| # taz.de -- Kolumne Macht: Griff in die Trickkiste? | |
| > Der Kandidat für den CDU-Parteivorsitz Friedrich Merz hat eines der | |
| > letzten Tabus unserer Zeit gebrochen. Deshalb ist er unwählbar. | |
| Bild: Annegret Kramp-Karrenbauer und Friedrich Merz bei einer CDU-Delegiertenko… | |
| Erfahrene Zahnpasta-Benutzer wissen, dass sich das Zeug nicht mehr in die | |
| Tube zurückdrücken lässt, wenn es einmal draußen ist. Ein erfahrener | |
| Politiker weiß, dass sich eine provokante Äußerung nicht ohne weiteres | |
| zurücknehmen lässt, zumal dann nicht, wenn sie von Fernsehkameras | |
| übertragen wurde. Was die Frage aufwirft: Ist Friedrich Merz ein erfahrener | |
| Politiker? | |
| Offenbar nicht. Der Einwand, er habe es doch immerhin schon einmal bis zum | |
| Fraktionsvorsitzenden gebracht, wäre geschichtsvergessen. Die CDU war | |
| seinerzeit im Nachklang der Spendenaffäre zutiefst verunsichert. Alles | |
| ging, nichts ging. Selbst ein CSU-Kanzlerkandidat ging. Und als sich die | |
| Verhältnisse zurechtgerüttelt hatten, war Merz schnell weg vom Fenster. | |
| Möglicherweise hat der Kandidat für den CDU-Vorsitz mit seinem Angriff auf | |
| das deutsche Asylrecht [1][und dem späteren Dementi] seiner selbst nur in | |
| eine alte Trickkiste gegriffen: dem rechten Rand zuzwinkern und rasch in | |
| die andere Richtung schauen, damit man für alle wählbar bleibt. Sollte es | |
| so gewesen sein, dann spräche das allerdings nicht für strategische | |
| Klugheit. | |
| Irgendjemand müsste Friedrich Merz dann nämlich bald einmal erklären, dass | |
| AfD- und CSU-Mitglieder auf dem CDU-Parteitag kein Stimmrecht haben. Und, | |
| wichtiger noch: dass Angela Merkel niemanden mit vorgehaltener Waffe | |
| gezwungen hat, sie zu wählen. Die laute Kritik an ihr lässt gelegentlich in | |
| Vergessenheit geraten, dass ein großer Teil der Basis ihren | |
| gesellschaftspolitischen Kurs zur Mitte hin für richtig hält. Nach wie vor. | |
| Aber vieles spricht dafür, dass Friedrich Merz gar nicht in eine Trickkiste | |
| gegriffen hat, sondern einfach so geredet hat, wie es ihm ums Herz war. Und | |
| sich dabei um den Kopf geredet hat. Nichts in der politischen Vergangenheit | |
| des ehemaligen CDU-Fraktionsvorsitzenden lässt auf eine Neigung zur Intrige | |
| schließen. Dass jemand eklige politische Ansichten vertritt, macht ihn noch | |
| nicht hinterhältig. | |
| ## Wie naiv! | |
| Merz ist stets dadurch aufgefallen, dass er sagte, was er meinte, und | |
| gelegentlich allzu spät merkte, dass andere Leute zum Ränkespiel fähig | |
| waren. [2][Zum Beispiel Angela Merkel und Edmund Stoiber.] Naivität ist das | |
| Stichwort. Spricht das für oder gegen Merz? Das kommt auf den Standpunkt | |
| an. Wer eine Geburtstagsrede für ihn entwirft, wird diese Eigenschaft | |
| sicherlich positiv erwähnen. Aber wer wünscht sich einen naiven Kanzler? | |
| Niemand bei Verstand, unabhängig von der politischen Überzeugung. | |
| Die Chancen von Annegret Kramp-Karrenbauer steigen gerade. Sie hat in den | |
| vergangenen Wochen einige Dinge richtig- und nichts falschgemacht. Das ist | |
| noch kein Grund dafür, hoch auf sie zu wetten. Aber immerhin. | |
| Die Welt wird sich weiter drehen, egal wer künftig den Vorsitz der CDU | |
| übernimmt. So wichtig ist die Partei dann auch wieder nicht, weder für | |
| Deutschland noch für die Welt. Das jedoch gilt nicht für die Asyldebatte, | |
| die Friedrich Merz in Gang gebracht hat. Er hat damit ein Tabu gebrochen. | |
| Ob er nun wusste, was er tat, oder eben nicht: Von jetzt an gilt dieses | |
| Menschenrecht als verhandelbar. Das ist unverzeihlich. | |
| Es ist hinreichend viel über die historischen Gründe gesagt und geschrieben | |
| worden, die dazu führten, [3][dass dieses Menschenrecht bei uns in der | |
| Verfassung steht]. Tabus stehen derzeit in westlichen Gesellschaften nicht | |
| hoch im Kurs. Wer eines der letzten bricht, sollte sich genau überlegen, | |
| was er tut. Falls Friedrich Merz nicht wusste, was er tat, dann sollte man | |
| ihn nicht wählen. Falls er es wusste: dann auch nicht. | |
| 24 Nov 2018 | |
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| ## AUTOREN | |
| Bettina Gaus | |
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