Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Nachruf Historiker Hans Mommsen: Ein Funktionalist mit Leidenschaft
> Er forschte über die NS-Zeit und vertrat seinen Standpunkt mit Verve,
> auch im Historikerstreit. 85-jährig ist Hans Mommsen nun gestorben.
Bild: Hans Mommsen (1930-2015).
Nicht dass die alternative taz ihm ein wichtiges Medium gewesen wäre –
aber, das, was in ihr Anfang 1997 zu lesen stand, kam einem persönlichen
Angriff auf ihn gleich. Hans Mommsen, das konnte für ihn durchaus
einnehmen, war lautstark am Telefon darüber empört, dass man ihn in
Misskredit gebracht habe. In einem umfangreichen taz-Dossier von Alexander
Bahar und Wilfried Kugel musste der berühmte deutsche Historiker lesen, er
habe in den frühen sechziger Jahren seinen akademischen Einfluss geltend
gemacht, um die Veröffentlichung eines Manuskripts zu vereiteln.
Jenes handelte vom Reichstagsbrand 1933, den das junge
nationalsozialistische Regime nutzte, um seine Macht zu stabilisieren,
indem es den niederländischen Anarchisten Marinus van der Lubbe als Täter
brandmarkte – als Einzeltäter. Das von Mommsen monierte Skript warf
hingegen Fragen auf, die diese These in Zweifel zogen und unter anderem das
Interesse der Nationalsozialisten am Brand des Parlaments der von ihnen
gehassten Weimarer Republik fundierte.
Mommsens Intervention – als Angestellter des Instituts für Zeitgeschichte
in München, der wichtigsten geschichtspolitischen Einrichtung der
Bundesrepublik – war politisch begründet, weniger wissenschaftlich. In
einer Notiz von ihm heißt es: „das Institut hat ein Interesse, die
Publikation (…) aus allgemeinpolitischen Gründen“ zu verhindern.
Hans Mommsen jedenfalls jähzürnte, jüngst emeriert als Professor an der
Ruhr-Universität Bochum, 1997 durchs Telefon, als würden frühere
geschichtspolitische Schlachten noch weiter zu kämpfen sein: Denn gegen die
Behauptung, die Nazis hätten es nicht sein können, die das demokratische
Symbol in Flammen setzten, gab es auch 1997 schon eine Fülle von neuen
Quellenindizien. Aber dieser Historiker, der so viel für eine kluge
Vergangenheitspolitik im demokratischen Teil Nachkriegsdeutschlands
leistete, war – keine schlechte Charaktereigenschaft – so zum Wütenden
entflammbar wie in seinen viel jüngeren Jahren.
## Historiker wie Vater Wilhelm
Diese, nun ja, Fähigkeit zur unmittelbaren Leidenschaft muss ihn auch
getragen haben, gegen seine ursprüngliche Absicht doch
Geschichtswissenschaftler zu werden. Wie sein eine halbe Stunde älterer
Zwillingsbruder Wolfgang wollte er sich vom Vater, dem nazimitläuferischen
Historiker Wilhelm Mommsen, beruflich absetzen. Der eine versuchte es mit
Physik, der andere, Hans, mit Germanistik – und fanden doch beide zur
Geschichte, Wolfgang mit dem Schwerpunkt Imperialismus und Kaiserreich,
Hans Mommsen widmete sich der Weimarer Republik, dem Nationalsozialismus
und vor allem der Arbeiterbewegung.
Hans Mommsen wurde auf gewisse Weise in der demokratischen Öffentlichkeit
bekannter als sein Bruder, mischte er sich nicht nur in den
Historikerstreit 1987 ein – durchaus, gemeinsam mit Jürgen Habermas und
Hans-Ulrich Wehler, mit ideologischem Appeal dem „Feind“, dem inzwischen
rechtskonservativen Ernst Nolte gegenüber, der den Holocaust für
unrelativierbar, unvergleichlich zum deutschen Fatum schlechthin, aber
damit auch nicht-mehr-kontextualisierbar erklärte. Mommsen – auch hier ein
Geschichtspolitiker mit Einflüssen in alle tonangebenden Medien hinein,
Zeit, Spiegel, FAZ und SZ. Er konnte sich diese autoritären Gesten –
publizistisch wie als Ordinarius an den Universitäten – leisten, weil er in
vielerlei Hinsicht nicht auf Comments in seiner Historikerzunft Rücksicht
nehmen musste: Er war ein Großer.
Mommsen gehörte, lang ist dieser Grundsatzstreit her, zu den sogenannten
Funktionalisten, die die Intentionalisten bekämpften. Das meint, um es
verstehbar für Jüngere zu machen: Letztere guckten sich die deutsche
NS-Geschichte an und erklärten die Gräuel des Tausendjährigen Reichs aus
den Taten der NS-Täter*innen mit Hitler an der Spitze heraus.
Mommsen und andere hingegen betonten, dass das deutsche Volk nicht vom
NS-Parteimitgliederkörper einfach abgespalten werden könne. Im Sinne von:
Hier die Verbrecher, dort die irgendwie von ihnen Gedeckelten. Kurz: Der
Nationalsozialismus sei als deutsches Ding zu verstehen, als politisches
Projekt der Ermöglichung fast aller. Wenn eines nicht stimme, dann dieses
nach 1945 gern von Deutschen verbreitete Behauptung: Ich war nicht Hitler.
Und: Gegen die viel zu späten, obendrein weinerlichen Bekenntnisse Günter
Grass‘ zur eigenen Gläubigkeit in puncto Nationalsozialismus sagte Mommsen,
die Schuld am NS allein dessen Repräsentanten zuzuschieben, ginge an der
völkischen Wirklichkeit der Jahre zwischen 1933 und 1945 vorbei.
## Götz Aly nahm er vehement in Schutz
Nicht weniger verwunderlich, dass Mommsen den nichtakademischen Historiker
Götz Aly 2005 mit seiner These von „Hitlers Volksstaat“, auch für dessen
Kritik an der Verstrickung der Historikerzunft mit dem Nationalsozialismus
(und dem Fortwirken einiger Geschichtswissenschaftler in die ersten
Jahrzehnte der Bundesrepublik hinein) vehement in Schutz nahm. Alys Befund,
beim Nationalsozialismus habe es sich um „Gefälligkeitsdiktatur“ gehandelt,
teilte Mommsen auch öffentlich bekundet.
Und schon in den Sechzigern ließ er sich vernehmen, bei den Attentätern des
20. Juli 1944 um Graf Stauffenberg handele es sich keineswegs als Figuren,
die als Demokraten zu feiern seien. Antisemitische Klänge seien ihnen eigen
gewesen, und das demokratische Prinzip? Nicht mit den Männern (und wenigen
Frauen) dieser adeligen Zirkel! Im Gegenteil plädierte Mommsen nach dem
Ende der DDR, den Begriff Antifaschismus nicht zu diskreditieren: Er sei
dort immer verstehbar gewesen als Chiffre, die alle Widerständigkeiten
gegen Nationalsozialistisches meinte.
In den vergangenen Jahren schrieb Mommsen weniger, im vorigen Jahr ist als
letzte Schrift „Das NS-Regime und die Auslöschung des Judentums in Europa“
erschienen. Es fasst seine Arbeiten sehr gut lesbar zusammen. Hans Mommsen
ist am Donnerstag, an seinem 85. Geburtstag, in Tutzing gestorben.
6 Nov 2015
## AUTOREN
Jan Feddersen
## TAGS
Nachruf
Historikerstreit
Historiker
Historikerstreit
Reichstag
Drogen
Holocaust
## ARTIKEL ZUM THEMA
Historiker Ernst Nolte ist tot: Phänomenologe des Faschismus
Die deutschnationale Einstellung brachte den Historiker Ernst Nolte zu
einem seltsamen Verständnis der Vergangenheit. Nun starb er in Berlin.
Buch über Reichstagsbrand: Brandstifter und Brandbeschleuniger
Benjamin Carter Hetts hat den Reichstagsbrand untersucht. Er zeigt, wie
sich einseitige Ermittlungen nach dem Krieg fortsetzten.
Buch „Der totale Rausch“: Ein Volk, ein Reich, viele Drogen
Junkie Hitler: Der Autor Norman Ohler erzählt von der Sucht des Führers und
der deutschen Wehrmacht auf Speed.
Stefan Kühl zur Soziologie des Holocaust: Handwerker des Todes
Psychische Schwäche, Alkohol, Kameraderie, Unterwerfung – von SA bis IS.
Soziologe Kühl erkundet Voraussetzungen für massenhaft praktizierten
Sadismus.
Das Auswärtige Amt im "Dritten Reich": Männer im Elitekampf
Der Streit über die Politik des Auswärtigen Amts im "Dritten Reich" ist
anachronistisch und zeitgemäß zugleich: Konservative beugen Fakten.
Dutschke und Stauffenberg: Helden der Bundesrepublik
Die Lederjacke Rudi Dutschkes und die Augenklappe des Claus Schenk Graf von
Stauffenberg sind Symbole im kollektiven Gedächtnis: Sie erinnern an zwei
Menschen, die handelten, weil sie handeln mussten.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.