| # taz.de -- taz-Serie Was macht eigentlich …? (Teil 5): Um jeden Cent gefeils… | |
| > In vielen Landesbetrieben werden, seit Rot-Rot-Grün regiert, Lohndumping | |
| > und Outsourcing zurückgedrängt. Das aber dauert vielen Beschäftigten zu | |
| > lange. | |
| Bild: Streikendes Pflegepersonal der Charité zieht vors Rote Rathaus (Archivbi… | |
| Warum Gewerkschafter nicht traurig sind, dass [1][Claus Peymann nicht mehr | |
| am Berliner Ensemble tätig ist], illustriert der inzwischen 81-jährige | |
| Ex-Intendant bei seinem aktuellen Abschied vom Wiener Burgtheater noch | |
| einmal recht anschaulich. Mangelnde Anarchie am Theater beklagt er da, zu | |
| wenig kreatives Chaos – und wird dann deutlich, worin sich das seiner | |
| Meinung nach begründet. Dass Samstag nicht mehr geprobt und die | |
| Arbeitszeiten der Schauspieler wie bei Beamten reglementiert würden, ist | |
| ihm ein Graus. | |
| Diese Haltung könnte erklären, dass erst seit seinem Abgang am BE darüber | |
| verhandelt werden kann, das Haus wenigstens in den Geltungsbereich des | |
| ohnehin recht mageren Bühnentarifvertrags zu überführen. Der zuständige | |
| Verdi-Fachbereichsleiter Andreas Köhn spricht nicht zufällig von einem | |
| „ambivalenten Verhältnis von Herrn Peymanns sozialkritischen Stücken auf | |
| der Bühne und der Lohnsklaverei hinter der Bühne“. | |
| Die Theater Berlins sind nur ein kleiner Mosaikstein in der Vielzahl von | |
| Tarifauseinandersetzungen und Arbeitskämpfen in Berliner Landesbetrieben. | |
| Deren Beschäftigungsstruktur ist seit dem „Arm, aber sexy“-Diktum des | |
| damaligen Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit weiter zersplittert | |
| worden. Sparzwänge beendeten Tarifbindungen, und Outsourcing verfestigte | |
| über viele Jahre ein Zweiklassensystem der Beschäftigung. | |
| Auch bessere Altverträge, deren Bedingungen für neu eingestellte | |
| MitarbeiterInnen bei gleicher Arbeit unerreichbar bleiben, sind eine | |
| häufige Erscheinung. Die verschiedenen Zuständigkeiten erschweren außerdem | |
| den Zugriff des Landes auf die fraglichen Unternehmensbereiche. Und Zugriff | |
| hätte das Land an einigen Stellen wohl schon ganz gerne, ist eine | |
| Bereinigung der schwierigen Situation schließlich erklärtes Ziel des | |
| derzeit regierenden Senats. | |
| ## Mannigfaltige Auseinandersetzungen | |
| Anders als beim [2][Mietenwahnsinn], wo das Land Berlin durch | |
| Vorkaufsrechte und Milieuschutz gewissermaßen gegen den Markt spielt, sind | |
| die Karten bei Tarifkonflikten dem Anschein nach zugunsten der | |
| rot-rot-grünen Koalition verteilt. Fachkräftemangel, Konjunktur und | |
| Mehreinnahmen bei der Steuer: Die Verhandlungsposition der Angestellten, | |
| als deren Anwalt sich R2G versteht, könnte kaum günstiger sein. Die | |
| Verbesserung von Arbeitsbedingungen und -vergütung ist dabei nicht einfach | |
| nur populär und sozial, sondern volkswirtschaftlich sinnvoll. Dennoch sind | |
| die Auseinandersetzungen, gerade in den Landesbetrieben, mannigfaltig. | |
| Am Versprechen aus dem Koalitionsvertrag, die Tarifflucht zum Beispiel | |
| durch Outsourcing zu beenden, müssen sich SPD, Linke und Grüne messen | |
| lassen – und zu messen gab es im vergangenen Jahr genug. Denn je | |
| großzügiger die Konkurrenz beim Kampf um Arbeitskräfte mit besonders | |
| gefragten Qualifikationen wird, umso härter wird in prekären und weniger | |
| qualifizierten Bereichen um jeden Cent gefeilscht. | |
| Erst im August stellte die Senatsverwaltung für Gesundheit einen Plan vor, | |
| nach dem für händeringend gesuchte AmtsärztInnen außertariflich | |
| Extrazahlungen möglich gewesen wären. Gleichzeitig kämpfen technische | |
| MitarbeiterInnen outgesourcter Klinikbereiche darum, überhaupt wieder in | |
| ein Tarifgefüge übernommen zu werden. | |
| Im Gesundheitswesen, aber auch an Hochschulen zeigt sich fortdauernd die | |
| ziemlich bewegliche Konfliktlinie auf dem Weg hin zu guter und gut | |
| bezahlter Arbeit in besonderer Deutlichkeit. Grund dafür ist nicht zuletzt | |
| die relative Autonomie der betroffenen Einrichtungen. Auch die schönsten | |
| politischen Absichten der Koalitionäre müssen die Geschäftsführungen von | |
| beispielsweise Klinikkonzernen und ihrer Tochterunternehmen zunächst nur | |
| wenig kümmern. Schließlich wurden gerade die vielen ausgelagerten Bereiche | |
| ja genau zum Zweck der Tarifumgehung konstruiert – nicht wenige davon vom | |
| rot-roten Senat, der nach der Jahrtausendwende die Scherben des großen | |
| Berliner Bankenskandals aufkehren durfte. | |
| ## Wieder ins normale Tarifgefüge | |
| So sind die Angestellten der [3][Vivantes] Service GmbH (VSG), in die | |
| damals Krankenhausdienstleistungen ausgelagert wurden, trotz 51 Tagen | |
| Streik in diesem Jahr der Wiedereingliederung in den Mutterbetrieb erst | |
| einen Teilschritt nähergekommen. Die Vereinbarung dort läuft 2021 aus. | |
| Schon 2019 geht es bei der [4][Charité und ihrer Lohndumping-Tochter CFM] | |
| weiter, deren Angestellte endlich wieder in das normale Tarifgefüge | |
| überführt werden sollen. Gleichzeitig kämpfen die TherapeutInnen darum, | |
| ihre untertarifliche Bezahlung in der Charité-Tochter CPPZ und bei Vivantes | |
| in der VTG zu beenden. | |
| Der Senat zieht inzwischen in Betracht, Mittelaufstockungen für die | |
| Krankenhäuser an ein Entgegenkommen der Arbeitgeberseite zu koppeln. | |
| Schließlich ist ein Teil der Erhöhung der Zuweisungen über die Jahre mit | |
| steigenden Lohnkosten begründet – nur müssen die auch bei den Beschäftigten | |
| ankommen. | |
| Ebenfalls jahrelang nicht durchgereicht wurden die Steigerungen an die | |
| studentischen Beschäftigten an den Berliner Hochschulen. Immerhin einigte | |
| man sich 2018 nach einjährigem Arbeitskampf auf einen neuen Tarifvertrag, | |
| aber der nächste Konflikt gefährdet gerade die Arbeitsfähigkeit der | |
| nichtwissenschaftlichen Bereiche der Universitäten und Fachhochschulen. | |
| ## Stellen laufen einfach aus | |
| Ein großer Teil der studentischen Beschäftigten arbeitet dort in | |
| nichtwissenschaftlichen Bereichen, Rechenzentren, Verwaltung, Bibliotheken | |
| und müsste nach dem regulären Tarifvertrag der Länder (TV-L) bezahlt | |
| werden. Dass sie auf dem billigeren Studi-Ticket beschäftigt sind, ist auch | |
| so eine Art informellen Outsourcings, dass die Hochschulen über Jahrzehnte | |
| betrieben haben, bis im Juni dieses Jahres das Landesarbeitsgericht die | |
| Rechtswidrigkeit der Praxis recht unmissverständlich feststellte. Statt nun | |
| entsprechend tariflich umzuwidmen, lässt man die Stellen einfach auslaufen. | |
| Verkürzte Bibliotheksöffnungszeiten sind die erste nach außen sichtbare | |
| Folge. So wird versucht, das Land zu einem gesetzlichen Blankoschein für | |
| untertarifliche Beschäftigung zu erpressen. Dass diese Methode vor | |
| Arbeitsgerichten wahrscheinlich keinen Bestand haben würde, ist den | |
| Hochschulen offenbar egal. Wie das Land hier zwischen Arbeitgebern auf der | |
| einen Seite, Gewerkschaften und Personalräten auf der anderen schlichten | |
| will, ohne den eigenen Koalitionsvertrag zu verletzen, wird spannend zu | |
| beobachten sein. | |
| „Ein Streik bei der BVG aber würde das alles wohl etwas überlagern, weil | |
| das natürlich am meisten schmerzt“, schätzt Susanne Stumpenhusen, | |
| Landeschefin der Gewerkschaft Verdi, mit Blick auf die möglichen | |
| Auswirkungen des größten anstehenden Konflikts im Jahr 2019 ein. Zum | |
| Jahreswechsel ist der Tarifvertrag Nahverkehr turnusgemäß gekündigt. Die | |
| Verhandlungsrunde beginnt Ende Januar. | |
| Angesichts der großen Personalnot bei der BVG dürfte sich die | |
| gewerkschaftliche Tarifkommission argumentativ schon gut aufmunitioniert | |
| haben und auf einen eher großen Wurf zielen. Wer weiß schon heute, wie sich | |
| die Konjunktur in zwei oder drei Jahren präsentiert? Ein besonders guter | |
| Abschluss 2019 ist da ein fast absoluter Imperativ. Zumal parallel | |
| bundesweit der TV-L neu ausgehandelt wird. Ein gewisser Leidensdruck auf | |
| Arbeitgeberseite mag da bereits eingepreist sein. | |
| Gerade für die weniger sichtbaren Arbeitsfelder wird es im kommenden Jahr | |
| sicher entscheidend sein, ob es den Gewerkschaften gelingt, eine gemeinsame | |
| solidarische Erzählung dieser Arbeitskämpfe zu finden. Die LehrerInnen an | |
| Musik- und Volkshochschulen zum Beispiel wären bereits froh, wenn auch nur | |
| ein Viertel des Personals überhaupt fest angestellt wäre. Für solche | |
| Anliegen jedoch bedarf es mehr als ein paar salbungsvolle Worte über „Gute | |
| Arbeit“. Ob Berlin wirklich sexy ist, kann kein Senat dekretieren, am | |
| Problem der Armut aber lässt sich arbeiten. | |
| 3 Jan 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.berliner-ensemble.de/ | |
| [2] /Kampf-um-Rueckkauf-der-Karl-Marx-Allee/!5555802 | |
| [3] https://www.vivantes.de/ | |
| [4] https://www.cfm-charite.de/home/ | |
| ## AUTOREN | |
| Daniél Kretschmar | |
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