# taz.de -- Kolumne Macht: Sehnsucht nach Ordnung | |
> Kaum jemand interessiert sich für Ägypten. Die westliche Welt scheint | |
> sich darauf verständigt zu haben, dass der Araber nicht reif ist für die | |
> Demokratie. | |
Bild: Ägypten-Klischees gibt es wie Sand vor Pyramiden | |
Klare, eindeutige Nachrichten sind etwas Schönes. Da ist die Welt geordnet, | |
und die Öffentlichkeit weiß, woran sie ist. Wie so etwas geht, zeigt „Welt�… | |
vormals N24, ein Fernsehkanal für Nachrichten und Zeitgeschehen aus dem | |
Hause Springer. „40 Terroristen getötet“, meldet der Sender. Kein | |
verschämtes „mutmaßlich“ oder gar „angeblich“ verstellt den Blick, es | |
wurden auch keine „Verdächtigen“ erschossen, und ganz gewiss wurde kein | |
„Massaker“ an Unbeteiligten verübt. Nein, es wurden Terroristen von | |
Sicherheitskräften getötet, 40 auf einen Streich. Eine gute Nachricht. | |
Die taz ist leider nicht besser als „Welt“. Auch bei uns findet sich die | |
Überschrift: „Polizei tötet viele Islamisten“. Woher glauben wir das zu | |
wissen? | |
Ort des Geschehens waren die Stadt Gizeh unweit von Kairo und der Norden | |
der Sinai-Halbinsel. Einen Tag nach dem Anschlag auf einen Touristenbus in | |
der Nähe der Pyramiden, bei dem es mehrere Todesopfer gab. Nun ist es gut | |
möglich, dass die angeblichen Terroristen tatsächlich Gewalttaten geplant | |
hatten. Dass es in Ägypten islamistische Untergrundkämpfer gibt, die viele | |
Menschen auf dem Gewissen haben, steht außer Frage. Außer Frage steht aber | |
eben auch, dass die Menschenrechtsbilanz des ägyptischen Regimes verheerend | |
ist. | |
Willkürliche Verhaftungen, Massenprozesse, Todesurteile und Folter sind an | |
der Tagesordnung. Es gibt keine unabhängige Justiz, von Meinungsfreiheit | |
kann keine Rede sein. Mehrfach sind Regimekritiker verschwunden und wurden | |
später tot aufgefunden. Unter diesen Umständen beweisen Fotos von | |
angeblichen Islamisten mit Handfeuerwaffen – ja, genau: nichts. | |
„Terroristen“ getötet? Ja, vielleicht. Vielleicht auch nicht. | |
Die systematische Verletzung von Menschenrechten in Ägypten ist seit Jahren | |
bekannt. Bekannt sind auch Einzelschicksale. Zum Beispiel der Fall Amal | |
Fathi. Sie wurde zu zwei Jahren Gefängnis wegen der Verbreitung angeblich | |
falscher Nachrichten verurteilt, konkret: Sie hatte in einem Internetvideo | |
sexuelle Übergriffe auf Frauen angeprangert. Oder der Fall des ägyptischen | |
Bloggers Alaa Abd el-Fattah, der seit Jahren wegen Verstoßes gegen das | |
Versammlungsgesetz im Gefängnis sitzt. Organisationen wie Human Rights | |
Watch und Amnesty International setzen sich für seine Freilassung ein. | |
## Wen schert das? | |
Nützt das etwas? Nicht, solange sich kaum jemand für die Lage in Ägypten | |
interessiert. Die Wertegemeinschaft der westlichen Welt scheint sich | |
inoffiziell darauf verständigt zu haben, dass der Araber als solcher – | |
leider, leider – noch nicht reif ist für die Demokratie und die Araberin | |
schon gar nicht. Da es aber dennoch ein übergeordnetes strategisches | |
Interesse an stabilen Verhältnissen in einem Land wie Ägypten gibt, ist | |
Militärhilfe für das Regime nützlich und notwendig. Rüstungsgeschäfte | |
liegen ja ohnehin in beiderseitigem Interesse. | |
So sieht das offenbar auch die Große Koalition in Berlin. Einem Bericht des | |
Spiegels zufolge hat sie die Lieferung eines Kriegsschiffes im Wert von | |
rund 500 Millionen Euro an die ägyptische Marine genehmigt. Sollte es dahin | |
kommen, dann wäre das ein Bruch des Koalitionsvertrages, der | |
Waffengeschäfte mit Ländern verbietet, die, wie Ägypten, am Jemenkonflikt | |
beteiligt sind. | |
Wen schert das? Die öffentliche Reaktion auf die Nachricht war – | |
wohlwollend formuliert – verhalten. Für die Bundesregierung besteht also | |
kein Grund zur Sorge. Immerhin: Kriegsschiffe sind ungeeignet für den Kampf | |
gegen Oppositionelle. Wenn das kein Trost ist. | |
4 Jan 2019 | |
## AUTOREN | |
Bettina Gaus | |
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