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# taz.de -- Kolumne Macht: Wir alle üben noch
> Unflätige Beschimpfungen, massive Bedrohungen – im politischen Raum
> verroht die Gesprächskultur. Aber es formiert sich eine Gegenbewegung.
Bild: Miteinander statt gegeneinander – ist das denn so schwer?
Es kommt vor, dass ich eine ganz klare Meinung zu einer Meldung habe – nur
leider jedes Mal eine andere, wenn ich darüber nachdenke.
Zum Beispiel dazu: Die Obleute aller Fraktionen im Petitionsausschuss des
Bundestages haben gemeinsam beschlossen, das Diskussionsforum zur Petition
gegen den „Global Compact for Migration“ (den UN-Migrationspakt) auf der
Internetplattform [1][vorzeitig zu schließen]. „Unsachlich, beleidigend,
agitatorisch“ seien viele der etwa 6.000 Diskussionsbeiträge, teilweise
sogar strafrechtlich relevant. Eine Moderation sei unter diesen Umständen
nicht mehr möglich.
Donnerwetter. Wenn das keine staatliche Bankrotterklärung ist. „Wir
stellen fest, dass die AfD und ihr nahestehende Bürgerinnen und Bürger
versuchen, eine politische Kampagne gegen den Global Compact for Migration
im Petitionsausschuss zu führen“, erklärte der Ausschussvorsitzende Marian
Wendt. Und ein solcher Versuch genügt, um eine Diskussion abzuwürgen? Unter
einer wehrhaften Demokratie habe ich mir etwas anderes vorgestellt.
Einerseits.
Andererseits sehe ich auch nicht ein, warum Internet-Trolle ungehindert
ihren Spaß haben sollen, Arbeitskraft binden können und die
Bundestagsverwaltung am Nasenring durch die Manege führen dürfen. Zumal es
nicht bei unflätigen Mails bleibt.
[2][Der Tagesspiegel berichtet], eine Mitarbeiterin des
Petitionsausschussdienstes sei so massiv bedroht worden, dass sie –
erfolgreich – um ihre Versetzung gebeten habe. Der CDU-Politiker Wendt
erzählte der Berliner Zeitung, er sei als „Migrationsfaschist“ und
„Merkeldreckstück“ beschimpft worden. In rechten Blogs kursiert
mittlerweile die Lüge, die Petition selbst sei gelöscht und die
Meinungsfreiheit eingeschränkt worden.
Und nun? Was ist der richtige Umgang mit Leuten, die sich nicht an
Spielregeln halten, weil sie am liebsten das ganze Spiel vom Tisch fegen
wollen? Ich weiß es nicht, und ich bin mit meiner Ratlosigkeit nicht
alleine. Die ganze Gesellschaft übt noch. Einen Königsweg scheint es nicht
zu geben, hilflos und ungelenk wirken die Versuche einer angemessenen
Reaktion allzu oft.
Einerseits.
Andererseits, und das finde ich doch sehr ermutigend: Noch nie habe ich im
öffentlichen Raum soviel Höflichkeit erlebt wie derzeit. Ich kann gar nicht
mehr zählen, wie oft mir unaufgefordert der Koffer abgenommen und oben auf
der Gepäckablage verstaut wurde, wieviel Mühe sich Leute geben, wenn sie um
eine Wegbeschreibung gebeten werden, wie häufig ich sehe, dass Älteren ein
Sitzplatz in öffentlichen Verkehrsmitteln angeboten wird. (Nicht in Berlin,
zugegeben, aber in Hamburg und München. Das ist jedoch ein anderes Thema.)
Manchmal kommt es mir so vor, als riefe die steigende Aggressivität in der
politischen Auseinandersetzung bei vielen Einzelnen eine ganz eigene Form
der Gegenwehr hervor. Größere Achtsamkeit, mehr Rücksichtnahme. Nein, ich
kann den Zusammenhang nicht beweisen. Aber es gibt Hinweise.
Zum Beispiel letzten Samstag in der unzumutbar langen Warteschlange im
Supermarkt. Ein – vermutlich – afrikanischer Kunde wurde zur lebendigen
Geduldsprobe. Er wünschte detaillierte Auskunft zu zahlreichen Produkten,
fand sein Geld nicht, brauchte für jeden Handgriff ewig. Eine Heimsuchung.
Und wir? Schauten angestrengt woandershin, niemand ließ sich die eigene
Ungeduld anmerken. Kein Augenrollen, nichts. Es war, als hätten wir alle
gleichzeitig gemeinsam beschlossen, dass alles, selbst diese blöde
Warterei, besser ist als noch der kleinste Anschein von
Ausländerfeindlichkeit. So beschwingt habe ich einen Supermarkt selten
verlassen.
Wir sind mehr. Sollen die Trolle doch trollen. Dazu fällt uns auch noch
etwas Sinnvolles ein. Wir sind nämlich tatsächlich mehr.
8 Dec 2018
## LINKS
[1] https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/online-petition-bundestag-…
[2] https://www.tagesspiegel.de/politik/petitionsausschuss-des-bundestages-wie-…
## AUTOREN
Bettina Gaus
## TAGS
Schwerpunkt UN-Migrationspakt
Uno
Migration
Ägypten
Mateusz Morawiecki
CDU
Schwerpunkt USA unter Donald Trump
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