| # taz.de -- Hommage an Charlotte Rampling: Eine Aura von Angriffslust | |
| > Die diesjährige Berlinale ehrt das Werk von Charlotte Rampling. Ihr | |
| > echtes Talent zeigte sich erst, als sie die Mitte 50 schon überschritten | |
| > hatte. | |
| Bild: Im Film „Max, mon amour“ erregte Rampling Aufsehen als Frau mit Schim… | |
| Gibt es einen Weg, über ältere weibliche Stars zu schreiben, ohne die | |
| Floskeln „gut gealtert“ oder „immer noch schön“ oder gar „sexy für … | |
| Alter“ zu verwenden? Für Charlotte Rampling müsste er erfunden werden. Aber | |
| wetten, dass 98 Prozent der dieser Tage zum Star [1][der diesjährigen | |
| Hommage bei der Berlinale] erscheinenden Porträts die eine oder andere | |
| Formulierung enthalten? | |
| Denn obwohl Rampling, die am 5. Februar ihren 73. Geburtstag feierte, erst | |
| die Anerkennung in Form von Schauspielpreisen bekam, als sie die Mitte 50 | |
| überschritten hatte, wird auch sie reflexhaft an ihrer Erscheinung als | |
| junger Frau gemessen. Dabei wäre das Umgekehrte bei Rampling angebracht: | |
| das dünne, kühle Model mit dem Katzenblick, als das man sie in den | |
| sechziger und siebziger Jahren so gern fotografiert hat, kann der stolzen | |
| älteren Frau mit der freundlich-eigenwilligen Ausstrahlung und den | |
| charakteristischen Schlupflidern kaum das Wasser reichen. | |
| Damals behandelte man sie als Accessoire, als Projektion des Begehrens; | |
| heute steht sie selbst im Mittelpunkt, kompliziert, sphynxhaft, mit reich | |
| nuanciertem Innenleben. | |
| Eine solche Ausstrahlung kommt nicht von selbst, auch nicht durch „gutes | |
| Altern“ oder vom krampfhaften Bemühen, jung zu bleiben. Sie kommt mit | |
| Erfahrung – und zwar verschiedenster Art. Oder wie Rampling es selbst | |
| ausdrückte: „Um herauszufinden, was normal ist, muss man eine Welle von | |
| Verrücktheit surfen.“ | |
| ## Kindheit in Spanien und Frankreich | |
| Geboren wurde sie in privilegiert-exotischen Umständen, nicht unbedingt im | |
| materiellen, aber doch im sozialen Sinn: Ihre Mutter war Malerin, ihr Vater | |
| Offizier der britischen Armee und Leichtathlet – mit zwei Goldmedaillen von | |
| den olympischen Spielen 1932 und 1936 im Regal. Ihre Kindheit verbrachte | |
| sie größtenteils in Frankreich und Spanien, erst Anfang der Sechziger | |
| kehrte sie nach Großbritannien zurück, wo sie ein bisschen modelte, ein | |
| bisschen die Schauspielschule besuchte und erste kleine Filmrollen | |
| ergattern konnte. | |
| In Richard Lesters ‚Sexkomödie‘ mit dem Titel „Der gewisse Kniff“ (196… | |
| war sie kurz als Wasserski-Läuferin zu sehen, auch in Lesters Beatles-Film | |
| „A Hard Days Night“ (1964) kann man sie als Statistin erspähen. Ihre erste | |
| „richtige“ Rolle war die von Lynn Redgrave beneidete Mitbewohnerin in | |
| „Georgy Girl“ (1966), wo ihr Auftritt solche glamouröse Laszivität | |
| verströmte, dass man auf sie aufmerksam wurde. | |
| Heute kaum zu glauben, aber die interessantesten europäischen Filme wurden | |
| damals in Italien gedreht: Rampling spielte bei Luchino Visconti in „Die | |
| Verdammten“ (1969), was ihr wenige Jahre später die interessanteste Rolle | |
| ihrer jungen Jahre einbrachte. | |
| Als Dirk Bogarde, der sie aus „Die Verdammten“ in Erinnerung hatte, in | |
| Liliana Cavanis „Der Nachtportier“ (1974) die Titelrolle übernahm, bestand | |
| er darauf, Rampling als sein Gegenüber zu besetzen. Der Film wurde zum | |
| Skandal. Bogarde verkörpert darin Max, einen ehemaligen KZ-Doktor, und | |
| Rampling spielt eine ehemalige KZ-Insassin, die er damals in ein | |
| Liebesverhältnis zwang. | |
| ## Verstörend sexistischer Sadismus | |
| In einem Hotel in Wien in den 50er Jahren begegnen sie sich wieder – und | |
| setzen ihr sado-masochistisches Verhältnis fort, im wahnhaft-radikalen | |
| Rückzug von einer Welt, in der Altnazis bereits wieder die Macht übernommen | |
| haben. Die Art und Weise, wie der Film Schuld und Sex, Täter und Opfer | |
| miteinander verschränkt, stieß damals vielen gallig auf. | |
| Die Szene, in der Rampling mit nackten Brüsten und Nazi-Hosenträgern den | |
| Marlene-Dietrich-Song „Wenn ich mir was wünschen dürfte“ singt, ist heute | |
| noch verstörend in ihrem ausgestelltem, sexistischen Sadismus. Ob | |
| „Naziploitation“ oder Faschismusforschung mit den Methoden der Ästhetik – | |
| faszinierend in all seiner Manieriertheit und gewollten Andersartigkeit ist | |
| „Der Nachtportier“ allemal. | |
| Es waren Ramplings Skandaljahre: Sie posierte nackt für den Playboy, nahm | |
| die verschiedensten Rollen an, auf Englisch, Französisch oder Italienisch, | |
| in allen möglichen Genres. Unter anderem erregte sie Aufsehen im Film „Max, | |
| mon amour“ (1986) von Nagisa Ōshima in der Rolle einer Frau, die sich einen | |
| Schimpansen als Liebhaber nimmt. Ihre Standard-Antwort, wenn man sie nach | |
| dieser Erfahrung fragt, lautet übrigens: Mit einem Affen vor der Kamera zu | |
| stehen sei nicht viel anders als mit Paul Newman, nur, dass der Affe sich | |
| etwas anders verhalte. | |
| Im realen Leben habe sie sich keine Ausrutscher erlauben können, gestand | |
| Rampling dem Guardian später, so habe sie ihre Lust am Extremen, | |
| Abseitigen in ihren Rollen ausleben müssen. Weshalb das so war? 1966 nahm | |
| sich Ramplings Schwester Sarah das Leben; sie war erst 23. Charlotte und | |
| ihr Vater schlossen einen Pakt: so lange die Mutter noch lebte, ihr zu | |
| verschweigen, dass es Selbstmord war. | |
| ## Depression mit Mitte 30 | |
| Als einzige Tochter musste Charlotte von da an „auf dem richtigen Weg“ | |
| bleiben. Es hat sie eingeholt, erzählte sie im selben Interview. Mit Mitte | |
| 30 – ihr zweiter Sohn war fünf, sie lebte mit Jean-Michel Jarre verheiratet | |
| in Paris – erwischte sie die Depression, die fast 10 Jahre anhalten sollte. | |
| 1996 trennte sie sich von Jarre und begann mit neuem Interesse wieder | |
| Filmrollen anzunehmen, wie etwa in Iain Softlys „Die Flügel der Taube“ | |
| (1997). Und dann kam François Ozon. Der damals 32-jährige französische | |
| Regisseur besetzte sie in „Unter dem Sand“ und das echte, das eigentliche | |
| Talent von Charlotte Rampling trat ans Licht. | |
| „Unter dem Sand“ gehört zu jener Sorte Film, den man sich in keiner anderen | |
| Besetzung vorstellen kann. Rampling verkörpert Marie, deren Mann am ersten | |
| Urlaubstag am Strand schwimmen geht – und nicht zurückkommt. Nahezu alles, | |
| was sich in diesem Film ereignet, passiert im Inneren der Hauptperson – | |
| zuerst die Unsicherheit: Ist er überhaupt tot? War es ein Unfall? War es | |
| Selbstmord? Dann das langsame Begreifen, die Trauer, die Wut, die | |
| bleibende, tiefe Verunsicherung der eigenen Existenz. | |
| Das alles stellt Rampling dar, mit einem, man möchte sagen: nackten | |
| Gesicht, das vor der Kamera zu zeigen sich die wenigsten älteren | |
| Schauspielerinnen trauen. Die Rolle brachte ihr eine Nominierung beim | |
| europäischen Filmpreis ein – und eine bis heute nicht aufzuhaltende | |
| Schwemme von Filmangeboten, die von ihrer einmaligen Aura aus Empathie und | |
| Angriffslust profitieren wollen. | |
| ## Allerschönste Rolle in „45 Years“ | |
| Dutzende von kleinen und weniger kleinen Rollen hat sie seither übernommen, | |
| aber es waren auch ein paar große Parts darunter, wie sie für Frauen über | |
| 60 nur selten geschrieben werden. Gleich 2003 drehte erneut François Ozon | |
| mit ihr „Swimming Pool“, in dem Rampling eine britische Krimi-Autorin | |
| darstellt, deren Verleger ihr ein junges „Früchtchen“ in Gestalt von | |
| Ludivine Sagnier in die Villa im Luberon setzt, wo die beiden sich als | |
| feindselige Vertreterinnen feinster Manipulationstechniken gegenüber | |
| stehen. | |
| [2][Ihre allerschönste Rolle bislang aber spielte sie in „45 Years“] von | |
| Andrew Haigh, der 2015 auf der Berlinale Premiere feierte – für diese | |
| erhielt sie den Silbernen Bären als beste Schauspielerin. Sie verkörpert | |
| Kate, die mit Ehemann Geoff (Tom Courtenay) das 45-jährige | |
| Hochzeitsjubiläum vorbereitet. Auch in diesem Film passiert äußerlich nicht | |
| viel: Die beiden Alten, beides Pensionäre, gehen ihren Geschäften nach. | |
| Es erreicht sie eine Nachricht aus der Schweiz: die Leiche von Geoffs | |
| erster Freundin, die vor bald 50 Jahren in einem Alpengletscher zu Tode | |
| stürzte, ist aufgetaucht. Was soll sich dadurch ändern? Kate möchte | |
| trotzdem mehr wissen. Sie stöbert nach Fotos, sie befragt Geoff, aber der | |
| weiß kaum mehr etwas, oder tut er nur so? „45 Years“ ist das minutiöse | |
| Porträt eines Gefühlswandels: Wo vorher blindes Vertrauen herrschte, zieht | |
| Misstrauen ein, das immer neue Nahrung findet und immer hungriger wird. | |
| Interessant ist diese äußere Ereignislosigkeit bei innerer Spannung, weil | |
| Rampling sie mit so viel gelebter Erfahrung und zwiespältiger Empfindung | |
| füllt. Es ist eben keine „Altersrolle“, sondern schlicht ein großer | |
| Auftritt. | |
| 9 Feb 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Barbara Schweizerhof | |
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