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# taz.de -- Das Auswärtige Amt im "Dritten Reich": Männer im Elitekampf
> Der Streit über die Politik des Auswärtigen Amts im "Dritten Reich" ist
> anachronistisch und zeitgemäß zugleich: Konservative beugen Fakten.
Bild: Welche Rolle spielte das Auswärtige Amt im "Dritten Reich"?
Um die Ende Oktober veröffentlichte Studie "Das Amt und die Vergangenheit.
Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik" ist eine
heftige Debatte entbrannt. Einige wittern schon einen "neuen
Historikerstreit". Das ist bar jeder Sachkenntnis. Im Historikerstreit 1986
ging es darum, eine von Joachim Fest (FAZ) und Ernst Nolte eingefädelte
Verharmlosung nationalsozialistischer Verbrechen zurückzuweisen. Noltes
Begründung: Die Verbrechen Stalins hätten zeitlich früher stattgefunden als
die Hitlers. Das war Teil des deutschnational grundierten,
"geistig-moralischen" Wendemanövers. Die kritische Öffentlichkeit lehnte es
rundweg ab.
Außenpolitik ohne Staatsräson
In der aktuellen Debatte um das Buch der Historikerkommission über die
Beteiligung des Auswärtigen Amtes (AA) an der nationalsozialistischen
Vernichtungspolitik geht es nicht um von oben lancierte Geschichtspolitik.
Die Kommission arbeitete zwar im Auftrag der Regierung, war aber völlig
frei. Wichtig sind drei andere Aspekte. Erstens handelt es sich um eine
Kampagne, um das Genrebildchen einer angeblich von "Staatsräson",
"Staatsinteressen" und "Kriegshandwerk" geleiteten Außenpolitik zu
konservieren. Verblendete sprachen sogar vom "Primat der Außenpolitik."
Nach dieser kriegerischen Ideologie ist Außenpolitik keine gewöhnliche
Politik, sondern eine Mischung aus "diplomatischer Kunst" und militärischem
Zuschlagen aus "höherer Staatsvernunft". Traditionalistische
Geschichtswissenschaft bewegte sich lange in dieser Sphäre von
"Staatsvernunft", mit der noch jeder Krieg und jedes Verbrechen als
"historische Notwendigkeit" oder "logisch" gerechtfertigt werden. Militante
Vertreter solcher Verklärung von Außenpolitik und "Kriegshandwerk" waren
die Historiker Gerhard Ritter (1888-1967) und Andreas Hillgruber
(1925-1989).
Sucht man nach Parallelen zur aktuellen Debatte, ist der Name Ritter
interessant. Er war einer der Agitatoren gegen Fritz Fischers Buch "Griff
nach der Weltmacht" (1961). Gegen die apologetische Haltung der deutschen
Geschichtswissenschaft belegte Fischer die expansiven Kriegsziele des
Kaiserreichs und die Hauptschuld Kaiser Wilhelms II. und seiner Regierung
am Ersten Weltkrieg. Konservative Häuptlinge der Historikerzunft
entfesselten 1961-64 eine wüste Propagandaschlacht gegen Fischers These und
brachten das Auswärtige Amt dazu, die Geldmittel für eine Vortragsreise
Fischers in die USA zu sperren. Das gelang nicht, weil amerikanische
Universitäten einsprangen. Heute widersprechen Fischers These nur noch
Nationalisten und andere Narren.
Geschichtsverlust der "FAZ"
Rainer Blasius, FAZ-Redakteur, ehemaliger Mitarbeiter im Auswärtigen Amt
und Schüler Hillgrubers, schrieb bislang sechs Artikel gegen das Buch "Das
Amt" in der FAZ, um dieses und seine Autoren zu diskreditieren und den Ruf
von Hitlers Diplomaten und den des Amtes zu retten.
Dabei geht es nicht um Fakten, Irrtümer oder Fehler im Buch, sondern um
Grundsätzliches. Dass das Auswärtige Amt trotz einiger mutiger
Einzelkämpfer kein Hort des Widerstandes war, wie die Legende des
Weizsäcker-Clans behauptete, ist schon vor dreißig Jahren durch Christopher
Browning belegt worden. Sein Buch "Die Endlösung und das Auswärtige Amt"
erschien 1978 auf Englisch, erst vor einem Jahr auf Deutsch! Auch die
Studie Hans-Jürgen Döschers "Das Auswärtige Amt im Dritten Reich" (1987)
demontierte die Weizsäcker-Legende.
Aber erst das Buch der Historikerkommission hat einer breiteren
Öffentlichkeit klargemacht, wie sehr die Mitverantwortung des Amtes an den
nationalsozialistischen Verbrechen in der Nachkriegszeit unter dem
fürsorglichen Schutz der Politik, des Politischen Archivs des AA und großer
Teile der Presse vertuscht, verdrängt und relativiert wurde. Nach dem
Erscheinen des Buches über "das Amt" kracht nun auch die konservative
Apologie zusammen, die Hinweise aus der DDR auf braun imprägnierte
westdeutsche Diplomaten vierzig Jahre lang als "Propaganda aus Pankow"
abqualifizierte. Die Hinweise aus der DDR dienten auch der Propaganda, aber
sie haben sich im Kern als stichhaltig erwiesen.
Nebenkriegsschauplätze
Weil die Kommission die Beteiligung des Amtes an Verbrechen wie die
Vertuschungsmanöver nach dem Krieg zweifelsfrei belegt, greifen Blasius,
der Lautsprecher der Kritik, und andere Apologeten des Amtes zu Tricks:
Statt Gegenargumente zu liefern, begeben sie sich auf Nebenschauplätze.
Einmal wird die Zahl von zwölf Mitautoren, 14 Rechercheuren und sieben
Hilfskräften bekrittelt, als ob man ein solches Werk allein schreiben
könnte.
Dann wird die Tatsache skandalisiert, dass Thomas Karlauf, der
Schlussredakteur des Buches, eine Stefan-George-Biografie geschrieben hat.
Ein Historiker hält gar die Sorge um den Ruf seines Großvaters, der
AA-Beamter war, für ein Argument. Schließlich wurde ein Magaziner ins
Gefecht geschickt, der beteuert, zwei der Autoren hätten sich nur einen Tag
im Archiv aufgehalten.
Der dritte Aspekt der Debatte hat mit akademischem Dünkel und kollegialer
Rivalität zu tun. Der Erlanger Historiker Gregor Schöllgen beklagt sich,
weil seine Aktenpublikation nicht zitiert wird, sein Kollege Sönke Neitzel
hält es für "Geschichtspornografie", wenn einer der Autoren das AA als das
bezeichnet, was es war - "eine verbrecherische Organisation".
Auch der verdienstvolle Historiker Hans Mommsen verrannte sich im
Profilierungsparcours und empfahl den Autoren des Buches den Besuch eines
Proseminars. Sie hatten die Frechheit, sich methodisch mit guten Gründen
von Mommsen abzusetzen und den Beginn der Vernichtungspolitik der Nazis
anders zu datieren als er. Auch der Versuch, das Buch als "Auftragsarbeit"
der Regierung (Blasius und Mommsen) zu diskreditieren, ist schäbig.
Die Debatte erschöpft sich jedoch nicht im Streit zwischen alten und jungen
Historikern. Eine junge konservative Elite im Umfeld von FAZ und Welt
stellt sich - gegen den Stand der Forschung - schützend vor die alte, in
schwere Verbrechen verstrickte Elite. Nebenher sind alte und neue Eilte
dabei, die Naziverbrechen auf die gleiche Stufe zu stellen wie die
Steinwürfe Joschka Fischers und anderer 68er.
30 Dec 2010
## AUTOREN
Rudolf Walther
## TAGS
Schwerpunkt Nationalsozialismus
Nachruf
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