# taz.de -- Kommentar Ernährungsreport: Echter Genuss | |
> Essen ist vor allem eine Klassenfrage. Das heißt: Gesundes muss | |
> erschwinglich und süße, fette Snacks müssen teurer werden. | |
Bild: Ein Leben ohne Schokolade ist möglich – aber sinnlos | |
Mmmh, Currywurst. Trüffelschokolade, großartig. Erdnussbutter dick auf | |
Toast – was gibt es Besseres am Sonntagmorgen? Moment mal: Das ist doch | |
alles zu fett, zu salzig, zu süß. Das macht doch alles dick, schlechte | |
Blutwerte und Pickel! Stimmt leider. Aber Currywurst, Trüffelschokolade und | |
Erdnussbutter machen auch glücklich. Denn sie schmecken und geben einem ein | |
Gefühl von Wohligkeit und Zufriedenheit. Wer will das nicht? | |
Gesundheitsapostel zum Beispiel. Die begegnen einem ständig und nerven mit | |
Fragen wie: Du isst noch Fleisch? Puh, und dann noch Rind … Weißt du nicht, | |
dass rotes Fleisch Krebs verursacht? Am frühen Morgen schon Kuchen? Müsli | |
ist viel besser. Tiramisu, nee danke, zu viel sinnloses Fett. Ich nehm | |
lieber Orangensalat. | |
Die Ernährungs-Stasi lauert überall. Auch im Landwirtschaftsministerium, | |
das mit seinem am Mittwoch veröffentlichten Ernährungsreport indirekt an | |
die Menschen appelliert: Esst mehr Obst und Gemüse, vermeidet zu viel Fett | |
und Zucker. Passt auf beim Alkohol. | |
Das ist ja alles richtig. Und die meisten Menschen wissen das auch. 92 | |
Prozent der Menschen wollen laut diesem Ernährungsreport essen, was gesund | |
ist, 72 Prozent nehmen jeden Tag Obst und Gemüse zu sich. Nun gehört es zum | |
Selbstbild eines Ernährungs- und Landwirtschaftsministeriums, für gesunde | |
Lebensmittel zu werben und dafür Aufklärung zu betreiben. Hier widerspricht | |
sich Ministerin Julia Klöckner allerdings selbst. | |
## Union wehrt sich gegen Lebensmittelampeln | |
[1][Die Lebensmittelampel], die auf Verpackungen kennzeichnet, wie viel | |
Fett, Salz und Zucker in einem Produkt enthalten sind, findet die | |
CDU-Politikerin „verwirrend“. Vor Monaten noch wehrte sie sich gegen die | |
Kennzeichnung mit Rot für „Achtung, besser nicht kaufen“, Gelb für „Geht | |
schon mal“ und Grün für „Darf ohne schlechtes Gewissen in den | |
Einkaufskorb“. Die Koalition aus CDU, CSU und SPD hat zwar vereinbart, bis | |
zum Sommer eine Kennzeichnung zu erarbeiten. Doch vor allem die Union wehrt | |
sich strikt gegen die Ampel. | |
Allerdings ist leider unklar, welchen Nutzen sie bringen würde. In | |
Reha-Kliniken zum Beispiel sind Lebensmittelampeln mittlerweile üblich. | |
Aber was machen die Kranken, die nicht nur an der Hüfte, im Kopf oder am | |
Rücken gesunden, sondern vielfach auch abnehmen sollen? Greifen am | |
Frühstücksbuffet zur fetten, deutlich rot gekennzeichneten Leberwurst und | |
nicht zum Magerquark mit dem grünen Hinweis. Sie bestellen zum Mittag die | |
doppelte Portion Gulasch und schieben den Salat zur Seite. Man muss ja | |
schließlich satt werden. | |
Wer wirklich will, dass sich Erwachsene und Kinder besser ernähren, | |
[2][muss „schlechte“ Lebensmittel teurer machen] und vermeintlich gesunde | |
preislich so gestalten, dass sie sich beispielsweise auch | |
Hartz-IV-Empfänger*innen leisten können. Wer nur 5 Euro am Tag für | |
Lebensmittel zur Verfügung hat, kauft nicht im Bioladen Kräutertofu für | |
3,58 Euro, sondern greift bei Lidl zu 8 Wiener Würstchen für 1,29 Euro. Bei | |
Zeit Online hat im vergangenen Frühjahr ein Hartz-IV-Bezieher offenbart, | |
dass er durchaus mit 5 Euro am Tag auskommt – wenn er nur einmal am Tag | |
isst. | |
## Keine Frage von Lifestyle | |
Essen ist nicht nur eine Frage von Lifestyle und Genuss, sondern vor allem | |
eine Klassenfrage. Die Folgen von dauerhaft schlechter Ernährung sind | |
Menschen mitunter anzusehen: Übergewicht, schlechte Haut, fehlende Zähne. | |
Wem Mangelernährung infolge von zu wenig Geld ins Gesicht geschrieben | |
steht, hat es schwer, diesem Kreislauf zu entkommen. [3][Studien zufolge] | |
haben diejenigen bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt, die gesund, fröhlich | |
und schlank sind. | |
Was spricht dagegen, nicht nur Austern, Elchkäse und Champagner teuer zu | |
verkaufen, sondern auch Haselnussschokolade und Kartoffelchips – und sie | |
damit in den Stand echter Genussmittel zu erheben? So wie es fairerweise | |
sein müsste – und wie es früher durchaus üblich war. Wenn sich jede und | |
jeder „gute“ Lebensmittel leisten kann und durch sie gesund bleibt, kann | |
sich Ministerin Klöckner auch teure und bevormundende Ernährungskampagnen | |
sparen. | |
Denn machen wir uns nichts vor: Ein Leben ohne Schokolade und Schampus ist | |
möglich, aber sinnlos. | |
9 Jan 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Weniger-Zucker-Salz-und-Fett-im-Essen/!5560278 | |
[2] /Steuern-auf-Ungesundes/!5560281 | |
[3] https://www.watson.de/leben/feminismus/101727389-thinprivilege-so-viel-einf… | |
## AUTOREN | |
Simone Schmollack | |
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