Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Digitale Gesundheitsakte: Ein Code, ein Klick, ein Körper
> In Deutschland umstritten, in Australien längst Realität: der Zugriff von
> Ärzt*innen auf Patientendaten. Dorothee Bär von der CSU mahnt Eile an.
Bild: Zugriff immer und überall: alle Gesundheitsdaten auf dem Smartphone
Berlin taz | Als Grit Dielmann kürzlich wegen eines Hautausschlags zum Arzt
musste, ging alles schnell und leicht: Kurz warten, rein ins Sprechzimmer,
Untersuchung, Rezept, fertig. Die Lehrerin lebt mit ihrem Mann und zwei
Kindern in Melbourne, Australien. Die deutsche Familie, die über eine
permanente Aufenthaltsgenehmigung verfügt, ist wie Australier*innen über
die staatliche Gesundheitsversorgung medicare krankenversichert.
Damit erhält jedes Familienmitglied eine Krankenkassenkarte – so wie in
Deutschland auch. Nur mit einem Unterschied: Die Australier*innen verfügen
seit 2012 über eine elektronische Gesundheitsakte. Darin sind sämtliche
Gesundheitsdaten der jeweiligen Person verzeichnet: letzte Krankheiten,
Allergien, Medikamente, Operationen. Bei jedem Arztbesuch sind die
sämtliche Gesundheitsdaten von den Mediziner*innen einsehbar.
Was bei Datenschützer*innen in Deutschland einen Aufschrei produziert, hat
Dielmann genutzt. Die Ärztin konnte die Blutwerte, die sie ihrer Patientin
am Tag der Visite abnahm, mit früheren Blutwerten eines anderen Arztes
vergleichen – und sofort das entsprechende Medikament verschreiben. Ein
Verfahren, das in Deutschland nicht so leicht möglich ist, hier müssen
Untersuchungsergebnisse anderer Mediziner*innen schriftlich angefordert
werden, selten werden solch sensible Daten telefonisch weitergegeben, auch
wenn es zeitlich notwendig wäre. Häufig werden deshalb Untersuchungen
mehrfach gemacht, um die nötigen medizinischen Erkenntnisse zu bekommen.
Das dauert, ist teuer und mitunter unnötig.
„Mir hat die Datentransparenz geholfen“, sagt Dielmann: „So konnte die
Ärztin unkompliziert erkennen, was mit mir los ist und direkt reagieren.“
Keine Experimente mit Medikamenten, so wie das in Deutschland mitunter
passiert. Da sagen Ärzt*innen schon mal: Probieren wir dieses Mittel mal
aus, vielleicht hilft das ja.
Grit Dielmann hat kein Problem damit, dass wildfremde Menschen mit einem
Blick in ihre elektronische Gesundheitsakte sehen können, was mit ihrem
Körper los ist. „Ich fühle mich nicht gläsern“, sagt sie. Wichtiger sei
ihr, dass ihr unkompliziert und rasch geholfen werde.
Die elektronische Gesundheitsakte in Australien ist freiwillig. Wer sie
nutzen will, kann das tun, muss es aber nicht. Ohnehin entscheiden
Inhaber*innen der elektronischen Patient*innenakte mit eigenen
Zugangscodes, welche Daten Mediziner*innen und Krankenhäuser sehen dürfen.
## Digi-Doro: Datenschutz ist doof
In Deutschland ist die digitale Krankenakte seit Jahren im Gespräch, aber
heftig umstritten. 2003 wurde sie angekündigt, 2006 sollte sie kommen,
heute ist sie immer noch nicht da. Mittlerweile wurden die technischen
Anforderungen nach Angaben der Telekom-Tochter T-Systems etwa 150 Mal
verändert, knapp zwei Milliarden Euro hat die Bundesregierung bereits in
diese Form der medizinischen Digitalisierung investiert.
CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn [1][scheint bei der Umsetzung
unentschlossen zu sein], mal distanzierte er sich davon, dann wieder
betonte er, die Milliardeninvestionen seien „nicht umsonst“ gewesen.
Jetzt verkündete Dorothee Bär, CSU-Politikerin und Staatsministerin für
Digitalisierung im Kanzleramt, die „elektronische Patientenakte wird noch
in dieser Legislaturperiode in den Regelbetrieb gehen, also bis spätestens
Ende 2021“. In der Zeitung Die Welt sprach sie sich [2][für einen lockeren
Umgang mit dem Datenschutz aus]: „Wir haben in Deutschland mit die
strengsten Datenschutzgesetze weltweit und die höchsten Anforderungen an
den Schutz der Privatsphäre. Das blockiert viele Entwicklungen im
Gesundheitswesen, deshalb müssen wir da auch an der einen oder anderen
Stelle abrüsten, einige Regeln streichen und andere lockern.“
In der Ärzteschaft ist der digitale Zugang zu Patient*innendaten
umstritten. Während viele Mediziner*innen die digitale Variante bevorzugen,
warnen Datenschützer*innen vor dem Zugriff Fremder auf diese höchst
sensiblen Daten. Der Verband der Ersatzkassen (VDEK) mahnt einen strengen
Datenschutz an: „Höchste Priorität müssen immer der Schutz und die
Sicherheit der Gesundheitsdaten haben“, sagte Sprecherin Michaela Gottfried
der taz. Sie betonte, dass Sicherheitskonzepte mit dem Bundesamt für
Sicherheit in der Informationstechnik „kontinuierlich weiterentwickelt“
werden und auf diese Weise „ein sicheres Netz“ entstehe. Grundsätzlich
begrüßt der VDEK jedoch die elektronische Patientenakte und elektronische
Medikationspläne, weil sie „nutzbringend“ seien. Gottfried sagt: „Sie
sollten zügig eingeführt werden.“
Für Grit Dielmann in Australien ist die deutsche Debatte sehr weit weg –
und das nicht vorrangig wegen der Entfernung. Hauptsache sei doch, sagt die
Deutsche, dass Menschen leicht und schnell geholfen werde. Australien plant
unterdessen schon den nächsten Schritt: die elektronische Patient*innenakte
als Pflicht für jede und jeden. Nach dem Prinzip: Wer nicht ausdrücklich
widerspricht, ist automatisch dabei.
3 Jan 2019
## LINKS
[1] /Elektronische-Gesundheitskarte-am-Ende/!5504811
[2] /Dorothee-Baer-geht-Datenschutz-an/!5555284
## AUTOREN
Simone Schmollack
## TAGS
Datenschutz
Australien
Gesundheit
Digitalisierung
Dorothee Bär
Digitale Patientenakte
Strukturwandel
Datenschutz
Datenschutz
Datenschutz
Digitalisierung
## ARTIKEL ZUM THEMA
Digitalisierung im Gesundheitswesen: Die Daten lassen sich missbrauchen
Die elektronische Patientenakte ist wie ein alter Schokohase: gut gemeint,
aber nicht undingt zuträglich für die Gesundheit.
Folgen der Digitalisierung: Roboter sind nicht kreativ
Digitalisierung und Robotik können den Menschen wieder in den Mittelpunkt
rücken. Die neue Arbeit wird Beziehungsarbeit sein.
Dorothee Bär geht Datenschutz an: Klotz am Bein
Die Bundesbeauftragte für Digitales findet Datenschutz hinderlich für das
Gesundheitswesen. Das zuständige Ressort ist anderer Ansicht.
Digitalisierung im Gesundheitswesen: Bär will Abstriche beim Datenschutz
Die Deutschen seien „zu zögerlich“, sagt Staatsministerin Dorothee Bär. S…
fordert eine Datenschutz-Lockerung zum Zweck der Digitalisierung im
Gesundheitswesen.
Kommentar Datenschutz in Deutschland: Zu Unrecht gelobt
Anstatt sich vehement für einen stärkeren Datenschutz einzusetzen, trödelt
Deutschland absichtlich. Denn: Wir wollen uns den guten Ruf ruinieren.
Digitalisierung von Politik: Vom Start-up zum Staat-up
Steuererklärung, Krebsvorsorge, Bankgeschäfte: In Estland geht das mit
einer ID. Deutschland findet das vorbildlich. Wohin führt das?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.