# taz.de -- „Zero Waste“-Strategie des Berliner Senats: Die Welt ist im Eim… | |
> Workshops sollen SchülerInnen für Müllvermeidung sensibilisieren. Noch | |
> fällt in Berlin jedes Jahr knapp eine Million Tonnen Haushaltsmüll an. | |
Bild: Gar nicht gut: Schwarz bzw. Grau steht als Tonnenfarbe für ungetrennten … | |
„Wir wollen heute über Rohstoffe sprechen“, sagt Holger Voigt von | |
Germanwatch. „Was sind denn Rohstoffe?“ Die AchtklässlerInnen überlegen. | |
„Plastik?“, fragt einer. „Steine, Holz, Pflanzen“, zählt eine andere | |
zögerlich auf. „Essen“, meint ein dritter, und Voigt weiß, dass er noch m… | |
ein bisschen ausholen muss. | |
Unten auf dem Platz vor der Ellen-Key-SekAufklärungundarschule in | |
Friedrichshain hat er am Morgen eine Satellitenschüssel aufgebaut, von ihr | |
führen Kabel in den Unterrichtsraum im ersten Stock, wo er heute mit den | |
SchülerInnen auf die [1][Germanwatch-Rohstoffexpedition] geht. Man kann so | |
etwas mit einer Power-Point-Präsentation machen, aber Voigt hat mehr zu | |
bieten: eine Direktverbindung zum geostationären Satelliten Meteosat, der | |
mehrmals pro Stunde ein aktuelles Bild von großen Teilen der Erdoberfläche | |
liefert. | |
„Dieses Bild hat vor uns noch niemand gesehen“, kann Voigt also mit Fug und | |
Recht behaupten, als der Beamer es dann auf die Leinwand wirft. So richtig | |
vom Hocker reißt das die jungen Menschen noch nicht, da muss der gelernte | |
Biologe ein bisschen tricksen: Als es um Lithiumabbau in Bolivien geht, | |
fragt er erst mal, ob jemand den „See mit dem lustigen Namen“ kennt. „Nei… | |
Also, das ist der Ti-ti-ca-ca.“ Gelächter. | |
Am interessantesten ist aber offenbar immer noch das, was man anfassen | |
kann: der Brocken Lithium etwa, den Voigt herumreichen lässt. Dass ein | |
bisschen von diesem Stoff in den Akkus ihrer Smartphones steckt, stellt für | |
die SchülerInnen eine direkte Verbindung zum fernen Andenhochland her, wo | |
Bergbaukonzerne das Leichtmetall abbauen – und für bedrohliche | |
Wasserknappheit sorgen. Warum wir davon künftig noch viel mehr benötigen, | |
will Holger Voigt wissen. „Wegen Elektroautos?“, fragt einer vorsichtig. | |
„Genau!“ Der Junge macht grinsend das Victory-Zeichen: „Booom!“ | |
Im Folgenden geht es dank Meteosat nachAufklärung Peru, wo für die | |
Goldgewinnung ganze Berggipfel weggesprengt werden, und an den Tschadsee, | |
der durch die Klimaerwärmung rapide schrumpft. Die Jugendlichen sollen | |
verstehen, was ihr eigenes Konsumverhalten mit diesen globalen Phänomenen | |
zu tun hat – und dass es nicht nur für die Umwelt vorteilhaft ist, wenn man | |
Gebrauchsgegenstände repariert oder verleiht, anstatt sie immer gleich | |
wegzuwerfen. | |
Die „Rohstoffexpedition“ ist Teil eines Schulprojekts zum Thema „Zero | |
Waste“, das die Senatsumweltverwaltung im November gestartet hat. | |
Unterstützung bekommt sie dabei nicht nur von Germanwatch, sondern auch vom | |
Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. In insgesamt 60 Schulklassen | |
werden Experten wie Voigt und die Umweltwissenschaftlerin Anne Müller vom | |
Wuppertal Institut bis zum Frühjahr mit den Jugendlichen über | |
Ressourcenschutz, Recycling und Abfallvermeidung gesprochen haben. | |
Manchmal müssen sie da ganz weit vorne anfangen, aber nicht immer. Müller | |
bekommt es im Anschluss mit einer Gruppe von NeuntklässlerInnen zu tun, die | |
sich für das Thema interessieren und schon ein kritisches Bewusstsein | |
entwickelt haben. „Der Punkt ist doch, dass Cola in einer Flasche aus | |
buntem Recyclingplastik genauso schmecken würde wie in einer aus neuem, | |
farblosem Plastik“, sagt eine. „Aber dann würde der Hype um das Produkt | |
nicht mehr so funktionieren.“ Auch von Lebensmittelläden, die nur | |
Unverpacktes verkaufen, und anderen Initiativen zur Müllvermeidung haben | |
die meisten schon mal gehört. | |
## Lichtjahre von null Abfall entfernt | |
„Zero Waste“ – was unter diesem Label läuft, soll in erster Linie | |
Bewusstsein schaffen und zu einer Veränderung des Konsumverhaltens | |
animieren. Neben dem Schulprojekt hat die Umweltverwaltung auch die | |
I[2][nitiative „Re-Use Berlin“] ins Leben gerufen, in deren Rahmen | |
Gegenstände nachgenutzt oder für den weiteren Gebrauch aufbereitet werden. | |
Im November 2018 eröffnete Senatorin Regine Günther einen temporären | |
Pop-up-Store im CRCLR-Haus auf dem Gelände der ehemaligen Neuköllner | |
Schultheiss-Brauerei. Was dort an Kleinmöbeln, Haushaltsgeräten oder | |
anderem Second-Hand-Krimskrams erworben werden konnte, war in den Tagen | |
zuvor per Lastenrad eingesammelt worden. Der Erlös wurde anschließend in | |
Form von Prämien für einen Zero-Waste-Ideenwettbewerb ausgeschüttet. | |
Viel mehr als ein zärtliches Kratzen an der Oberfläche ist das alles | |
freilich nicht. Ganz real ist Berlin von „null Abfall“ Lichtjahre entfernt. | |
Insbesondere der Restmüll ist und bleibt ein Problem: Obwohl mit Papier-, | |
Glas-, Bio- und oranger Tonne das meiste, was wir wegwerfen, getrennt | |
gesammelt und – jedenfalls theoretisch – recycelt werden kann, landen in | |
den schwarzgrauen Restbehältern der BSR Jahr für Jahr rund 830.000 Tonnen | |
Müll-Mischmasch. Macht 230 Kilo pro Kopf, die zum größeren Teil direkt im | |
Müllheizkraftwerk Ruhleben oder aber nach einer Vorbehandlung im | |
brandenburgischen Jänschwalde verbrannt werden. | |
Das ist erst einmal weniger schlimm, als es sich anhört – schließlich | |
handelt es sich bei den Kraftwerken um moderne Anlagen, die mit den | |
sogenannten Siedlungsabfällen Strom und Wärme erzeugen. Weil aber Müll | |
Umwelt und Klima am wenigstens belastet, wenn er gar nicht erst anfällt, | |
und weil sich vermischte Abfälle am wenigsten effizient entsorgen lassen, | |
will die Senatsverwaltung die Restmüllmenge verkleinern. Laut dem noch in | |
der Abstimmung befindlichen Abfallwirtschaftskonzept 2020–2030 soll sie in | |
diesem Zeitraum mindestens um 10, bestenfalls um 20 Prozent sinken. | |
Aus Sicht des Bundes für Umwelt- und Naturschutz (BUND) ist das immer noch | |
viel zu wenig. Die Organisation weiß auch, wo es sich anzusetzen lohnt: „An | |
erster Stelle muss die Entfrachtung des Restmülls von organischen Abfällen | |
stehen“, sagt Tobias Quast, Fachreferent für Abfall- und Ressourcenpolitik | |
im Berliner Landesverband. Er zieht andere Großstädte zum Vergleich heran: | |
„In Berlin ergibt die Biomüllsammlung nur 20 Kilo pro Kopf und Jahr, in | |
Bremen sind es 41 Kilo.“ Analysen hätten ergeben, dass 44 Prozent des | |
Berliner Restmülls organische Abfälle seien. „Die gilt es rauszukriegen“, | |
so Quast. „Wir sollten keine feuchten Küchenabfälle verbrennen.“ | |
Viel sinnvoller sei es, wenn die BSR eine zweite Vergärungsanlage bauen | |
würde, um aus Küchenabfällen oder Schnittblumen Biogas zu gewinnen. Eine | |
solche Anlage steht schon in Ruhleben und beliefert 150 gasbetriebene | |
Müll-Laster mit Treibstoff. Mehr Bio-Nachschub wird wohl ab 1. April | |
kommen, wenn die Stadtreinigung den Beschluss von Rot-Rot-Grün umsetzt und | |
alle Haushalte stadtweit mit Biotonnen ausstattet – nicht nur im | |
verdichteten Innenstadtbereich wie jetzt. Nur wer nachweislich im eigenen | |
Garten kompostiert, darf dann auf die braune Tonne verzichten. Deren | |
Abholung kostet zwar nur ein Drittel der Restmüllgebühren, für den BUND | |
würde aber erst eine kostenlose Biotonne den optimalen Effekt erzielen. | |
„Wir kämpfen dafür, dass das ins Abfallwirtschaftskonzept aufgenommen | |
wird“, sagt Tobias Quast. | |
In Sachen Bewusstseinsbildung findet der Experte, Aufklärung sei wichtig – | |
es müsse aber mehr davon geben. „Heute erreichen wir noch viel zu wenige | |
Menschen. Die Leute müssen wissen, was Mülltrennung bringt.“ Infos für alle | |
Haushalte, auch gezielte Abfallberatung, wie sie der BUND seit Langem | |
anbiete, gehörten dazu. Eine Zero-Waste-Kampagne wie „Better World Cup“, | |
mit der die Umweltverwaltung dazu animieren will, auf To-go-Becher zu | |
verzichten und stattdessen eigene Behälter füllen zu lassen, hält Quast für | |
richtig, weil das Thema einen starken Alltagsbezug habe. Den materiellen | |
Beitrag zur Müllreduktion – der auch von der BSR nicht beziffert werden | |
kann – schätzt er dagegen als „überschaubar“ ein. Der BUND fordert dage… | |
den Preis-Hebel anzusetzen: eine Abgabe pro Wegwerfbecher. | |
## Abfall-Laisser-faire an Schulen | |
In der Ellen-Key-Schule drehen derweil die NeuntklässlerInnen mit Anne | |
Müller noch eine Runde durch das Schulgebäude, um nachzusehen, wo | |
überflüssiger Müll entsteht (Kopierraum!) oder vorhandener nicht getrennt | |
gesammelt wird (praktisch alle Klassenzimmer). Laut Schulleiter | |
Jörg-Michael Rietz, der sich auch für das Projekt interessiert, ist die | |
Lage komplexer, als es scheint: „Ich sehe in Sachen Ökologie überhaupt kein | |
Problem vonseiten der Schüler, des Kollegiums und der Elternschaft. Aber | |
Maßnahmen müssen auch vom Bezirksamt unterstützt werden.“ Dieses zeige sich | |
schon jetzt bei der Schulreinigung wenig spendabel, und die Einführung | |
einer Getrenntsammlung sei ja mit Investitionen verbunden. | |
Auf Nachfrage teilt die Senatsumweltverwaltung mit: Bei den bereits | |
durchgeführten Zero-Waste-Workshops habe sich ergeben, dass es an vielen | |
der teilnehmenden Schulen keine vollständige Getrenntsammlung von | |
Wertstoffen gibt. Dabei schreiben das Kreislaufwirtschaftsgesetz sowie das | |
Berliner Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz ganz klar vor, Wertstoffe | |
dort, wo sie anfallen, sortenrein getrennt zu erfassen. Ihrer | |
Vorbildfunktion werden die Schulen mit dem Abfall-Laisser-faire schon gar | |
nicht gerecht. | |
Thomas Schwilling, Recyclingexperte der Senatsverwaltung, verspricht, sein | |
Haus werde gemeinsam mit den Bezirksschulämtern dafür sorgen, dass in allen | |
Schulen Getrenntsammelsysteme aufgestellt werden. „So kann die immer noch | |
viel zu hohe Restmüllmenge drastisch gesenkt werden.“ Unterm Strich bedeute | |
das auch einen Rückgang der Entsorgungskosten. „Eine Win-win-Situation für | |
die Schulen und für das Land Berlin“ so Schwilling. | |
Bei der landeseigenen Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM), die rund | |
100 der insgesamt 750 Schulen in Berlin betreut, ist die Senatsverwaltung | |
sogar schon einen Schritt weiter: Sie hat von der BIM die Zusage erhalten, | |
zeitnah eine Getrenntsammlung umzusetzen. Und die 65 neuen Schulen, die im | |
Rahmen der „Schulbauoffensive“ geplant sind oder bereits gebaut werden, | |
sollen von vornherein mit solchen Systemen ausgestattet werden. | |
Aber es gibt noch mehr Fallstricke bei der Umsetzung von „Zero Waste“ an | |
der Ellen-Key-Schule, die damit stellvertretend für viele stehen dürfte. | |
Der Müll-Teufel liegt im Detail: In der Schulmensa entsteht derzeit viel zu | |
viel Müll, weiß Schulleiter Rietz: „Zu unserem Leidwesen verkauft der | |
Caterer Wegwerf-Trinkpäckchen. Ursprünglich hat er sie zumindest gegen | |
Pfand ausgegeben, aber dann haben die Schüler gemerkt, dass sie die | |
Päckchen außerhalb kaufen und hier zurückgeben können. Da wurde das wieder | |
gecancelt.“ | |
18 Jan 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://germanwatch.org/de/8544 | |
[2] https://www.berlin.de/senuvk/umwelt/abfall/re-use/ | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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