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# taz.de -- Sigrid Nikutta zur BVG: Wachsen kann ganz schön wehtun
> Warum quietscht und ruckelt es so bei der BVG? Nach der Analyse ihrer
> Chefin gibt es viele Gründe. In erster Linie muss das Unternehmen einfach
> immer mehr leisten.
Bild: EineR geht am Ende immer noch rein – aber was, wenn die Bahn gar nicht …
Mit der BVG geht es steil nach unten, da klappt nichts mehr. Irgendwie
scheint diese leicht apokalyptische Vorstellung gerade in der Luft zu
liegen. „Legendenbildung“ nennt das die Vorstandsvorsitzende der
Verkehrsbetriebe. Bei ihren Fraktionsbesuchen am Dienstag hat Sigrid
Nikutta das Bild eines Unternehmens gezeichnet, das zwar die vom Land
bestellten Leistungen aus vielfältigen Gründen nicht erbringen kann, obwohl
– oder: weil – es jedes Jahr mehr leistet.
Klingt ein bisschen paradox. Gemeint ist: Die Zahl der beförderten
Fahrgäste steigt und steigt. Im gerade zu Ende gegangenen Jahr 2018 wurden
fast 1,1 Milliarden Fahrten registriert, ein Plus von 3,2 Prozent gegenüber
2017. Die Milliardenmarke war gerade erst 2015 überwunden worden. Nikutta
verweist hier auf die späte Erkenntnis der Politik, wie sehr die Stadt
einmal wachsen würde: „Als ich 2010 angefangen habe, war davon gar keine
Rede. Da haben wir noch darüber diskutiert, wo Leistungen reduziert werden
können.“ Intern spricht sie gerne mal von „Wachtsumsschmerzen“.
Weil jede einzelne dieser Fahrten ganz unterschiedlich lang sein kann, ist
die Zahl der sogenannten Nutzwagenkilometer noch aussagekräftiger. Sie
besagt, wie viel die U-Bahnen, Trams und Busse am Ende tatsächlich gefahren
sind. Auch hier geht es seit Jahren immer nur aufwärts: Mit 91,5 Millionen
Kilometer waren es 2018 immerhin 400.000 mehr als 2017 und fast vier
Millionen mehr als 2013.
Nur: Bestellt hatte der Senat für das vergangene Jahr deutlich mehr,
nämlich 92,9 Millionen Kilometer. Dadurch hat sich die Schere zwischen Plan
und Wirklichkeit weit geöffnet. Genau genommen liegt die 2018 erbrachte
Kilometerleistung sogar noch knapp unter dem Soll von 2017.
In Sachen Pünktlichkeit (kommt die Bahn zu spät?) und Zuverlässigkeit
(kommt die Bahn überhaupt?) musste Nikutta gegenüber den
ParlamentarierInnen dann auch einen Abwärtstrend bei allen Verkehrsträgern
einräumen. Im Gegensatz zur U-Bahn sind Tram und Bus dabei deutlich
schlechter aufgestellt, die Pünktlichkeit der Busse etwa lag 2018 nur noch
bei 86,8 Prozent. Zum Vergleich: Die U-Bahn fährt immer noch einen Wert von
98,4 Prozent ein. Wobei man berücksichtigen muss, dass Verspätungen von bis
zu dreieinhalb Minuten noch nicht einmal dokumentiert werden.
Ein Grund für die schlechte Performance der oberirdisch fahrenden
Verkehrsmittel liegt laut Nikutta einfach darin, dass man sich die Straßen
mit anderen teilen muss. Immer wieder heiße es „Auto im Gleis“, Unfälle
oder Falschparker brächten die Fahrpläne durcheinander. Weshalb die BVG
sehr unter anderem ein starkes Interesse daran hat, die zeitliche
Beschränkung von Busspuren ein für alle Mal aufzuheben.
## Nachschub dringend nötig
Dass gerade die U-Bahn dringend Nachschub an Wagen benötigt, ist schon
länger bekannt. Hier kann Nikutta darauf verweisen, dass nach Beilegung des
Rechtsstreits mit dem Hersteller Siemens dessen Konkurrent Stadler bis 2021
insgesamt 80 neue Wagen für die Großprofil-Linien 5, 6, 7, 8 und 9 liefern
wird. Und noch in diesem Sommer, so Nikutta, werde der größte Auftrag der
BVG-Geschichte vergeben: Es geht um rund 1.500 U-Bahn-Wagen, mit denen der
veraltete Fuhrpark bis 2033 rundumerneuert werden soll. In den vergangenen
Jahren war hier so gut wir nichts passiert.
Auch bei Tram und Bus wird kräftig eingekauft. Die Busflotte soll im Zuge
der Umstellung auf Elektrobetrieb bis 2030 sogar noch um 20 Prozent
wachsen.
Mindestens ebenso entscheidend dafür, dass es bei der BVG heute quietscht
und ruckelt, ist aber der Faktor Mensch: Wie Nikutta einräumen muss, fehlen
am konkreten Ort und zur konkreten Zeit immer wieder FahrerInnen – obwohl
das Fahrpersonal mit 6.670 Angestellten sogar leicht über dem Plan liegt.
Der Grund: ein massiv gestiegener Krankenstand. Gerade die jüngeren, nach
Tarif bezahlten Beschäftigten machen schlapp. In der Bus-Sparte etwa waren
es 2018 ganze 12,8 Prozent, geplant hatte man nur mit 8,2 Prozent.
Ob das mit der wachsenden Belastung im Job zusammenhängt? Oder womöglich
mit dem entspannteren Arbeitsmarkt? Über die Gründe spekuliert Sigrid
Nikutta ungern in der Öffentlichkeit. Sie verspricht aber, bald eine
betriebliche „Taskforce Gesundheit“ einzurichten.
Und noch etwas: „Wir diskutieren wieder über eigene Wohnungen, zum Beispiel
in Form von Kontingenten bei städtischen Wohnungsbaugesellschaften“, sagt
die BVG-Chefin. Es werde nämlich deutlich, dass viele Angestellte immer
weitere Anfahrtswege zu den in der Innenstadt gelegenen Betriebshöfen
hätten – die Gentrifizierung lässt grüßen. Unschöner Nebeneffekt: Die
Zuverlässigkeit beim Dienstantritt sinkt dadurch messbar.
22 Jan 2019
## AUTOREN
Claudius Prößer
## TAGS
BVG
Sigrid Nikutta
ÖPNV
Mobilität
Tarif
BVG
BVG
Raed Saleh
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