufgrund der dargelegten konzeptionellen Unklarheiten […] kann ich der | |
Humboldt-Universität zu Berlin leider nicht empfehlen, dem Antrag zu | |
entsprechen.“ In seinem Gutachten lässt [1][Thomas Lindenberger, Direktor | |
des Dresdener Hannah-Arendt-Instituts] für Totalitarismusforschung keinen | |
Zweifel, was er vom Anliegen seines Berliner Kollegen, des | |
[2][Osteuropahistorikers und Gewaltforschers Jörg Baberowski], hält. Der | |
will in Kooperation mit der Juristischen und der Philosophischen Fakultät I | |
der HU ein „Interdisziplinäres Zentrum für vergleichende Diktaturforschung�… | |
einrichten. | |
Der Öffentlichkeit bekannt ist Baberowski unter anderem [3][als Kritiker | |
der Flüchtlingspolitik] im Jahr 2015. Seinen Vorwurf an die „linken Eliten“ | |
und ihr vermeintliches Unverständnis für besorgte Bürger fasste ein anderer | |
Kollege, der Mainzer Historiker Andreas Rödder, unter der griffigen Formel | |
der „repressiven Toleranz“ zusammen. Nicht zuletzt infolge solcher | |
Interventionen in tagesaktuellen Fragen ist Jörg Baberowski auch über | |
Hochschulgrenzen hinaus nicht unumstritten. Die [4][scharfe Kritik an | |
seiner wissenschaftlichen Arbeit] aber hat sich bislang noch nicht so | |
zugespitzt gezeigt wie beim geplanten interdisziplinären Zentrum. | |
Wie jede andere Disziplin unterliegt auch die Geschichtswissenschaft | |
Konjunkturen. Welche Betrachtungsgegenstände und -blickwinkel gefragt sind, | |
hängt dabei nicht zuletzt von politischen Großwetterlagen ab. So sah der | |
Kalte Krieg zu seiner Hochphase in der westlichen Hemisphäre den Aufstieg | |
der Totalitarismustheorie. Die diente der Abgrenzung der liberalen | |
Demokratien vom Nationalsozialismus einerseits und real existierendem | |
Sozialismus, insbesondere des Stalinismus, andererseits. | |
Dass die Nivellierung der offensichtlichen Unterschiede zwischen beiden | |
Systemen sowohl zur Verharmlosung des singulären Verbrechens der | |
Naziherrschaft führte als auch den mörderischen Stalinismus nur | |
unzureichend erklärte, fiel erst mit der zunehmenden Entspannung zwischen | |
West und Ost auf. In Deutschland wurde die Dominanz der | |
Totalitarismustheorie Mitte der 1980er Jahre endgültig mit dem sogenannten | |
Historikerstreit beendet. Ausgelöst hatte den der [5][Historiker Ernst | |
Nolte] mit einem Beitrag, der die These in den Raum stellte, dass der | |
Holocaust vielleicht nur eine Reaktion auf das Stalin’sche Gulagsystem | |
gewesen sei. | |
Spätestens seit den 1990er Jahren gibt es wieder neue Versuche zum | |
Systemvergleich – jedoch nicht auf der Ebene des Gesamten, der Makroebene, | |
sondern eher im Klein-Klein der Mikroebene. An den Rändern der untersuchten | |
Gesellschaften werden Phänomene gesucht, die es ermöglichen, dort, wo sich | |
der Vergleich unter anderen Bedingungen verbieten würde, doch Ähnlichkeiten | |
und Gemeinsamkeiten zu finden. | |
## Roter Terror und Nazibarbarei | |
Der ergiebigste Zweig dieser Forschung konzentriert sich dabei auf die | |
Gewaltförmigkeit der (nicht demokratischen) Herrschaftssysteme des 20. | |
Jahrhunderts. Seinen kräftigsten Schub erhielt dieser Blickwinkel mit dem | |
viel rezipierten Band [6][„Bloodlands“ des US-amerikanischen Historikers | |
Timothy Snyder] aus dem Jahr 2010, der Beschreibung einer end- und | |
unterschiedslosen Gewaltorgie irgendwo zwischen rotem Terror und | |
Nazibarbarei. | |
Bereits 2006 lieferte Jörg Baberowski einen ähnlich gelagerten Beitrag ab, | |
„Ordnung durch Terror – Gewaltexzesse und Vernichtung im | |
nationalsozialistischen und im stalinistischen Imperium“. Das Buch ist eine | |
Gemeinschaftsarbeit mit dem Nolte-Schüler Anselm Doering-Manteuffel. Das | |
Vorwort stammt von [7][Hans Mommsen], der, im [8][Historikerstreit] noch | |
profilierter Gegner Noltes, zum Ende seines Lebens den Charme der | |
Mikrovergleiche entdeckte. Nicht zuletzt die Vertreter der | |
Extremismustheorie, die von Kritikern als wenig verhüllter Platzhalter für | |
die Totalistarismusthese gesehen wird, finden dort hinreichend Bestätigung. | |
„Ordnung durch Terror“ exerziert durch, was Baberowski an anderer Stelle | |
„künstliches Einfrieren“ nennt. So schreibt er im Sammelband „Arbeit an … | |
Geschichte“: „Man muss, wenn man Kulturen miteinander vergleichen will, | |
stereotypisieren und behaupten, die verglichenen Einheiten könnten klar | |
voneinander getrennt werden.“ | |
Das funktioniert mit Begriffsunschärfen und -auslassungen, mit denen er | |
schon 2003 zu seiner Antrittsvorlesung an der HU operierte. Man mag die | |
beiläufige Bezeichnung der zwangskollektivierten Kolchosen als „Apartheid“ | |
noch mit Unkenntnis über die allgemein akzeptierte Bedeutung des Begriffes | |
erklären und die Verlagerung der Stadt Sotschi nach Abchasien als | |
lässlichen geografischen Lapsus sehen. Andere Bezugnahmen irritieren | |
deutlich mehr. | |
## Hinkende Vergleiche | |
So hinken die Vergleiche in „Ordnung durch Terror“ auf den ersten Blick. | |
Die Ethnisierung sowjetischer Nationen zum Zwecke der nationalen Neuordnung | |
wird im selben Kapitel besprochen wie die geplante Vernichtung als | |
minderwertig definierter Völker durch die Nazis. Die Registrierung von | |
Iranern und Türken, die die sowjetische Staatsangehörigkeit ablehnten und | |
deshalb abgeschoben wurden, soll seine Entsprechung in der erzwungenen | |
Staatenlosigkeit von Juden finden, die aber juristische Voraussetzung eines | |
erheblich anders gelagerten Vorgangs war: ihrer industriellen | |
Massenvernichtung. | |
Überhaupt fällt etwas auf, ob nun in der Antrittsvorlesung, bei „Ordnung | |
durch Terror“ oder seinem sonstigen Werk: In Baberowskis Wortschatz findet | |
sich durchaus die Vokabel „Konzentrationslager“, allerdings praktisch | |
exklusiv bezogen auf das sowjetische Gulag-System. Der Historiker und | |
abtrünnige Nolte-Schüler Wolfgang Wippermann bezeichnete diese Arbeitsweise | |
in einem gleichnamigen Buch 2009 als „Dämonisierung durch Vergleich“. | |
Wippermann weist aber vor allem auf die drastischste Leerstelle dieser | |
Schule hin, „die Unfähigkeit, den Holocaust zu erklären“. | |
Dass Jörg Baberowski nun ein Extra-Institut bekommen soll, trifft also | |
wenig überraschend auf fachliche Kritik. Von den vier Gutachten zum | |
Gründungsantrag, sind zwei nicht anders als vernichtend zu nennen. Von den | |
anderen beiden ist eines von Andreas Rödder, der Baberowski ja schon 2015 | |
beigesprungen war. | |
## Fruchtlose Konferenzen | |
Der Freiburger Historiker und Leibniz-Preisträger Ulrich Herbert stellt in | |
seinem äußerst skeptischen Gutachten die Prämissen des Instituts infrage. | |
So kritisiert er zum Beispiel den Eurozentrismus des Ansatzes und fragt | |
erstaunt, warum die Debatten über Totalitarismus- und Extremismustheorie | |
mit nicht einem Wort erwähnt würden. Außerdem mutmaßt Herbert, dass die | |
Institutsstruktur die Forscher wohl eher vom Forschen abhielte und | |
stattdessen in fruchtlosen Konferenzen fessele. | |
Thomas Lindenberger geht in seiner Strukturkritik noch weiter und sieht als | |
einzigen nachvollziehbaren Zweck des Instituts eine nutzlose Verringerung | |
der Lehrverpflichtung der Beteiligten. Außerdem weist er umfänglich auf das | |
Fehlen tatsächlicher Interdisziplinarität hin, die über die beteiligten | |
zwei Disziplinen hinausginge. | |
Nicht zuletzt diese Gutachten sind wohl der Grund, warum die zuständige | |
Kommission des Akademischen Senats der HU die Gründung des Instituts mit | |
drei Ja-Stimmen und ebenso vielen Enthaltungen wenig überzeugend empfiehlt. | |
Ob die HU dieser Empfehlung folgt und Jörg Baberowski den Wunsch erfüllt, | |
wird sich zeigen. Die ursprünglich für Januar geplante Behandlung des | |
Antrags ist auf unbestimmte Zeit vertagt. | |
15 Feb 2019 | |
## LINKS | |
[1] http://www.hait.tu-dresden.de/ext/institut-mitarbeiter-profil.asp?eing=17 | |
[2] https://www.geschichte.hu-berlin.de/de/bereiche-und-lehrstuehle/geosteuropa… | |
[3] /Asta-Bremen-versus-Joerg-Baberowski/!5391563 | |
[4] /Studierende-gegen-Berliner-Uni-Professor/!5485962 | |
[5] /Historiker-Ernst-Nolte-ist-tot/!5331963 | |
[6] /Leipziger-Buchpreis-fuer-zwei-Historiker/!5098518 | |
[7] /Nachruf-Historiker-Hans-Mommsen/!5248963 | |
[8] /Rueckblick-auf-Historikerstreit/!5114007 | |
## AUTOREN | |
Daniél Kretschmar | |
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