# taz.de -- Enteignung von Immobilienkonzernen: Das böse Wort mit E | |
> Eine Berliner Initiative will Immobilienriesen per Volksentscheid | |
> enteignen. Aber geht das überhaupt? Antworten auf die wichtigsten Fragen. | |
Bild: Gehört sie bald dem Land? Immobilienanlage der Deutsche Wohnen in Britz | |
Wer soll enteignet werden? | |
Das „Gesetz zur Überführung von Immobilien sowie Grund und Boden in | |
Gemeineigentum zum Zwecke der Vergesellschaftung“, zu dessen Erarbeitung | |
der Senat per Volksentscheid gezwungen werden soll, gälte nicht nur für die | |
Deutsche Wohnen – der Fokus auf nur ein Unternehmen wäre rechtswidrig. | |
Stattdessen wären alle Unternehmen betroffen, die mindestens 3.000 | |
Wohnungen in Berlin besitzen und mit „Gewinnerzielungsabsicht“ | |
wirtschaften. Als gesichert gilt, dass dazu neben der Deutschen Wohnen auch | |
die Vonovia, Akelius, A.D.O. Properties gehören. Auch das | |
Unternehmensgeflecht der Pears-Brothers, das zuletzt mit der Kündigung der | |
linken Neuköllner Kneipe Syndikat von sich reden machte, gehört | |
wahrscheinlich dazu – bei Firmen wie dieser ist es gar nicht so leicht zu | |
sagen, wie viele Wohnungen sie besitzen, da sie die Eigentumsverhältnisse | |
über Briefkastenfirmen verschleiern. Insgesamt geht es schätzungsweise um | |
etwa 200.000 Wohnungen. | |
Auf welcher rechtlichen Grundlage soll das passieren? | |
Die Initiative hinter dem Volksentscheid beruft sich auf das Grundgesetz. | |
Dort heißt es in Artikel 15: „Grund und Boden, Naturschätze und | |
Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein | |
Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder | |
in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden.“ Anders als manche | |
glauben, ist Kapitalismus nämlich nicht im Grundgesetz verankert. Im | |
Gegenteil: Der Schutz des Privateigentums und die Möglichkeit einer | |
Gemeinwirtschaft werden gleichermaßen festgeschrieben, die | |
Wirtschaftsordnung damit ausdrücklich offengelassen. | |
Ist das denn juristisch wirklich wasserdicht? | |
Das ist aus einem einfachen Grund nicht ganz klar: Bisher wurde noch nie | |
nach Artikel 15 des Grundgesetzes vergesellschaftet. Auch die Initiative | |
weiß, dass sie juristisch Neuland betritt. Allerdings will sie auch keinen | |
genauen Gesetzestext zur Abstimmung vorlegen, sondern den Senat per | |
Volksentscheid dazu zwingen, einen solchen zu erarbeiten. | |
Aber die Eigentümer müssen doch entschädigt werden? | |
Ja. Die Frage ist allerdings, in welcher Höhe. In Artikel 14 des | |
Grundgesetzes, der die Entschädigung im Falle einer Enteignung regelt, | |
steht dazu: „Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen | |
der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen.“ Dass die Entschädigung | |
zum Marktwert stattfinden muss, ist nicht vorgegeben. Die Initiative geht | |
davon aus, dass die Entschädigungssumme deutlich darunter liegen könnte. | |
Die Frage ist außerdem, wie der Wert einer Immobilie überhaupt berechnet | |
wird: Um ein möglichst positives Signal an die Aktionäre zu senden, | |
bewerten private Konzerne ihre Immobilien oft deutlich höher, als es etwa | |
die landeseigenen Baugesellschaften mit ihren Häusern tun. | |
Wird das nicht trotzdem viel zu teuer? | |
Die Kostenschätzung des Senats läuft derzeit noch. Die Initiative schätzt, | |
dass sich die Entschädigungen insgesamt auf etwa 8 bis 14 Milliarden Euro | |
belaufen würden. Das ist viel Geld, allerdings müsste das Land Berlin | |
davon nur einen Teil als Eigenkapital aufbringen, der Rest könnte aus | |
Krediten kommen, die dann über die Mieteinnahmen nach und nach getilgt | |
werden. Sind sie abbezahlt, würde das Land mit den Wohnungen Geld | |
verdienen, das gemeinwohlorientiert reinvestiert werden könnte. Und: | |
Stattdessen die rund 65.000 Wohnungen der ehemaligen GSW von der Deutschen | |
Wohnen zurückzukaufen, wie es der Regierende Bürgermeister Michael Müller | |
vorgeschlagen hat, würde mindestens 7 Milliarden Euro kosten. In diesem | |
Fall müsste das Land auf jeden Fall den von der Deutschen Wohnen | |
geforderten Marktpreis zahlen. | |
Wäre es das erste Mal in jüngerer Zeit, dass in Berlin enteignet wird? | |
Nein. Es gibt regelmäßig Enteignungen, in den letzten sieben Jahren mehr | |
als 100 Mal. Allerdings handelt es sich dabei durchweg um einzelne | |
Grundstücke oder Häuser, die öffentlichen Bauvorhaben weichen mussten. Auch | |
Enteignungen bei spekulativem Leerstand werden erwogen. Diese Art von | |
Enteignung „zum Wohle der Allgemeinheit“ wird in Artikel 14 des | |
Grundgesetzes geregelt und darf nach gültiger Rechtsprechung nur als Ultima | |
Ratio eingesetzt werden, wenn alle anderen Möglichkeiten zur Lösung des | |
Konflikts nicht greifen. Für Enteignungen nach Artikel 15, wie sie bei | |
diesem Volksentscheid angestrebt werden, gilt diese Ultima-Ratio-Vorgabe, | |
zumindest rein juristisch betrachtet, allerdings nicht. | |
Ist die Berliner Verwaltung überhaupt dafür ausgestattet, diese | |
Enteignungen durchzuführen? | |
Wie das alles genau praktisch ablaufen würde, ist noch nicht klar. | |
Allerdings: Eine Berliner Enteignungsbehörde, angesiedelt bei der | |
Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, die gibt es schon mal. | |
Wie weit ist das Volksbegehren denn schon? | |
Ende Februar will die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung ihre | |
Kostenschätzung vorlegen, diese muss dann noch durch die Innenverwaltung. | |
Danach kann die erste Stufe des Volksbegehrens beginnen: Ab April will die | |
Initiative die dafür nötigen 20.000 Unterschriften sammeln, bis zu den | |
Sommerferien soll diese erste Hürde genommen sein. Einen favorisierten | |
Termin für den eigentlichen Volksentscheid gibt es vonseiten der Initiative | |
nicht. Den an eine Wahl zu koppeln, um genug Menschen an die Urnen zu | |
kriegen, wie oft bei Volksentscheiden üblich, sei bei diesem Thema auch | |
nicht unbedingt nötig, so die Argumentation. | |
31 Jan 2019 | |
## AUTOREN | |
Malene Gürgen | |
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