# taz.de -- Letzte Berlinale unter Kosslick: Die Zeit der Heiterkeit | |
> Am 7. Februar startet die 69. Berlinale, die letzte unter Direktor Dieter | |
> Kosslick. Eine kleine Betrachtung zum Abschied. | |
Bild: Ohne Kosslick dürfte in Zukunft der eine oder andere Ulk fehlen | |
Wenn am Donnerstag die 69. Ausgabe der Internationalen Filmfestspiele von | |
Berlin beginnt, steht eines fest: Es ist die letzte Berlinale unter Dieter | |
Kosslick. Mit Kosslick geht eine „Type“, wie man sagen würde. Der | |
70-Jährige hat sich in den 18 Jahren, die er die Berlinale als Direktor | |
führte, als öffentliche Person inszeniert, die um keinen albernen Witz | |
verlegen, zugleich stets schlagfertig und genügend „resilient“ gegen Kritik | |
war. | |
Manche seiner Einlassungen waren aber auch tatsächlich ziemlich komisch. | |
Als er etwa Ende Januar [1][in seiner letzten Berlinale-Pressekonferenz] | |
zum Wettbewerbsbeitrag von Fatih Akin, der Literaturverfilmung „Der goldene | |
Handschuh“, befragt wurde, gab er zur Auskunft: „Na ja, ein Film über einen | |
Massenmörder ist jetzt nicht gerade so wie ein Gemälde von Caspar David | |
Friedrich.“ Und er sei „in Farbe“. | |
Kosslick kam 2001 aus der Filmförderung zur Berlinale. Kritiker beäugten | |
ihn daher im Vorfeld als „perfekten Lobbyisten“. Der 1948 geborene | |
Pforzheimer, studierter Kommunikationswissenschaftler, hatte | |
Berufserfahrung als Persönlicher Referent, Redenschreiber und Büroleiter | |
des Hamburger SPD-Bürgermeisters Hans-Ulrich Klose, als Pressesprecher der | |
Leitstelle für die „Gleichstellung der Frau“ ebendort und als | |
Kulturredakteur der Zeitschrift konkret gesammelt, bevor er 1983 in der | |
Filmförderung anfing, zunächst weiter in Hamburg. Von 1992 an war er dann | |
Geschäftsführer der Filmstiftung NRW. | |
Mit Kosslick kamen für die Berlinale diverse Erneuerungen. So erweiterte er | |
die Sektionen, die bis dahin lediglich aus Wettbewerb, Forum, Panorama, | |
Retrospektive und Generation bestanden hatten, als Erstes um die | |
„Perspektive deutsches Kino“, da es sein erklärtes und aus seiner | |
vorangegangenen Tätigkeit verständliches Anliegen war, den deutschen Film | |
zu fördern. An dem hatte sein Vorgänger Moritz de Hadeln weniger Interesse | |
gezeigt. | |
## Immer wieder Mut zum Risiko | |
Zugleich attestierte sich Kosslick nach seiner ersten Berlinale als | |
atmosphärische Erneuerung ein „gewisses Maß an Heiterkeit am roten | |
Teppich“. Schon früh sprach sich Kosslick zudem für das Politische im Film | |
aus, eine Haltung, bei der er gleichfalls bis zuletzt blieb, steht die | |
kommende Berlinale doch unter dem irgendwie retrospektiv anmutenden Thema | |
„Das Private ist politisch“, mit dem ein nach wie gültiger, aber | |
mittlerweile allemal historisch gewordener Leitsatz der zweiten | |
Frauenbewegung zitiert wird. | |
Das politische Selbstverständnis der Berlinale wurde Kosslick zunehmend | |
vorgeworfen. Statt auf künstlerische Aspekte zu achten, zähle vor allem die | |
Botschaft, so die Kritik, die sich vor allem gegen den Wettbewerb richtete. | |
Wobei man ihm durchaus zugute halten kann, dass er immer wieder Mut zum | |
Risiko hatte. | |
So bekannte er schon zum Auftakt seiner Ära als Berlinale-Direktor: | |
„Manchmal wäre es vielleicht besser, man würde den umstrittensten Film im | |
Wettbewerb zeigen und nicht da, wo es vielleicht einfacher ist.“ Mit dem | |
rumänischen Film „Touch Me Not“ von Adina Pintilie, der im vergangenen Jahr | |
den Goldenen Bären gewann, war ein – wegen seiner expliziten abweichenden | |
Körperlichkeit – heftig kontroverser Film in den Wettbewerb gelangt und | |
siegreich daraus hervorgegangen. | |
Ungeachtet der zahlreichen Journalisten, die den Film schon vor Ende der | |
Vorführung verließen, entwarf Pintilie eine zwischen Dokumentarischem und | |
Fiktion oszillierende, faszinierende forschende Filmsprache. Man kann die | |
Entscheidung der Jury rückblickend daher nicht nur als richtig, sondern | |
eben auch als „Kosslick-konform“ bezeichnen, wenn man ihn an seinen eigenen | |
Worten misst. | |
## Kräftiger Umbau unter Kosslick | |
Unter Kosslick wurde die Berlinale über die Jahre dann kräftig umgebaut. | |
Hinzu kam etwa der World Cinema Fund als Förderinstrument für Filme, die | |
ohne Förderung gar nicht möglich wären. In Regionen, wo es eine öffentliche | |
Förderung wie in Deutschland zum Teil gar nicht gibt. Vor allem aber kamen | |
mehr und mehr Sektionen hinzu. | |
Das Forum wurde um das Forum Expanded, das Panorama um die Panorama | |
Dokumente und das Panorama Special erweitert. Berlinale Special, Berlinale | |
Shorts, Kulinarisches Kino waren weitere Neuzugänge. Die Berlinale Special | |
Series kamen 2015 als letzter Neuzugang und waren damit die erste Sektion | |
eines A-Festivals, das Serien berücksichtigte. | |
Die damit einhergehende Unübersichtlichkeit war einer der Gründe, weshalb | |
die Berlinale im November 2017 mit dem ungewöhnlichen Vorgang konfrontiert | |
war, dass Filmschaffende aus Deutschland einen [2][Offenen Brief an | |
Kulturstaatsministerin Monika Grütters] schrieben, in dem sie Vorschläge | |
für Kosslicks Nachfolge machten: „Die Neubesetzung der Leitung bietet die | |
Chance, das Festival programmatisch zu erneuern und zu entschlacken“, hieß | |
es darin. | |
Kosslick war damals nach eigenen Worten „stinksauer“, zur Strafe gab es in | |
der Pressekonferenz 2018 dafür dann auch weniger launige Bemerkungen für | |
die Journalisten, die den Brief mitunter zum Anlass für eine eigene | |
Abrechnung mit ihm genommen hatten. | |
## Zeit für neuen Wind | |
Was als Begleiterscheinung einer langen Amtszeit unvermeidlich erscheint. | |
Man hatte sich daran gewöhnt, dass die Berlinale unter ihm eben so ist, wie | |
sie ist, und dass es dabei bleiben wird. Ein taz-Kollege hatte Kosslick | |
2011 in diesem Sinn als „so etwas wie die Lindenstraße für das Berliner | |
Festival“ charakterisiert. Inzwischen stellte sich [3][bei beiden] heraus: | |
Es wird sie doch nicht auf ewig geben. | |
Auf Kosslick [4][folgt eine Doppelspitze]. Mariette Rissenbeek, gegenwärtig | |
Geschäftsführerin von German Films, ist fortan Geschäftsführerin. Carlo | |
Chatrian wird künstlerischer Leiter des Festivals. Er leitete zuvor das | |
Locarno Festival. | |
Soll man sich freuen, dass Kosslick geht? Helmut Kohl war 16 Jahre | |
Bundeskanzler, Frank Castorf 25 Jahre Intendant der Berliner Volksbühne. Zu | |
lang sollte man nie an einem Stuhl kleben. Insofern kann man sagen: Ist | |
schon in Ordnung so. Zeit für neuen Wind. Selbst wenn in Zukunft der eine | |
oder andere Ulk fehlen sollte. | |
7 Feb 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Das-Ende-einer-Berlinale-Aera/!5565925 | |
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[4] /Neue-Fuehrung-der-Berlinale/!5512312 | |
## AUTOREN | |
Tim Caspar Boehme | |
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