# taz.de -- Getränkeerfinder über Heilkunde: „Wo ist das Fachwissen hin?“ | |
> Kevin Singh Witzorek hat in Hamburg ein Unternehmen für | |
> Gesundheitsgetränke gegründet. Ein Gespräch über Ausbeutung in der | |
> Branche und Alternativmedizin. | |
Bild: Schätzt warmes Kräuter-Frühstück und Gewürztee: Kevin Singh Witzorek | |
taz: Als wir uns das letzte Mal trafen, priesen Sie an einem Stand in einem | |
Hamburger Biomarkt ihre Gesundheitsgetränke an. Da waren Sie voll im | |
Verkaufsmodus, oder? | |
Kevin Singh Witzorek: Wenn ich im Supermarkt stehe, möchte ich nicht nur | |
etwas verkaufen, sondern dass die Leute sich umsorgt fühlen. Herzblut | |
weitergeben. Von meinem Papa habe ich gelernt: Was du machst, mach es ganz | |
oder gar nicht. | |
Sie haben die Wellness-Drink-Marke Jamu gegründet. Wofür steht das Wort? | |
Jamu ist keine Marke. Wörtlich übersetzt bedeutet es: heilende Kräuter. Es | |
ist die indonesische Alternativmedizin, gleichzusetzen mit dem indischen | |
Ayurveda oder der traditionellen chinesischen Medizin. In Indonesien laufen | |
Frauen mit Tinkturen und Gebräu von Dorf zu Dorf und vermengen sie für | |
jeden Kunden. Kurkuma, Ingwer, Ginseng und Co. sind gut für uns, das ist | |
mittlerweile auch im Westen angekommen. | |
Wurde Ihnen das Ganz-oder-gar-nicht-Ethos Ihres Vaters schon als Kind | |
eingeimpft? | |
Wir haben damals vegetarisch gelebt, dennoch hat mich mein Vater manchmal | |
gefragt: Kevin, möchtest du jeden Tag ein Ei essen oder möchtest du ein | |
Huhn schlachten? Ein weiterer Satz, den ich öfter hörte: Keiner hat gesagt, | |
dass es einfach wird. Schwere Geburten ergeben starke Kinder. | |
Das ist eine Binsenweisheit. | |
Nun, auf mich trifft sie zu. Ich war ein absolutes Frühchen, wurde im | |
sechsten Monat geboren und lag lange im Brutkasten. | |
Wie ist die Geschichte Ihres Vaters? | |
Mein Vater kam aus einer militärisch geprägten Familie, er hatte zwölf | |
Geschwister. 1970 kam er nach Hamburg und jobbte in der Gastronomie. Er | |
hatte das Kochen von seiner Mutter gelernt und beherrschte vedische | |
Rezepturen. Heute nennen wir das Superfood, für ihn war das Alltag. 1976 | |
rief er in Eppendorf das erste vegetarische Restaurant Hamburgs ins Leben, | |
heute heißt es Tassajara. | |
Und ihre Mutter? | |
Sie kommt aus dem südlichen Polen. Als meine Mutter hierher kam, wurde ihr | |
„Wieczorek“ eingedeutscht. Das Polnische hat mich geprägt, ich habe es | |
sogar noch vor dem Deutschen gesprochen. Mein polnischer Großvater hat mich | |
sehr beeinflusst, er ist der Typ Mensch, der nie etwas wegwirft. Er | |
repariert und improvisiert lieber. Die Kinderstühle, die er vor 25 Jahren | |
für mich gebaut hat, sind bis heute im Restaurant im Einsatz. | |
Auf Ihrer Website heißt es, dass Sie mit „Naturmedizin, jeder Menge Yoga | |
und täglich einer Messerspitze Kurkuma“ aufwuchsen. | |
Ingwer, Kurkuma und Co. nutzt man in Indien jeden Tag. Und man macht jeden | |
Morgen seine Übungen, ob man das nun Yoga nennt oder nicht. In Deutschland | |
frühstückt man kalt – wir haben morgens warm mit Kräutern gekocht, dazu gab | |
es Gewürztee. Das ist ein anderer Start in den Tag, man könnte es achtsam | |
nennen. Es ist einfach: Das essen, was einem guttut, das tun, was einem | |
guttut. | |
Was gehört für Sie dazu? | |
Ich meditiere jeden Morgen. Es reicht, 15 Minuten auf einem Stuhl zu sitzen | |
und die Augen zu schließen. Man muss dafür keine Bücher lesen oder teure | |
Kurse besuchen. | |
Und die Naturmedizin? | |
Wer bei uns krank war, bekam eine Gewürzmilch. Die polnische Variante wurde | |
dagegen dominiert von vitaminreichen Beeren und roter Beete. Ich frage | |
mich, warum die jahrhundertealte Klosterheilkunde in Deutschland heute | |
wenig verbreitet ist. Wo ist dieses Fachwissen hin? | |
Treiben Sie diese Gedanken schon länger um? | |
Meine naturwissenschaftliche Ader ist sehr ausgeprägt. Ich war auf einem | |
katholischen Gymnasium, geleitet von Nonnen. Dort habe ich meine | |
Leidenschaft für Chemie ausleben können. Es ging schon etwas konservativer | |
zu. Jeden Tag vor dem Unterricht wurde gebetet, einmal die Woche ging es | |
zur Andacht in die Kapelle. | |
Lag Ihnen das? | |
Nun, ich habe dort eine tolle Allgemeinbildung bekommen, und ich gehe noch | |
heute gern in die Kirche. Das ist ein Raum, um in mich zu gehen und meine | |
Gedanken zu sammeln. Aber ich suche mir meine eigenen Tempel. Dasselbe | |
Gefühl habe ich, wenn ich mich auf eine bestimmte Bank an der Außenalster | |
setze. In der Schweiz genauso: Dort habe ich Berge und Seen auf mich wirken | |
lassen. | |
In der Schweiz haben Sie Hotellerie studiert. | |
Eigentlich sollte es Chemie sein. Meine Eltern haben mich vor dem Gewerbe | |
gewarnt, aber dann stellte sich bei mir auf dem Gymnasium eine Schweizer | |
Hotelfachschule vor. Ich habe drei Jahre im Oberwallis studiert. Wir waren | |
multikulturell, mit 80 Nationen auf einem Campus. | |
Was lernt man da? | |
Alles. Man lernt Polieren, Servieren, auch so Dinge wie Flambieren. Man | |
spült auch mal zwei Wochen lang Teller. Bei einem Praktikum in Zürich | |
mussten wir 1.000 Menschen mit zehn Leuten bedienen. Da habe ich zuweilen | |
20 bis 22 Stunden am Tag gearbeitet. Natürlich habe ich mich gefragt, was | |
ich da eigentlich mache. Aber so lernt man, nicht aufzugeben. | |
Was kam danach? | |
Ich bin mit 21 Jahren nach Dubai gegangen und habe gleich im Burj Khalifa | |
angefangen, dem höchsten Gebäude der Welt. Im höchsten Restaurant der Welt, | |
im 122. Stockwerk, habe ich eng mit einer Kielerin zusammengearbeitet. Dort | |
oben ein Erdbeben zu erleben, ist kein Spaß. Da schwankt das Gebäude schon | |
mal um acht Meter. | |
Dubai, das sei eine Shisha Bar mit angeschlossenem Flugplatz, schrieb der | |
Autor Micky Beisenherz. Wie ging es Ihnen dort? | |
Wir sitzen jetzt in einem 400 Jahre alten Gebäude in der Hamburger | |
Deichstraße. Das macht mich glücklich. Prunkhotels, die über Nacht | |
hochgezogen werden, haben so rein gar nichts mit Nachhaltigkeit zu tun. Wer | |
konsumorientiert ist, wer Luxus mag, der fühlt sich in Dubai vielleicht | |
wohl. Das Verhalten vieler Bessergestellter driftet da schon in den Bereich | |
der Völlerei. Aber ich wollte dort lernen. Und so ergab sich die | |
Möglichkeit, in einem Resort-Hotel anzufangen, wo ich für drei Restaurants | |
und 45 Mitarbeiter zuständig war. | |
Sie standen sicher unter enormem Leistungsdruck. | |
Den Druck kannte ich schon aus der Schweiz. Aber: Die Hotellerie ist nicht | |
die humanste Branche. Dort herrschen militärische Strukturen, was ein paar | |
Vorteile hat, aber vor allem Nachteile. Irgendwann fängt man an zu denken. | |
Dubai ist, energetisch gesehen, ein ambivalenter Ort, der zum Teil auf | |
moderner Sklaverei basiert. Es ist nicht in Ordnung, dass Menschen dort für | |
180 Euro im Monat schuften und zu zwölft in einem Zimmer schlafen, umgeben | |
von Bettwanzen. Die Leute dort, aus Nepal, Indien und von den Philippinen, | |
haben mich geprägt. Die waren mir in vielen Bereichen überlegen und wurden | |
ausgenutzt. | |
Fühlten Sie sich auch ausgenutzt? | |
Als Europäer hatte ich eine andere Position. Ich habe meinen Mund | |
aufgemacht und musste mich schließlich umorientieren. Ich habe bei der | |
größten arabischen Hotelkette unter dem Vizepräsidenten gearbeitet. Aber | |
auch dort gab es Probleme. Wie kann ich als 24-Jähriger einen Menschen | |
entlassen, der seit 25 Jahren im Unternehmen ist? | |
Sie gingen also zurück nach Hamburg? | |
Genau. Mein Vater legte mir ein Jahr lang eine Kette ans Bein und ich | |
lernte in seinem Restaurant, wie man eine Küche führt. Wie kocht man | |
gesund? Wie geht man mit Kräutern und Gewürzen um? | |
Wie war es, ein Jahr so eng mit ihrem Vater zu arbeiten? | |
Mein Vater sieht nur das Positive. Er hat diese typische Gelassenheit, die | |
klischeehaft indischen Gurus zugeschrieben wird: Wenn er ein Problem nicht | |
lösen kann, macht er sich nicht weiter Gedanken darüber. Parallel dazu habe | |
ich schon unternehmerische Ideen gehabt. Ich hatte keine Investoren, und | |
musste sieben Banken abklappern, bis ich einen Kredit bekam. Wer investiert | |
heute noch in ein Getränkeunternehmen? | |
Haben Sie ganz alleine angefangen? | |
Ich habe mir Sales Coaches angehört, aber spätestens nach 20 Minuten konnte | |
ich nicht mehr zuhören. Dafür gab es Menschen, die mich bis heute | |
unterstützen, wie Uwe Lübbermann von Premium Cola. Er ist ein Mentor für | |
mich. Ich will hier nicht die soziale Nummer runterleiern, ich möchte das | |
leben. Wir sind ein Team von zwölf Leuten, und jeder darf sein Gehalt | |
selbst bestimmen. Ich selber zahle mir noch nichts aus. | |
Ihr Getränk hat seinen Preis: Die 0,3-Flasche kostet drei Euro. | |
In jeder Flasche stecken allein 75 Cent an Kräutern und Gewürzen. Wir | |
kaufen die Kräuter weltweit bei Kooperativen ein und verarbeiten sie in | |
Deutschland. Ich kenne den Ursprung und kaufe keine fertigen Extrakte. Das | |
ist keine Limonade, das ist das ganzheitliche Pendant. | |
Gesundheitsfördernde Getränke gibt es viele. | |
Klar, schon in den Neunzigern hat Volvic sein Wasser in PET-Flaschen mit | |
Erdbeeraroma versetzt und „Wellness-Drink“ genannt. Wir bedienen uns | |
jahrtausendealter Rezepte. Zusammen mit dem Arzt der indonesischen | |
Königsfamilie haben wir die Jamu-Rezeptur handschriftlich festgehalten und | |
nach Europa gebracht. Diese lässt sich jedoch nicht exakt umsetzen, weil | |
man beispielsweise eine Betelnuss bei uns nicht verarbeiten darf. Deshalb | |
verwenden wir nach Rücksprache mit Indonesien die Muskatnuss. | |
14 Jan 2019 | |
## AUTOREN | |
Jan Paersch | |
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