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# taz.de -- „Roma“-Darstellerin Aparicio: Wie Filme die Welt verändern
> Yalitza Aparicio hat gute Chancen auf einen Oscar. Als Indígena trägt sie
> zu einem neuen Selbstverständnis in Mexiko bei.
Bild: Von der Vorschullehrerin zur Oscar-Favoritin: Yalitza Aparicio
Sieht man vom neuen Präsidenten ab, dürfte gerade niemand in den
mexikanischen Medien so präsent sein wie Yalitza Aparicio. Sie erschien auf
der Titelseite der Zeitschrift Vogue, posierte im Lifestyle-Magazin Vanity
Fair für große Modelabels und wird am 24. Februar nach Los Angeles fahren,
um an der Oscar-Verleihung teilzunehmen. Jüngst hat Mister Cumbia der
25-Jährigen sogar einen Song gewidmet. Sie sei, so singt die mexikanische
Band, der „Stolz der Nation“.
Dabei wollte die indigene Frau, die derzeit zu den prominentesten
Schauspielerinnen Mexikos zählt, zunächst nicht einmal am Casting für den
Film [1][„Roma“] teilnehmen. Sie befürchtete eine Falle, als das Team des
Regisseurs Alfonso Cuarón in ihre Heimat kam, um eine Protagonistin für
seine Netflix-Produktion zu suchen. In der Provinzstadt Tlaxiaco der
verarmten südmexikanischen Bergregion Mixteca erinnern solche Besuche
schnell an Menschenhändler. „In meiner Gemeinde gibt es so etwas nicht, das
war neu und fremd“, sagt Aparicio. Außerdem war sie gerade dabei, ihre
Ausbildung als Lehrerin zu absolvieren, und mit der Schauspielerei hatte
sie vorher nichts am Hut.
Schließlich ging sie doch zum Casting, und Cuarón wählte Aparicio am Ende
eines langen Procederes als Hauptdarstellerin aus. „Ich habe ja nichts
Besseres zu tun“, soll sie der New York Times zufolge dem
Hollywood-Regisseur erklärt haben, als sie zusagte. Mittlerweile kennt fast
jeder in Mexiko die Frau aus der Mixteca, die in „Roma“ eine indigene
Hausarbeiterin im gleichnamigen Viertel von Mexiko-Stadt spielt.
## Auf dem Titel der „Vogue“
Sogar Touristen reisen an den Ort, an dem die Geschichte gedreht wurde.
Auch über das Land hinaus zählt der Film zu den erfolgreichsten des letzten
Jahres und lief nicht nur auf Netflix, sondern auch in zahlreichen Kinos.
„Roma“ hat schon mehrere Preise gewonnen und ist für zehn Oscars nominiert.
Wenn alles gut läuft, wird Aparicio einen davon als beste Hauptdarstellerin
bekommen. Ihr Porträt auf der Titelseite der mexikanischen Vogue war das
erste einer Indigenen und sorgte für die meistverkaufte Ausgabe.
Roma ist inspiriert von der Geschichte Cuaróns: von dessen Jugend, in der
er mit der Haushälterin „Libo“ aufgewachsen ist und die in der Verfilmung
Cleo heißt. „Im Film sehen wir nicht Yalitza, sondern Cleo“, hebt der
Regisseur die Fähigkeiten der 25-Jährigen hervor. Seine Schauspielerin habe
die Persönlichkeit von Cleo erst geschaffen. Das hätte wohl niemand so
können wie eine Frau, die selbst wie die meisten Indigenen Mexikos unter
ärmlichen Bedingungen aufgewachsen ist. Nicht zuletzt dieser Authentizität
ist es zu verdanken, dass der Film als Anklage gegen die oft rassistische
Behandlung von Hausangestellten wahrgenommen wird.
Aparicio nutzt ihre Prominenz, um sich für eine inklusive Gesellschaft
auszusprechen, ohne sich dabei als Protagonistin für indigene Rechte zu
inszenieren. Sie wolle das Stereotyp durchbrechen, dass Indigene wegen
ihrer Hautfarbe bestimmte Dinge nicht tun könnten, erklärte sie. Darüber
hinaus macht Yalitza Aparicio aber schlicht das, was alle Sternchen im
Filmgeschäft machen. Sie zeigt sich in Lifestyle-Blättern, macht Werbung
für Lenovo, trifft sich mit Prominenten aus dem Show-Business, reist zur
Filmprämierung nach Venedig und flaniert in New York.
Das mobilisierte nicht nur Rassisten, die sich auf Twitter über das
Aussehen der indigenen Frau lustig machen. „Reiner Zufall“, reagierte etwa
die Schauspielerin Ana de la Reguera mit einem Smiley auf die Fotos in
Vanity Fair, ihre Kollegin Patricia Reyes Espíndola weiß bereits, dass die
Schauspielerei nicht Aparicios „Berufung“ sei. Es sei „nicht das, was sie
will“. Die TV-Moderatorin Elsa Burgos bezweifelte auf Facebook, dass
Aparicio einen Oscar verdient habe: „Sie schauspielert nicht, sie ist doch
so.“ Etwas intellektueller schimpft der Universitätsprofessor Ricardo
Trujíllo, die Indigene sei nur ein Trugbild, damit Hollywood sich als
Einrichtung reinwaschen könne, die auch Minderheiten zeige, solange sie
harmlos seien.
## Körperlichkeit und Talent
Diese Reaktionen riefen wiederum jene auf den Plan, die meinten, die junge
Frau verteidigen zu müssen. So beruhigte die Moderatorin Yuri, nicht jede
in Hollywood müsse hübsch sein und einen Superkörper besitzen: „Das
Körperliche ist nicht wichtig, das Talent ist das, was zählt.“ Dagegen
erschien Mister Cumbias Ode an den „Stolz der Nation“ fast noch
schmerzlindernd: „Yalitza Aparicio hat mit niemandem geschlafen, nur dank
ihres Talentes kam sie bis zum Oscar.“
Die ehemalige Vorschullehrerin und nun zur prominenten Schauspielerin
gewordene junge Frau reagiert auf all die Projektionen mit erstaunlicher
Ruhe. „Ganz ehrlich, von Mode habe ich keine Ahnung, aber ich bin dabei zu
lernen“, sagte sie. Ansonsten sei sie immer noch dieselbe und wisse noch
nicht, ob sie nicht doch in die Mixteca zurückkehre.
Am deutlichsten aber brachte die Kolumnistin Susana Moscatel in der
Tageszeitung Milenio die Debatte auf den Punkt. „Yalitza hat einfach in
einem Film mitgemacht. Sie hat nie darum gebeten, das Symbol für das
emotionale Chaos zu sein, das wir als Gesellschaft haben.“
11 Feb 2019
## LINKS
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## AUTOREN
Wolf-Dieter Vogel
## TAGS
Oscars
Mexiko
Indigene
Netflix
Thriller
Kolumne Latin Affairs
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Schwerpunkt Filmfestspiele Venedig
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