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# taz.de -- Kommentar Wohnungspolitik: Ein Strauß Nebelkerzen
> Rekommunalisierung, Mietendeckel, die Enteignung von Immobilienkonzernen:
> Es gibt viele Pläne gegen die Wohnungsnot. Aber was bringen sie?
Bild: Was fehlt, sind neue Wohnungen. Die entstehen aber nicht durch Enteignung
Wer hätte das gedacht? Knapp dreißig Jahre nach der Auflösung der DDR wird
in Deutschland wieder über Verstaatlichung, Wohnraumzwangsbewirtschaftung
und sogar Enteignungen diskutiert. Und das nicht nur in Kreisen
unverbesserlicher Sozialismus-Nostalgiker, sondern in der Mitte der
Gesellschaft.
Wohnungsmangel und explodierende Mieten sind vor allem in Großstädten und
Ballungsräumen zu einer existenziellen Bedrohung nicht nur für „soziale
Randgruppen“, sondern auch für Normalverdiener und Familien geworden. Auf
dem deutschen Wohnungsmarkt haben sich börsennotierte Konzerne und
internationale Fondsgesellschaften fest etabliert, während der öffentliche
Sektor systematisch privatisiert, der soziale Wohnungsbau weitgehend
eingestellt und der gemeinnützige Wohnungsbau abgeschafft wurden.
Flankiert wurde dies in mehreren Wellen von Bundesgesetzen und
höchstrichterlichen Urteilen, die den profitorientierten
Immobilienbesitzern immer neue Spielräume eröffneten, sei es für
preistreibende Modernisierungen oder für erleichterte
Eigenbedarfskündigungen.
Dazu kommt der Mangel: In Deutschland fehlen derzeit rund eine Million
Wohnungen. Zwar wird nach fast zwei Jahrzehnten des Stillstands wieder
verstärkt gebaut, aber kaum im besonders nachgefragten unteren und
mittleren Preissegment. Auf dem Immobilienmarkt herrscht
Goldgräberstimmung, binnen wenigen Jahren können Investoren mit
Grundstücken und Häusern in begehrten Lagen spekulative Gewinne von 100
Prozent und mehr erzielen.
## Aus SPD-Kreisen stammt die Idee eines „Mietendeckels“
Dass angesichts dieser Situation in besonders von Wohnungsnot geplagten
Metropolen wie Berlin über unkonventionelle Lösungen nachgedacht wird,
liegt nahe. Und so stößt eine von der Linkspartei und Teilen der Grünen
unterstützte Initiative zur Enteignung der [1][Deutsche Wohnen] und anderen
in Berlin aktiven, börsennotierten Immobilienkonzernen auf große Resonanz.
Sie strebt ein Volksbegehren an, das sich ausdrücklich auf den Artikel 15
des Grundgesetzes beruft, der Vergesellschaftung von Grund und Boden unter
bestimmten Bedingungen vorsieht.
Der SPD, die in Berlin mit Michael Müller den Regierenden Bürgermeister
stellt, geht das natürlich zu weit. Sie brachte daher den Rückkauf der 2004
von einer rot-roten Landesregierung privatisierten Bestände einer ehemals
kommunalen Gesellschaft, der GSW, ins Gespräch. Dabei geht es um rund
60.000 Wohnungen, die jetzt der Deutsche Wohnen gehören.
Ebenfalls aus SPD-Kreisen stammt die Idee, einen regionalen
„[2][Mietendeckel]“ für die Berliner Innenstadt einzuführen, der an den
früheren „Verordnungsmieten“ in Sanierungs- und Milieuschutzgebieten
anknüpft. Zwar hat das Oberverwaltungsgericht derartige Mietobergrenzen
2004 für rechtswidrig erklärt, doch nach Ansicht einiger Juristen ist durch
die Föderalismusreform im Jahr 2006 eine neue Rechtslage entstanden.
## Heilige Kühe der Marktwirtschaftsideologie
Auf dem Tisch liegt in Berlin derzeit also ein bunter Strauß staatlicher
Interventionen in den Wohnungsmarkt, von streng regulierten Mieten über
Rekommunalisierung in beträchtlichen Größenordnungen bis hin zur Enteignung
großer Immobilienkonzerne. Und längst stoßen diese Debatten auch in anderen
Bundesländern auf reges Interesse.
CDU, FDP, Wirtschafts- und Immobilienverbände reagieren darauf mit
Schnappatmung und Untergangszenarien. Das ist nicht sonderlich
bemerkenswert, schließlich geht es um heilige Kühe der
Marktwirtschaftsideologie. Bemerkenswert ist allerdings, dass diese Panik
diesmal kaum verfängt, da die Lage auf dem Wohnungsmarkt eben kein Problem
sozialer Randgruppen mehr ist.
Doch bei aller Begeisterung über die neuen Töne in der Auseinandersetzung
um die Wohnungsfrage sollte eines nicht vergessen werden: Weder durch die
Enteignung der Deutsche Wohnen noch durch den Aufkauf privater Bestände
würde auch nur eine einzige neue Wohnung entstehen.
Man kann durchaus zu der Einschätzung kommen, dass es sich – jedenfalls
teilweise – um Nebelkerzen handelt, mit denen vom eigenen Versagen bei der
Schaffung bezahlbaren Wohnraums abgelenkt werden soll. Erst am vergangenen
Donnerstag räumte Berlins Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Die
Linke) ein, dass das Land in dieser Legislaturperiode die Neubauziele der
kommunalen Gesellschaften deutlich verfehlen wird.
## Ein gewisses Misstrauen ist angebracht
Das ist die Crux. Mietenregulierung und Rekommunalisierung könnten zwar
Bestandsmieter besser vor Vertreibung schützen, was sicherlich ein
Fortschritt wäre. Der wachsenden Zahl von Wohnungssuchenden und bereits
Wohnungslosen nutzen sie aber wenig – weil es schlicht an Wohnungen fehlt.
Zudem wäre das Volksbegehren für die Enteignung der Konzerne – wenn es denn
überhaupt zugelassen wird – zwar ein gelungener propagandistischer Coup,
aber letztendlich ein wohnungspolitisches Luftschloss, da es selbst im
Erfolgsfall kaum in absehbarer Zeit umgesetzt werden könnte.
Dazu kommt, dass man mit den zu leistenden Entschädigungssummen – die Rede
ist derzeit von 8 bis 14 Milliarden Euro – ein nachhaltiges kommunales
Wohnungsbauprogramm in erheblichen Größenordnungen auf den Weg bringen
könnte.
Natürlich ist eine breite gesellschaftliche Debatte über notwendige
Regulierungen der Marktwirtschaft in Bereichen der sozialen Grundversorgung
zu begrüßen. Das Volksbegehren für die Enteignung der Deutsche Wohnen
leistet dazu sicherlich einen wichtigen Beitrag.
Ein gewisses Misstrauen ist allerdings angebracht, tummeln sich doch in
dieser Bewegung auch diejenigen, die in den vergangenen Jahren mit allen
Mitteln und teilweise erfolgreich für die Verhinderung großer und kleiner
Neubauprojekte gekämpft haben. Ob das die richtigen Partner im Kampf für
eine soziale Wohnungspolitik sind, ist zweifelhaft.
7 Feb 2019
## LINKS
[1] /Sparmassnahmen-zu-Lasten-der-Mieter/!5567521
[2] /Jurist-ueber-Mietendeckel-in-Berlin/!5565514
## AUTOREN
Rainer Balcerowiak
## TAGS
Mieten
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