# taz.de -- Nach der Veröffentlichung privater Daten: Die Spieler | |
> Hackerangriff, Datenklau, Doxing? Gesteuert aus einem Kinderzimmer in | |
> Hessen landen die Daten von mehr als tausend Menschen im Internet. | |
Bild: Von einem Kinderzimmer aus angegriffen: Plenum des Bundestags | |
Fleißig ist er, akribisch. Nacht für Nacht sitzt er vor dem Rechner im Haus | |
seiner Eltern. Und sammelt. Telefonnummern, Adressen, Bankdaten, | |
E-Mail-Konten. Manchmal auch das Ping-Pong-Spiel von Nachrichten, | |
veröffentlicht über WhatsApp. Ein kompliziertes Verfahren braucht er nicht. | |
Ganz im Gegenteil, [1][die Datensammelei ist ein Kinderspiel] – im wahrsten | |
Sinne des Wortes. | |
Die Rede ist von Johannes S., dem mutmaßlichen Verantwortlichen für einen | |
der größten Datenklau-Skandale der letzten Jahre. Monatelang recherchiert | |
er, bunkert Tausende Datensätze von über tausend Politiker*innen, | |
Künstler*innen, Journalist*innen. Zum Beispiel von Bundespräsident | |
Frank-Walter Steinmeier und Grünen-Chef Robert Habeck, den Moderatoren Jan | |
Böhmermann und Christian Ehring sowie von Rapper Materia und der Band | |
K.I.Z. | |
Er sammelt Kontaktdaten wie Handynummern und Adressen, Chats mit | |
Familienmitgliedern und Kreditkarteninformationen. Teilweise sind die | |
Dokumente mehrere Jahre alt. Sie alle werden [2][nach und nach | |
veröffentlicht]. Als Vorweihnachtsüberraschung in einem digitalen | |
Adventskalender. | |
Es ist ein Spiel. Ein Spiel, das Durchhaltevermögen braucht. Der Gewinner | |
wird mit „fame“ belohnt – wie es in der Szene heißt. Im aktuellen | |
Datenklau-Skandal ist es ein 20-jähriger junger Mann aus Homburg in Hessen. | |
Am vergangenen Sonntag war sich das Bundeskriminalamt absolut sicher, dass | |
er am groß angelegten Datenklau, der nur wenige Tage zuvor ans Licht kam, | |
maßgeblich beteiligt ist. | |
## Selbstdarstellung und „Kinderkacke“ | |
Zwar verschleierte der mutmaßliche Täter seine digitalen Spuren. Sein | |
Fehler: Er schwieg nicht über seine Taten. Freimütig chattete er unter dem | |
Namen God oder Orbit mit YouTubern und Bloggern. Er machte kein Geheimnis | |
daraus, wie leicht es für ihn war, über Menschen, „über die er sich | |
geärgert hat“, ein Datenprofil anzulegen und dieses dann im Netz für jeden | |
und jede zugänglich preiszugeben. | |
Was bewegt einen 20-jährigen Heranwachsenden aus einer hessischen | |
Kleinstadt zu solchen Straftaten, für die er mit mehreren Jahren Haft | |
bestraft werden kann? „Ein Hacker ist er nicht“, sagt padeluun. Und der | |
muss es wissen, schließlich ist er selber einer und setzt sich seit Jahren | |
für den Schutz persönlicher Daten im Netz ein. | |
„Und wenn er doch Seiten oder Profile gehackt hat, ist er allenfalls ein | |
Cracker. Einer, der Schaden verursacht hat.“ Das Verhalten des jungen | |
Mannes hält padeluun für typisch männlich, für eine reine Selbstdarstellung | |
und „Kinderkacke“. „Alles überall hinzukopieren ist kein guter Umgang mit | |
Netzen und Daten.“ | |
Der Netzaktivist unterscheidet zwischen mindestens zwei Szenen im digitalen | |
Raum. Da gibt es diejenigen, die auf der „guten Seite“ stehen, | |
Sicherheitslücken finden und schließen wollen. Und dann diejenigen, die | |
Zerstreuung und Unterhaltung im Netz suchen, stundenlang YouTube-Videos | |
schauen und machen, sich berieseln lassen und selbst für Berieselung | |
sorgen. Zur letzteren Gruppe zählt padeluun den 20-Jährigen Hessen. Daten | |
zu finden sei eine Frage guter Recherchearbeit, Zeit, guter Software und | |
Glück. | |
## „Wir sind gläsern im Netz“ | |
Auch padeluun ist vom aktuellen Datenklau betroffen. Auf einer Liste, die | |
über Indymedia veröffentlicht wurde, tauchen sowohl sein Name als auch die | |
Namen von Bekannten auf – obschon falsch geschrieben –, inklusive | |
kryptischer Adressinformationen. Rund 200 Namen erscheinen insgesamt auf | |
dem Datensatz. „Zwar kann ich diese Liste nicht wirklich ernst nehmen, aber | |
das Gefühl, dass wir darauf stehen, ist nicht gut“, sagt padeluun. | |
Dieses Gefühl beschleicht alle, deren persönliche Informationen plötzlich | |
auch dort erscheinen, wo sie eigentlich gar nicht hin sollen. „Wir sind | |
gläsern im Netz. Jeder muss aufpassen, dass alles, was man tut, auch im | |
digitalen Raum auftauchen kann und bleiben wird“, sagt Catarina Katzer. Die | |
Sozialpsychologin spricht gar von einer verschwindenden Grenze zwischen | |
Realität und Online-Welt. Das Gefühl, immer und überall Ziel einer | |
Überwachung, Ausspähung und Cyber-Attacke sein zu können, verstärkt sich. | |
Nicht nur über das Netz wird angegriffen, sondern schließlich auch im | |
echten Leben. | |
Das Doxing – also das Sammeln privater Daten im Netz – ist kein neues | |
Phänomen. „Seit Jahren werden etliche Privatleute Doxing-Opfer“, sagt | |
Catarina Katzer. Jetzt, da auch Politiker*innen, Künstler*innen und | |
Journalist*innen betroffen sind, wird öffentlich über das Problem | |
gesprochen. Ein Schritt, der längst überfällig ist, sagt Katzer. Sammeln, | |
das Ausspähen von Daten und dann deren Veröffentlichung trifft die Opfer | |
extrem hart. | |
Dass die Hackerszene gar nichts mit dem Fall zu tun hat, davon ist Katzer | |
nicht überzeugt. „Das Hacking ist ein Teil der Methode“, sagt die | |
Cyberpsychologin. Etwa die Benutzung von Malware und das Abfischen von | |
Informationen – über Konten bei E-Mail-Anbietern, soziale Netzwerke, | |
Cloudsysteme, Dropbox oder andere Anbieter. | |
## Eigene Grenzen austesten | |
Katzer unterscheidet zwischen drei Typen von Menschen, die das Internet für | |
ihre Interessen nutzen und fremde Daten veröffentlichen. Zum einen die | |
Aktivist*innen. Sie wehren sich gegen eine Haltung, gegen Unternehmen, | |
gegen Einzelpersonen, die aus ihrer Sicht heraus nicht auf der „richtigen“ | |
Seite sind. Hackergruppen wie Anonymous gehören dazu. Vor einigen Jahren | |
haben die Aktivist*innen Daten von Ku-Klux-Klan-Anhängern veröffentlicht. | |
Andere haben einen rein politischen Antrieb. Etwa wenn es darum geht, den | |
politischen Gegner mundtot zu machen, ihn zu diskreditieren und | |
einzuschüchtern. Die Angreifer kommen sowohl aus dem Aus- als auch dem | |
Inland und nutzen das Netz als politische Waffe. | |
Die dritte Gruppe ist eine, die am wenigsten zu greifen ist. In der Regel | |
sind es Einzeltäter. Was sie antreibt, ist ein rein persönliches Motiv. Es | |
geht um Machtgefühl, um Überlegenheit, um Rache, um die Stärkung des | |
Selbstwerts. Vielleicht auch um die Kompensation anderer Defizite: Im Netz | |
können sie zeigen, was sie drauf haben. Im realen Leben nicht unbedingt. | |
„Ich bin überlegen und kann Dinge, die andere nicht können – diese Haltung | |
liegt oft zugrunde“, sagt Katzer. Vermutlich hat der mutmaßliche Täter des | |
aktuellen Falls seine eigenen Grenzen austesten und beweisen wollen. Ein | |
20-Jähriger, der den Grünen-Vorsitzenden Robert Habeck dazu bringt, | |
Facebook und Twitter zu verlassen und eine ganze Republik aufpeitscht – das | |
ist ein Schub fürs Selbstwertgefühl eines Heranwachsenden. | |
„Wir handeln im digitalen Raum, aber wir trennen unsere Handlung vom | |
physischen Dasein“, sagt die Psychologin. Das heißt: Der Schüler saß in | |
seinem Kinderzimmer, hackte auf der Tastatur rum und war sich dessen, was | |
er tat, offenbar nicht bewusst. Das ist auch kein Wunder: Er sah weder die | |
Opfer im Einzelnen noch ihre Wut oder Ängste. Hinzu kommt, dass das Gefühl | |
für Werte, die die Privatsphäre der Menschen angehen, oft völlig | |
ausgeblendet wird, sagt Katzer. | |
## Bei der Justiz kein Unbekannter | |
Ob es nicht doch um politische Inhalte geht, ist bisher nicht klar. Dem | |
Spiegel zufolge hatte Johannes S. bereits rechtsextreme Inhalte im Netz | |
verbreitet und sich abfällig über den Islam oder Migrant*innen geäußert. | |
Aber: „Die Motivation des Tatverdächtigen und der Hintergrund der Taten ist | |
Gegenstand der aktuellen Ermittlungen“, teilte Oberstaatsanwalt Georg | |
Ungefuk auf taz-Anfrage mit. | |
Was nun klar ist: Der mutmaßliche Datendieb ist bei der Justiz kein | |
Unbekannter. Laut Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt liegen drei weitere | |
noch nicht abgeschlossene Ermittlungsverfahren vor. Wann die Ermittlungen | |
abgeschlossen sein werden, ist ungewiss. Berichte, dass der Beschuldigte | |
Informationen und Kontozugänge im Darknet gekauft hat, wurden jedoch nicht | |
bestätigt. | |
Johannes S., 20 Jahre, aus der hessischen Kleinstadt Homburg, hat die | |
Republik viele Tage in Atem gehalten. Die Hacker-Szene distanziert sich, | |
die Politik steht ratlos vor dem Ausmaß des Datenklaus. Was bleibt, ist die | |
Eigenverantwortung jeden einzelnen Nutzers und jeder einzelnen Nutzerin. | |
Passwörter regelmäßig ändern, Sicherheitseinstellungen verschärfen, | |
Virenschutz aktivieren – das sind [3][einfache und schnelle Maßnahmen]. | |
„Wir brauchen auch neue Richtlinien über die Nutzung von Apps oder die | |
Zugänge zum Darknet“, sagt Katzer. Es gibt keinen TÜV für Apps, für | |
Sicherheitsstandards oder den Schutz der Privatsphäre bei ihrer Nutzung. | |
Ebenfalls helfen könnte eine Begrenzung der Mitgliederzahlen bei | |
E-Mail-Anbietern. Sprich: Wenn sich eine bestimmte Anzahl an Menschen ein | |
E-Mail-Konto bei Googlemail oder GMX eingerichtet haben, kommt kein anderer | |
mehr rein. Je kleiner der Kreis, desto sicherer die Daten. | |
12 Jan 2019 | |
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## AUTOREN | |
Tanja Tricarico | |
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